Editorial

Kitzel, kitzel, Mäuschen...

(15.11.16) Ratten lassen sich offenbar noch lieber kitzeln als so mancher Mensch. Berliner Forscher haben nun nachgeschaut, was dabei in deren Gehirnen passiert – und spekulieren mit um den „Sinn des Kitzelns“.
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© S. Ishiyama, M. Brecht / HU Berlin

"Kitzel, kitzel, Mäuschen,
komm aus Deinem Häuschen,
kitzel, kitzel Schneckchen,
komm aus Deinem Eckchen.
Kitzel, kitzel, Sonnenschein,
unser Kind will munter sein!"

 

Mit diesem oder ähnlichen Reimen kitzelt so manche junge Mutter ihr Baby. Und was passiert? Das Baby lacht!

Kitzeln und das dazugehörige Lachen scheinen demnach eine sehr tief verankerte Form unserer Kommunikation zu sein. Zumal auch andere soziale Säugetiere positiv erregt auf Kitzeln reagieren; Ratten zum Beispiel stoßen Ultraschallrufe aus und machen ganz typische Freudensprünge (siehe unten folgendes Video). Die Kitzel-Kommunikation dürfte demnach bereits in den gemeinsamen Vorfahren von Ratte und Mensch existiert haben.

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Nur wozu genau ist die Empfindung der Kitzligkeit gut? Welchen Vorteil bietet sie, dass sie sich nicht längst dem Jahrtausende-langen Selektionsdruck hat ergeben müssen? Auch wenn es vor allem viele Psychologen versucht haben: Es gibt bislang keine befriedigende Erklärung zum tieferen Sinn des Kitzligseins. Stattdessen ranken sich noch weitere Fragen darum: Warum bringt uns Kitzeln zum Lachen? Warum sind nur bestimmte Körperteile kitzlig? Warum können wir uns nicht selber kitzeln? Fragen über Fragen...

Die Systembiologen Shimpei Ishiyama und Michael Brecht von der Humboldt-Universität Berlin haben jetzt immerhin einige Nervenzellen im Rattengehirn eingegrenzt, die die Kitzel-Empfindungen verarbeiten. Sie konzentrierten sich dabei insbesondere auf den somatosensorischen Cortex innerhalb der Großhirnrinde, der Sinnesmodalitäten wie Berührung, Druck, Vibration, Temperatur und zum Teil auch Schmerzempfindungen verarbeitet. In dessen „Rumpfregion“ beobachteten sie schließlich große Gruppen von Nervenzellen, die auf Kitzeln deutlich stärker reagierten als auf eine normale Berührung – während andere, kleinere Gruppen in ihrer Aktivität unterdrückt waren (Science 354: 757-60).

Einmal damit angefangen, schienen die Tiere das Kitzeln sogar weiter einzufordern, indem sie der kitzelnden Hand gezielt nachliefen. Aber auch durch pure elektrische Stimulation der identifizierten Neuronen konnten die Berliner nachfolgend die Ratten zu den typischen Ultraschallrufen und Freudensprüngen veranlassen – ganz ohne physisches Kitzeln. 

 

Die Berliner Rattenkitzel-Ergebnisse waren Bernstein TV, dem Video-Kanal des Bernstein Network Computational Neuroscience, extra dieses Video wert.

 

Interessanterweise waren die „kitzligen“ Zellen der Cortex-Rumpfregion ebenfalls aktiv, wenn die Ratten auf andere Art miteinander spielten. Die Reaktion dieser Kitzel-Neuronen war allerdings generell stimmungsabhängig. Bei ängstlichen Tieren etwa war deren Erregung genauso unterdrückt, wie auch die Ultraschallrufe und die Freudensprünge ausblieben.

„Es sieht so aus, als hätten wir die kitzlige Stelle im Gehirn gefunden“, kommentierte Michael Brecht entsprechend die Befunde. „Insbesondere die Ähnlichkeit der Zellantworten beim Kitzeln und Spielen ist bemerkenswert. Vielleicht dient Kitzeln dazu, Individuen zum gemeinsamen Spielen zu bringen und gewinnt dadurch für das soziale Miteinander an Bedeutung.“

Klingt plausibel. Auch wenn sicherlich noch andere Gründe dahinterstecken, warum Mamas so gerne ihre kleinen Babys kitzeln…

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 05.12.2016