Editorial

Rekombinasen als Historiker der Zelle

(10.8.16) Mit einigen Tricks kann man Zellen beibringen, unterschiedlich auf Reize zu reagieren und die individuelle “Reizbiographie” in DNA-Mustern zu speichern. Das verspricht interessante Anwendungs­möglichkeiten.
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Wissenschaftler mit einem Faible zum Querdenken verblüffen immer wieder mit ihrem Talent, molekularbiologische Prinzipien kreativ anzuwenden. Jüngstes Beispiel dafür ist die Arbeit eines fünfköpfigen Teams um Nathaniel Roquet vom Massachusetts Institute of Technology (Science 353, doi 10.1126/science.aad8559).

Den Forschern aus Massachusetts ist es gelungen, Zellen so zu programmieren, dass diese je nach Reiz-Art und -Reihenfolge ganz unterschiedlich, aber spezifisch reagieren und ihre “Reizbiographie” zudem in Form von DNA-Mustern abspeichern. Mittels DNA-Sequenzierung lässt sich nachvollziehen, welche Reizabfolgen die Zellen durchlebt haben. Denkbar wäre demnach, festzustellen, in welcher Reihenfolge bestimmte Zytokine die Entstehung von Krebs auslösen. Die Autoren sehen zudem Anwendungspotenzial in der Programmierung komplizierter Zellabläufe.

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Wie funktioniert diese Methode? Drei molekularbiologische Grundprinzipien seien hier – zum leichteren Einstieg – vorab kurz genannt:


 - Chemische Substanzen und andere externe Reize werden von Zellen über Rezeptoren wahrgenommen und lösen entsprechende, spezifische Antworten aus, zum Beispiel die Aktivierung eines Promotors.

 - Rekombinasen sind Enzyme, die sequenzspezifische Umordnungen (Rekombinationen) von DNA-Abschnitten katalysieren. Sie erkennen kurze, paarweise-auftretende DNA-Sequenzen. Sind diese parallel angeordnet, vermitteln Rekombinasen die Deletion des dazwischenliegenden Abschnitts. Bei anti-paralleler Anordnung kommt es zur Inversion, das heißt der Abschnitt wird umgedreht.

 - DNA dient nicht nur der Codierung von Genprodukten. Sie eignet sich auch bestens zum nachhaltigen Deponieren von Informationen. Solche Informationen können dabei durchaus sehr komplex sein.

Das System, das die amerikanischen Forscher ausgetüftelt haben, besteht aus E.coli-Zellen, in die Input-Plasmide sowie Output-Plasmide eingeschleust werden. Das (high copy number)-Input-Plasmid enthält Rekombinasegene mit jeweils spezifischen, induzierbaren Promotoren. Das (single copy)-Output-Plasmid enthält ein DNA-Register; das heißt eine vorab definierte, perlenschnurartige Anordnung von mehreren (anti-)parallelen Rekombinase-Erkennungsstellen.

Reiz und Rekombinase

Werden die Zellen nun mit Stimulus A behandelt, so wird Rekombinase A exprimiert. Sie dockt an ihre spezifischen Erkennungsstellen an, deletiert oder invertiert irreversibel einen Abschnitt und versetzt so die DNA in einen neuen Zustand. In diesem ist die hinterlassene DNA nur noch für Rekombinase B, nicht aber für C, D, E… erkennbar, selbst wenn deren Expression durch Behandlung mit dem jeweiligen Stimulus angeregt würde.

Ein ganz anderes DNA-Muster (ein anderer “Zustand”) entsteht, wenn die einzelnen Stimuli in anderer Reihenfolge appliziert werden. Kommt also Rekombinase D zuerst zum Zug, gehen unter Umständen die Erkennungsstellen für Rekombinase A verloren.

Dass im Output-Plasmid die sukzessive DNA-Umordnung tatsächlich nach Plan funktioniert, haben Roquet und Kollegen anhand eines Zwei- und eines Drei-Input-Modells bewiesen. Im ersten Fall bestand das Input-Plasmid aus einer Arabinose-induzierbaren Rekombinase A und einer Anhydrotetracyclin (atC)-induzierbaren Rekombinase B. Je nachdem, ob und in welcher Reihenfolge die Forscher E. coli-Kulturen mit Ara und/oder atC behandelten, nahm die Output-DNA fünf verschiedene Zustände an. Dabei zeigten 97 % der Zellen das erwartete Muster.

Farbiger Output

Ein zusätzlicher Geniestreich war, das DNA-Muster in Form von fünf Kombinationen des rot-, grün- und blau-fluoreszierenden Proteins zu visualisieren. Dabei wird klar, dass sich nicht nur bloße DNA-Muster, sondern auch Funktionen programmieren lassen. Im Drei-Input-Modell sind 16 Zustände möglich, und laut DNA-Sequenzierung verhielten sich 88 % der Zellen „nach Plan“.

Begriffe wie „Programmieren, abspeichern, Textverschlüsselung und Zustandsmaschinen“ sowie die diversen Modell-Abbildungen assoziiert man primär mit Computertechnik, doch schließlich fällt die Studie ja auch in die Rubrik „Synthetische Biologie“. Als Zustandsmaschine („state machine“) bezeichnet man das Modell eines Verhaltens, bestehend aus Zuständen, Zustandsübergängen und Aktionen. Der Begriff „Zustand“(„State“) bezieht sich also auf die DNA, die je nach Nutzer-definierter Rekombinase(n)aktivität einen Zustandsübergang durchläuft und somit eine spezifische Sequenz annimmt.

Den Rest erledigt der Computer

Derzeit sind 25 Rekombinasen bekannt und theoretisch für das neuentdeckte Verfahren erschließbar. Induzierbare Promotoren gibt es ebenfalls reichlich. Bedenkt man, dass für jede Rekombinase spezifische Erkennungsstellen – und somit Umordnungsmöglichkeiten – gelten, wird die schier unbegrenzte Kombinationsmöglichkeit programmierbarer DNA-Zustände offensichtlich.

Spätestens dann erscheint es illusorisch, mit Papier und Bleistift DNA-Zustände planen oder deren Entstehungsgeschichte einfach nachvollziehen zu können. Welche Rekombinase wann und wo Deletion oder Inversion bewirkt, und wie sich diese DNA-Änderung auf die Erkennbarkeit nachfolgender Rekombinasen auswirkt, ist eher etwas für Computerhirne.

Roquet und sein Team liefern dankenswerterweise das entsprechende Computerprogramm gleich mit.

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 13.09.2016