Editorial

Auf dem Weg zur Krebstherapie nach Maß

(7.12.15) Die Martinsrieder Firma Spherotec testet Krebsmedikamente  in vitro mit 3D-Mikrotumoren. Laborjournal sprach mit Barbara Mayer, einer der Firmengründerinnen.
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 Jeder Tumor ist individuell, jeder Patient hat andere Unverträglichkeiten und Begleiterkrankungen. Die Spherotec GmbH aus Martinsried bei München untersucht die Wirksamkeit und Sicherheit von Krebsmedikamenten und Wirkstoffkandidaten in vitro, anhand von dreidimensionalen Mikrotumoren. Darüber hinaus entwickelt sie krebsspezifische Tumormodelle.

Laborjournal: Wann haben Sie begonnen, an 3D-Tumormodellen zu arbeiten?

Barbara Mayer: Das war während meiner Postdoczeit bei Robert Kerbel an der Universität Toronto in Kanada. In meiner Doktorarbeit bei Judith Johnson am Institut für Immunologie der LMU München hatte ich Antikörper gegen Biomarker des Magenkarzinoms entwickelt. Nun sollte ich Funktionsanalysen durchführen. Die zur Verfügung stehenden 2D-Tumormodelle sahen aber von ihrem Aufbau und ihrer Zusammensetzung her anders aus als die Ursprungstumore der Patienten. Meine Doktormutter empfahl mir daraufhin Kerbels Gruppe, die Erfahrung mit 3D-Tumormodellen aus Zelllinien hatte.

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Wie ist es zur Gründung der Spherotec GmbH gekommen?

Mayer: Nach meiner Rückkehr nach Deutschland 2001 haben wir über Kommerzialisierungskonzepte nachgedacht. Seit 2007 stellen wir Mikrotumore aus Tumorgewebe her. Wir hatten damals über Businessplan-Wettbewerbe 130 000 Euro eingeworben. Damit haben wir für zwei Jahre eine TA eingestellt und Laborgeräte gekauft. Von Bayern Kapital und dem High-Tech-Gründerfonds haben wir eine Seedfinanzierung von 500 000 Euro erhalten. Heute haben wir zwölf Mitarbeiter, von denen jeder mehrere Aufgabenbereiche hat. Als stellvertretende Leiterin des Bereichs „Experimentelle Forschung Chirurgie“ an der Chirurgischen Klinik der LMU und als Leiterin der Forschung und Entwicklung unserer Firma bin ich zeitlich natürlich stark eingespannt. Manchmal muss ich noch spät am Abend Auswertungen prüfen, Befunde erstellen oder Patienten-Emails beantworten.

Welche Vorteile hat Ihr in-vitro-Modell?

Mayer: Unsere Tumor-Kügelchen oder „Sphäroide“ bestehen aus verschiedenen Zelltypen wie Tumorzellen, Fibroblasten und Immunzellen und sind dem Ursprungstumor des Patienten sehr ähnlich. Wir finden in unseren Brustkrebs-Mikrotumoren zum Beispiel Drüsenstrukturen, die sich nach dem Spritzen von Tumorsuspensionszellen unter die Haut von Mäusen nicht ausbilden. Wir können daher mit unserem Modell den Verbrauch von Versuchstieren senken. Unser Testsystem lässt sich auch zur Wirkstofftestung in der präklinischen Phase einsetzen. Wir arbeiten hierzu mit 12 Firmen zusammen, zum Beispiel der Bayer Schering AG und der MorphoSys AG.

Wo sehen Sie die Grenzen Ihres Tumormodells?

Mayer: Da wir mit Tumorbiopsien arbeiten und keine Zellen vermehren, benötigen wir eine Mindestmenge an Ausgangsmaterial. Bei Brustkrebs sind das etwa 90 mg Tumorgewebe, also mindestens vier Stanzen. Je mehr Gewebe wir haben, umso mehr Medikamente können wir testen. Nach Operationen, zum Beispiel des Eierstockkarzinoms, ist in der Regel genug Gewebe für das Austesten von 40 bis 50 Therapieoptionen vorhanden.

Ein Nachteil unseres Sphäroidmodells ist bisher, dass sich keine Blutgefäße in den stecknadelkopfgroßen Mikrotumoren bilden. Die winzigen Gefäßstrukturen müsste man dann an eine Art Pumpe anschließen. Dafür haben wir noch keine Lösung gefunden. Daher können wir keine Hemmstoffe der Gefäßbildung testen. Unser Modell eignet sich für solide Tumore, nicht für Krebserkrankungen des blutbildenden Systems.

Konnten Sie bereits Erfolge in der Anwendung Ihres Tumormodells erzielen?

Mayer: Unter Beteiligung von 13 Brustkrebszentren aus ganz Deutschland haben wir die SpheroNEO-Studie, eine prospektive, nicht-interventionelle Kohortenstudie mit insgesamt 78 Patienten mit invasivem Brustkrebs durchgeführt. Dazu haben wir aus Brustkrebsbiopsien Mikrotumore gezüchtet, indem wir sie zuerst mechanisch zerkleinert und enzymatisch behandelt haben. Die Tumore haben wir dann in vitro rekonstituiert, mit Antitumormedikamenten behandelt und das Zellüberleben analysiert. Dabei haben wir beobachtet, dass das Ausmaß des Zellüberlebens mit dem Erfolg der Tumorbeseitigung durch die Medikamente bei der tatsächlichen Behandlung der Patienten positiv korreliert. Mit unseremSphäroidmodell können wir also das Ansprechen auf Therapien vor der Durchführung einer medikamentösen Tumorbehandlung vorhersagen, und das spezifisch und mit hoher Sensitivität. Unser Test liefert innerhalb von neun Tagen Therapieempfehlungen für den behandelnden Arzt.

Stehen Sie in direktem Kontakt mit Patienten?

Mayer: Montags haben wir einen Telefondienst eingerichtet, da uns dann häufig Krebspatienten anrufen. Sie möchten Auskunft über unseren Test, auf den sie am Wochenende im Internet gestoßen sind. Leider wird das Austesten von Behandlungsoptionen in unserem Tumormodell bisher nur von einigen privaten Krankenkassen auf Antrag übernommen. Pro Patient belaufen sich die Kosten auf 2000 bis 3000 Euro, je nachdem, wie viele verschiedene Proben aus unterschiedlichen Tumorregionen und Behandlungsmöglichkeiten wir austesten sollen. Wichtig ist auch, ob wir nur die Wirkung von Chemotherapeutika testen oder auch Antikörper und niedermolekulare Inhibitoren. Wir stehen dabei immer in Kontakt mit dem behandelnden Arzt.

Welche Projekte planen Sie als Nächstes?

Mayer: Wir wollen eine größere klinische Studie zu unserem Brustkrebs-Sphäroidmodell durchführen, also eine prospektive, randomisierte, kontrollierte Interventionsstudie. In einem Arm sollen 200 Patienten eine leitliniengerechte Therapie nach Einschätzung des behandelnden Arztes erhalten, im anderen Arm sollen 200 Patienten gemäß der Ergebnisse unserer Medikamententests am Brustkrebs-Sphäroidmodell leitliniengerecht behandelt werden. Wir wollen herausfinden, ob unsere Tests im Mikrotumormodell die Überlebenszeit verlängern und die Lebensqualität verbessern können. Dazu suche ich gerade nach einer Finanzierung über 4,5 Millionen Euro. Am Ende der Studie soll eine CE-Zertifizierung unseres Tests als Medizinprodukt stehen. Mit der Interventionsstudie und der Zertifizierung kommen wir der Bezahlung des Tests durch die gesetzlichen Krankenkassen ein großes Stück näher.

Konnten Sie bereits Erfahrungen bei weiteren Tumorarten gewinnen?

Mayer: Im Rahmen der SpheroPCT-Studie vergleichen wir die Vorhersagekraft unseres Testverfahrens mit den tatsächlichen Ergebnissen einer Behandlung von Patienten mit Darmkrebs. Dabei handelt es sich um Patienten, die sich nach der Operation aufgrund ihres Krankheitsstadiums einer medikamentösen Behandlung unterziehen mussten. Diese Behandlung soll verhindern, dass sich Metastasen im Körper ausbreiten oder der Tumor erneut zu wuchern beginnt. Um die Daten zum Fünfjahres-Gesamtüberleben auswerten zu können, müssen wir allerdings noch zwei Jahre abwarten. Zum Eierstockkrebs führen wir derzeit die Sphero-ID-Studie durch, für die wir gerade die klinisch-pathologischen Daten zusammentragen. Sie betrifft Patientinnen, die nach einer Operation eine Chemotherapie erhalten haben. Die Ergebnisse werden wir 2016 veröffentlichen. Insgesamt haben wir bislang 700 Proben von soliden Tumoren aller Art im Sphäroidmodell getestet.

 

Bettina Dupont

Foto: Barbara Mayer,  (c) Spherotec



Letzte Änderungen: 22.01.2016