Editorial

Der Eiweiß-Rückfalter

(16.2.16) Das Vortex Fluid Device sieht nicht sonderlich spektakulär aus. Aber das unscheinbare Laborgerät vollbringt ein kleines Wunder: Es renaturiert Proteine.
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Chaperonforscher und Proteinfaltungsexperten erklären  die Rückfaltung denaturierter Proteine in der Zelle durch Chaperone häufig am Beispiel des "entbratenen" Hühnereis. Die Hitze in der Bratpfanne denaturiert die Proteine des Hühnereiweißes und lässt sie zu einem weißen Klumpen erstarren. Um das Hühnereiweiß in der Pfanne zu "entbraten", müsste man also theoretisch nur die ineinander verhedderten und zusammengepappten Proteine auseinander dröseln und in ihre ursprüngliche Form zurückfalten. Im Labor ist dies jedoch bislang ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen.

Das teilweise entbratene Ei

Mit einem verblüffend einfachen Apparat, den der Chemiker Colin Raston von der Flinders University in Australien entwickelte, ist es aber zumindest möglich, einzelne Proteine, etwa Lysozym, nach dem Kochen zu renaturieren und in den nativen Zustand zu überführen (Yuan et al., ChemBioChem 16: 393-96). Rastons Gerät nennt sich Vortex Fluid Device, was man sinngemäß mit Wirbelstromfluid-Apparat übersetzen könnte.

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Das Ding ist so simpel aufgebaut, dass man sich kaum getraut, es als Laborgerät zu bezeichnen. In seiner einfachsten Ausführung ist es nicht mehr als ein Reagenzglas mit 10 Millimeter Innendurchmesser und 16 cm Länge. Angetriebenen von einem Elektromotor, dreht es sich in einem Winkel von 45° mit 5.000 Umdrehungen pro Minute um die eigene Achse.

Wüsste man nicht, dass Raston ein ziemlich ausgebuffter Chemiker und Experte für die chemischen und physikalischen Prozesse in dünnen Flüssigkeitsfilmen ist, würde man seinen Wirbelstromfluid-Apparat vermutlich für esoterischen Humbug halten.

 

 

Was sich innerhalb des Reagenzglases abspielt, wenn man es mit wenigen Millilitern Lösung befüllt und rotieren lässt, hat jedoch nichts mit Esoterik zu tun, sondern mit der Physik  dünner Flüssigkeitsfilme. Die Flüssigkeit wandert als hauchdünner Film an der Wandung des Glases empor und dreht sich mit dem Reagenzglas mit. Der Film ist zwar nur wenige hundert Mikrometer dick, dennoch ist seine Geschwindigkeit direkt an der Glaswandung höher als in Richtung der Achsenmitte.

Rückfalten und Renaturieren

Die Scherkräfte, die durch diese unterschiedlich schnell fließenden Filmschichten entstehen, sind letztendlich der Trick des Wirbelstromfluid-Apparats. Raston nutzte sie zunächst, um zum Beispiel die Diels-Alder Dimerisation von Cyclopentadienen zu optimieren oder um aus Graphit Graphen herzustellen (Yasmin et al., Scientific Reports 3, doi:10.1038/srep02282).

Als ihn der amerikanische Biochemiker Gregory Weiss 2013 in seinem Labor in Australien besuchte, führte er diesem seine neue Maschine vor und zeigte ihm, wie er mit ihr hauchdünne, nur eine Atomlage dicke Graphitschichten (Graphen) erzeugen kann. Weiss, der in Irvine an der Struktur-Funktionsbeziehung von Enzymen und Membranproteinen arbeitet, fand dies ganz nett.

Mit Graphen hatte er aber nicht viel am Hut. Ihn ließ jedoch der Gedanke nicht mehr los, dass die Wirbelstromfluid-Technik auch bei der Rückfaltung und Renaturierung von Proteinen funktionieren müsste. So ließ er sich schließlich von Raston ein Wirbelstromfluid-Gerät bauen, das Rastons Student Callum Ormonde nach Irvine brachte, um zusammen mit der Gruppe von Weiss die Experimente zur Protein-Renaturierung durchzuführen.

Als erstes Studienobjekt wählte das Team natives Lysozym aus Hühnereiweiß. In Vorversuchen wollte die Gruppe zunächst herausfinden, ob die Renaturierung auch in der natürlichen Umgebung des Lysozyms funktioniert und welche Wirbelstromfluid-Bedingungen hierfür optimal sind. Weiss' Mitarbeiter verdünnten das Hühnereiweiß zunächst in PBS und erhitzten es zwanzig Minuten auf 90° C. Das "hartgekochte" Hühnereiweiß lösten sie anschließend in 8M Harnstoff, verdünnten die Lösung nochmals und pipettierten schließlich einen Milliliter davon in die Glasröhre des Wirbelstrom-Fluid-Apparats. Die Renaturierung verfolgte die Gruppe anhand eines Lysozymaktivitäts-Assays.

Wirbelstrom-Fluid-Behandlung für Lysozym

Schon wenige Minuten in dem rotierenden Reagenzglas genügten, um das Lysozym zu renaturieren. Die besten Ergebnisse erzielte die Gruppe, wenn sie die Endkonzentration des Harnstoffs auf 1M einstellte und die Lösung fünf Minuten bei 5.000 UPM in dem Wirbelstromfluid-Apparat behandelte. Ein ähnliches Bild lieferten Renaturierungsversuche mit rekombinantem Lysozym. Hier wies das amerikanisch-australische Team zudem mit Hilfe der Circulardichroismus-Spektroskopie nach, wie die Wirbelstromfluid-Behandlung Sekundärstrukturen des rekombinanten Lysozyms regeneriert.

Und selbst die Renaturierung von rekombinantem Caveolin, die sich mit herkömmlichen Methoden wie der Dialyse über Tage hinzieht, dauerte mit Rastons Gerät nicht länger als 30 Minuten.

Nicht ganz so erfolgreich verlief die Renaturierung großer Proteine, etwa der cAMP-abhängigen Proteinkinase A. Bei diesem 42-kDa-Brocken mussten die Forscher um Weiss und Raston einen Trick anwenden: Sie imitierten die in vivo Situation in der Zelle – bei der die Faltung frisch synthetisierter Proteine direkt am N-Terminus beginnt, sobald dieser aus dem Ribosom austritt – indem sie die Scherkräfte des Wirbelstromfluid-Apparats auf den N-Terminus von cAMP-PKA fokussierten. Hierzu immobilisierten sie das His-getaggte Protein an einem Ni2+-Harz und führten die Renaturierung mit diesem Komplex durch. Nach der Prozedur trennten die Wissenschaftler die cAMP-PKA von dem Harz und bestimmten ihre Aktivität. Tatsächlich erhielten sie mit diesem Verfahren 69 Prozent der Kinase-Aktivität zurück.

Natürlich war die Renaturierung des Hühnereiweißes mit dem Wirbelstrom-Fluid-Gerät nicht zuletzt ein kalkulierter Marketing-Gag, der seine Wirkung auch nicht verfehlte. Weiss und Raston tauchten im letzten Jahr immer wieder in den Massenmedien auf und erhielten für das "Entkochen" des Eiweißes im September 2015 den IG-Nobelpreis.

Viel interessanter als das werbewirksame Entkochen von Hühnereiweiß ist jedoch das Potential des Wirbelstrom-Fluid-Apparats bei der Renaturierung rekombinanter Proteine. Allzu häufig enden diese in Einschlusskörpern und müssen mit zeitaufwendigen und teuren Verfahren renaturiert werden. Die Wirbelstrom-Fluid-Technik erledigt dies wesentlich schneller sowie kostengünstiger.

Und sie sollte nicht nur im kleinen Maßstab im Labor funktionieren, sondern auch in größeren Produktionsanlagen. Für Raston könnte sich seine Erfindung also durchaus in barer Münze auszahlen. Aber auch darauf ist der clevere Australier bestens vorbereitet: die Details seines Wirbelstrom-Fluid-Apparats hat er patentieren lassen. Eine von ihm gegründete Firma ist bereits dabei, ihn zu produzieren und zu vermarkten.

 

Harald Zähringer 

         Foto: Raston mit Vortex Fluid Device (via Youtube)

 



Letzte Änderungen: 03.03.2016