Editorial

In der Regel gleich geregelt

(27.9.16) Zum „Leben“ gehört gemeinhin ein eigener Stoffwechsel samt Energiezufuhr von außen. Dabei scheinen alle Lebewesen mehr oder weniger die gleichen Mechanismen zur Steuerung ihres Energiehaushalts zu nutzen.
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© Fotolia / Thomas Reimer

Die „allwissende“ Enzyklopädie Wikipedia beschreibt den Begriff „Leben“ als einen „Zustand, den Lebewesen gemeinsam haben und der sie von toter Materie unterscheidet“. Dieser wenig aufschlussreichen Definition folgt lediglich eine Aufzählung von Eigenschaften, die Lebewesen charakterisieren – was zeigt, wie schlecht erklärbar das Phänomen „Leben“ noch immer ist.

In der Schule lernt man, dass Lebewesen einen eigenen Stoffwechsel besitzen, der eng mit dem Energiehaushalt der Zelle gekoppelt ist. Klar, die meisten zellulären Prozesse verbrauchen hochwertige Energie, die dem Organismus von außen zugeführt werden muss: entweder durch Aufnahme energiehaltiger organischer Verbindungen wie bei Tieren und Pilzen, oder durch das Sonnenlicht wie beispielsweise bei Pflanzen und Algen. Bakterien dagegen haben mehr Möglichkeiten und verwenden je nach Spezies Sonnenlicht, organische und/oder anorganische Energielieferanten.

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Akkustand? Zwei Kinasen sind im Bilde

Diese stetige Energiezufuhr benötigen Lebewesen zwingend für ihren täglichen Kampf gegen die Entropie – andernfalls folgen Stillstand, Tod und Zerfall. Die Regulation des Energiestoffwechsels ist jedoch immer noch nicht im Detail verstanden, zwei neue Publikationen der Systembiologen um Wolfram Weckwerth an der Uni Wien zeigen nun aber immerhin: Teile des Energie-Regulationsechanismus sind in Eukaryoten erstaunlich gut konserviert, und Vorläufer finden sich selbst schon bei Prokaryoten (Sci. Rep. 6: 31697 und J. Exp. Bot. 67(13): 3897-3907).

Jede Zelle muss stets „wissen“, wie viel Energie ihr aktuell zur Verfügung steht. Diese Information liefern ihr zwei Proteinkinasen: AMPK (AMP-aktivierte Proteinkinase) und TOR (Target Of Rapamycin) messen gemeinsam den Energiegehalt der Zelle und wirken dabei antagonistisch. Sind die Energiespeicher voll, ist TOR aktiv – die Zellen vermehren sich, und es laufen vor allem aufbauende Prozesse wie die Proteinbiosynthese ab. Sind die Energiespeicher dagegen leer, schaltet AMPK den TOR-Signalweg ab – und damit gleichsam die meisten energieverbrauchenden Stoffwechselwege. Stattdessen stellen nun abbauende Prozesse neue Energie bereit.

Sparmodus oder Vollgas

Die Informationen über den „Akkustand“ erhalten die Kinasen aus dem Verhältnis von ATP zu AMP. AMP, als Indikator für Energiemangel, aktiviert AMPK entweder allosterisch oder durch Verringerung ihrer Dephosporylierungsrate. Durch ATP wird letztere dagegen erhöht, so dass AMPK bei guter Energieversorgung der Zelle inaktiv vorliegt. Stellschraube ist die Phosphatase 2C, die für die Dephosphorylierung von AMPK und damit für deren Inaktivierung verantwortlich ist. Bei Pflanzen verläuft die Regulation dagegen weitgehend über phosphorylierte Zucker, die die Rolle von ATP einnehmen und bei guter Energieversorgung die AMPK-Aktivität hemmen.

AMPK selbst beeinflusst den Metabolismus entweder direkt über die Phosphorylierung von Enzymen oder indirekt über eine Signalkaskade nachgeschalteter Kinasen. Über die Phosphorylierung von Transkriptionsfaktoren kann AMPK aber auch Einfluss auf die Genexpression nehmen. Direkt gesteuert wird beispielsweise die Aktivität von Enzymen der Glykogen-, Cholesterin- und Fettsäurebiosynthese sowie des Lipidstoffwechsels. Der Transporter GLUT4, verantwortlich für die Glucoseaufnahme im Muskel, wird dagegen auf transkriptioneller Ebene reguliert. Auch Proteine der Zellzykluskontrolle (Cyclin A und D) und der Translation stehen unter der Kontrolle der AMPK, denn Proteinsynthese und Zellteilung sind Prozesse, die besonders viel Energie verbrauchen.

Gleichzeitig hemmt AMPK den TOR-Signalweg, um energieverbrauchende Prozesse abzuschalten. Hierfür phosphoryliert es die Untereinheit RAPTOR (regulatory associated protein of TOR) des TOR-Komplexes. Bei guter Energieversorgung schaltet aktives TOR dagegen die Translation durch Phosphorylierung von regulatorischen Proteinen an.

Eine Lösung für alle

Weckwerth et al. spürten nun vorwiegend der evolutionären Entwicklung dieses Regulationssystems nach – und fanden, dass AMPK offenbar schon sehr früh in der Evolution als Werkzeug zum Schutz vor Energiemangel auf den Plan trat. Der AMPK-Komplex ist stark konserviert und findet sich bei einzelligen Eukaryoten wie der Hefe (hier SNF1), über die Pflanzen (hier SnRK1), wo er als Hauptenergiesensor der Zelle an die Photosynthese gekoppelt ist – bis hin zum Mensch, der verschiedene gewebsspezifische Isoformen besitzt. Von den drei Untereinheiten a, b und g kommt b nur bei Eukaryoten vor, während sich die anderen beiden Untereinheiten bereits bei Prokaryoten finden. Das gemeinsame Vorkommen des Energiesensors AMPKg und der regulatorischen Phosphatase PP2C in Bakterien zeigt, dass der AMPK-Weg hier bereits angelegt war. Interessanterweise ist eukaryotisches AMPKg allerdings eher ähnlich zur in Archaeen gefundenden Variante. Dies spricht dafür, dass der eukaryotische Signalweg im Rahmen einer Endosymbiose entstanden ist, bei der das Archaeon den Energiesensor mitbrachte, das regulatorische Netzwerk aus Phosphatasen und Kinasen dagegen aus einem bakteriellen Partner stammte.

Mit den Organellen kam (das) TOR

Bei Bakterien finden sich Proteinkinasen mit Ähnlichkeiten zu eukaryotischen Kinasen (eukaryotic-like protein kinases), wie eben die bakteriellen AMPK-Varianten vor allem bei Vertretern der Proteobakterien, der Actinobakterien und der Cyanobakterien. Nachfahren aus zwei dieser Gruppen machten später Karriere als Mitochondrien und Chloroplasten, und könnten folglich Kinasen beigesteuert haben.

Im Unterschied dazu taucht TOR erst in Eukaryoten auf und muss dort eine „Neuerfindung“ gewesen sein. Wahrscheinlich entstand es im Zuge des Organellenerwerbs, denn die Energieproduktion in den Mitochondrien und Chloroplasten musste irgendwie mit den energieverbrauchenden Prozessen im Cytosol des ehemaligen Wirts verbunden werden. Für diese Aufgabe ist TOR ein heißer Kandidat, denn es vermag sowohl die mitochondriale Aktivität als auch die cytosolische Proteinbiosynthese zu kontrollieren.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 08.12.2016