Editorial

Schief, schiefer,...

(5.9.16) Das Statistische Bundesamt hat sein Zahlenwerk „Personal an Hochschulen“ für das Jahr 2015 vorgelegt. Und dies belegt: Nach hauptberuflichen Dauerstellen geraten die Wissenschaftler an Deutschlands Universitäten immer weiter in Unterzahl.
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© Jim Morin

In seiner Pressemitteilung schreibt das Statistische Bundesamt dies jedoch nicht. Via Überschrift wird hier vielmehr die verbesserte Frauenquote als herausstechendes Ergebnis verkündet: „Frauenanteil in Professorenschaft auf 23 Prozent gestiegen“. Zehn Jahre zuvor habe diese noch bei lediglich 14 Prozent gelegen. Die Gesamtzahl an Professuren sei in diesem Zeitraum dagegen „nur“ um 22 Prozent gewachsen – was einen klar überdurchschnittlichen Anstieg für die Professorinnen ergibt.

Der zweite Teil der Pressemitteilung lautet dann folgendermaßen:

„Insgesamt waren Ende 2015 an deutschen Hochschulen und Hochschulkliniken 686.100 Personen tätig. Das waren zwei Prozent mehr als Ende 2014 (675 100) und 38 Prozent mehr als Ende 2005 (497.200). Im Jahr 2015 gehörten 386.300 dem wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulpersonal sowie 299.800 dem Verwaltungs-, technischen und sonstigen Hochschulpersonal an. Dabei betrug der Anstieg beim Verwaltungs-, technischen und sonstigen Hochschulpersonal in den letzten zehn Jahren 17 Prozent, beim wissenschaftlichen und künstlerischen Personal lag der Zuwachs bei 61 Prozent."

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Ha! Es gibt also doch mehr Wissenschaftler als nicht-wissenschaftliches Personal an den deutschen Unis. So wie es eben sein soll an dem viel beschworenen Ort der Wissenschaft und Lehre. Was sollen also all die Unkenrufe in letzter Zeit? Warum konnten etwa der Regensburger Bioprofessor Björn Brembs und sein Ulmer Kollege und Laborjournal-Kolumnist Axel Brennicke noch Anfang letzten Jahres in der FAZ behaupten, dass „jeder vollzeitbeschäftigte Wissenschaftler einer deutschen Universität im Schnitt von 1,28 Personen verwaltet“ würde?

„Vollzeitbeschäftigt“ ist das Zauberwort. Denn schaut man sich das Zahlenwerk „Personal an Hochschulen“ des statistischen Bundesamts genauer an, findet man auf Seite 98, dass von den 386.300 Köpfen des „wissenschaftlichen und künstlerischen Hochschulpersonals“ lediglich 239.032 hauptberuflich beschäftigt sind; die restlichen knapp 148.000 Köpfe rekrutieren sich dagegen aus lediglich „nebenbeschäftigten“ Gastprofessoren, Emeriti, Lehrbeauftragten und wissenschaftlichen Hilfskräften.

Und wo verstecken sich die Scharen der befristet angestellten Doktoranden, Postdocs und Co.? Tja, leider diskriminiert das Statistische Bundesamt nicht zwischen „befristet“ und „unbefristet“. Aber man kann ziemlich sicher annehmen, dass dieses Heer der Kurzzeitbeschäftigten die Mehrheit der insgesamt 179.519 unter „hauptberuflich“ aufgeführten „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ stellt. Schließlich gelten Postdoc-Zeit und Doktorarbeit ja als Fulltime-Job, wenn auch letztere diesen in der Regel auf einer halben Stelle leisten müssen.

Was bleibt also an unbefristeten Hauptberuflern unter dem „wissenschaftlichen und künstlerischen Personal“? Einmal die knapp 60.000 „Professoren, Dozenten, Assistenten und Lehrkörper mit besonderen Aufgaben“, die das Statistische Bundesamt gezählt hat – und dazu möglicherweise noch tatsächlich die eine oder andere Handvoll der 179.519 „wissenschaftlichen Mitarbeiter“. Es dürfte demnach aber klar sein, dass von den 239.000 Hauptberuflichen unter dem gesamten „wissenschaftlichen und künstlerischen Personal“ die Minderheit unbefristete Verträge besitzt. Brembs und Brennicke recherchierten beispielsweise bereits für 2012 einen Anteil von 58 Prozent „Befristeten“ an dem wissenschaftlich-künstlerischen Gesamtpersonal – Tendenz steigend. Tatsächlich dürfte der Anteil heute bei knapp zwei Drittel liegen.

Damit wird auch eine weitere Aussage aus der Pressemeldung des Statistischen Bundesamts relativiert: 61 Prozent Zuwachs beim wissenschaftlich-künstlerischen Gesamtpersonal in den letzten zehn Jahren klingen tatsächlich beeindruckend – nur trug dazu eben größtenteils der Zuwachs von befristet und nebenberuflich Beschäftigten bei. Die Zahl der hauptberuflichen „Professoren, Dozenten, Assistenten und Lehrkörper mit besonderen Aufgaben“ stieg beispielsweise zwischen 2005 und 2015 nur von 54.000 auf knapp 60.000.

Anders sieht es bei dem nicht-wissenschaftlichen Personal aus. Hier stieg die Zahl der hauptamtlich Beschäftigten im gleichen Zeitraum von 253.790 (2005) auf 295.191 (2015). Die Zahlen für nebenberufliche Beschäftigte sind hier sowieso vernachlässigbar: 3.309 in 2005 und 4.390 in 2015. Auch hier diskriminiert das Statistische Bundesamt nicht zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten. Allerdings rechneten Brembs und Brennicke bereits für den Zeitraum zwischen 2005 und 2012 eine Steigerung des Anteils unbefristet angestellter Nichtwissenschaftler von 70 auf 75 Prozent vor. Es spricht nichts dafür, dass sich diese Tendenz in den letzten drei Jahren umgekehrt hat.

Das Fazit aus all diesen Zahlenspielen lautete denn auch damals bei Brembs und Brennicke: „Nur einer von vier Arbeitnehmern in der Verwaltung ist flexibel angestellt, in der Wissenschaft sind es fast zwei von dreien.“ Und etwas süffisant folgerten sie mit ihren damaligen 2012er-Zahlen: „In Deutschland kann offenbar eine international konkurrenzfähige Wissenschaft mit all ihrem Spezialwissen von lediglich 60.438 Menschen auf Dauer gesichert werden. Und für diese Wissenschaftler muss anscheinend mehr als die doppelte Zahl (nämlich 135.897) von Verwaltern auf Dauer angestellt werden."

Mit den neuen Zahlen für 2015 scheint sich diese Schieflage noch weiter verstärkt zu haben. Und wir haben dabei noch gar nicht berücksichtigt, dass im gleichen Zeitraum 2005 bis 2015 die Zahl der Studierenden um satte 37 Prozent gestiegen ist: Von 1.963.598 auf 2.698.910.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 23.09.2016