Editorial

Gen-Einbau über lose Enden

(23.11.16) Bisher schreckten Forscher vor Gene Editing-Techniken mittels nicht-homologer Verknüpfung von DNA-Enden zurück, weil ihre Fehlerrate zu hoch ist. Mit einem neuen Verfahren hat sich dies grundlegend geändert.
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Bei der Gentherapie entfernen Mediziner überschüssige DNA-Fragmente oder fügen fehlende DNA-Abschnitte hinzu, um Gendefekte zu beheben. Die Strategie, die sie hierbei verfolgen, ist immer die Gleiche: Ein gezielter Doppelstrangbruch in dem defekten Gen soll die Zell-eigene Reparaturmaschinerie dazu veranlassen, eine intakte Kopie des defekten Gens in die Bruchstelle einzubauen. Besonders einfach lässt sich dies mit CRISPR/Cas-, TALEN- oder Zinkfinger-basierten Techniken erreichen. Diese Verfahren nutzen die homologe Rekombination (Homology Directed Repair, HDR) für den Einbau des gewünschten Gens in den Doppelstrangbruch. Dieser wird jedoch mit zunehmender Länge der Insertionen schwierig. Bei CRISPR/Cas ist die Schmerzgrenze meist schon bei einer Länge von 1 kb erreicht.

CRISPR/Cas und Co funktionieren aber grundsätzlich auch über den zweiten Reparaturmechanismus der Zelle: die nicht-homologe Verknüpfung von DNA-Enden (Non-Homologous End Joining, NHEJ). In diesem Fall hängt die DNA-Insertion weder von homologen Sequenzen, noch von der Länge der DNA ab. Mit dieser Strategie gelang es zum Beispiel einer französisch-deutschen Gruppe vor zwei Jahren Gene in Zebrabärblingen gezielt umzuschreiben (Auer et al. Genome Research, 24, 142-53).

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Aufbauend auf dieser Arbeit entwickelte ein internationales Forscherteam um den Stammzellspezialisten Juan Carlos Izpisua Belmonte vom Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien, das Homology-Independent Targeted Integration (HITI)-Verfahren. Mit HITI ist es auch in Säugetieren möglich, Gene gezielt über den NHEJ-Mechanismus zu editieren (Suzuki et al., Nature, doi:10.1038).

Bei CRISPR/Cas dirigiert eine kurze, nutzerdefinierte Single Guide (sg)RNA die Nuklease Cas9 an eine homologe Zielsequenz, die von Cas9 durchtrennt wird. Diese Eigenschaft nutzen Suzuki et al. auch bei der HITI-Strategie aus. Das DNA-Fragment, das in das defekte Gen eingebaut werden soll, kloniert man zunächst in einen Donor-Plasmid. Der Trick dabei ist, dass es von zwei sgRNAs flankiert ist. Das Konstrukt ähnelt einer gebogenen Schwimmnudel (Donor-DNA), die durch eine Manschette (zweimal sgRNA) ringförmig zusammengehalten wird. Schleust man eine entsprechende sgRNA zusammen mit Cas9 in die Zellen ein, so lotst die sgRNA die Nuklease sowohl an die Schnittstelle im Genom als auch auf dem Donor-Plasmid. Im Genom entsteht hierdurch ein Doppelstrangbruch in den die von Cas9 linearisierte Donor-DNA durch die Zell-eigene NHEJ-Reparatur eingesetzt wird.

Das Team um Belmonte testete die HITI-Strategie zunächst an HEK293-Zellen in die Forscher mittels HITI ein mCherry-Gen einbauten. Wie erwartet fluoreszierten die Zellen rot während die Kontrollen, die Donor-Plasmide ohne sgRNA oder willkürlich durcheinander gewirbelte („scrambled“) sgRNAs erhielten, dunkel blieben.

Um die Effektivität von Cas9 für die Experimente mit Säugerzellen zu erhöhen, verknüpften Belmontes Mitarbeiter die Nuklease mit einem Kernlokalisierungs-Signal (BPNLS). Per in utero-Elektroporation schleusten sie Cas9-BPNLS anschließend zusammen mit einem HITI-GFP-Vektor in Mäuse ein. Im Hirn neugeborener, zwei Wochen alter Mäuse, fanden sie anschließend Fluoreszenzsignale, die auf die Integration der eingeschleusten DNA zurückzuführen waren.

Die Gruppe entwickelte die HITI-Vektoren akribisch weiter und konstruierte HITI-GFP-Vektoren, die auf Adeno-assozierte Viren (AAV) basierten. Die AAV-HITI-GFP-Vektoren spritzte das Team in die Sehrinde (visueller Kortex), von Ratten. Immerhin 3.5% der Neuronen fluoreszierten hierauf grün.

Ermutigt von diesen Ergebnissen wagten sich Belmonte und Co. schließlich an die Reparatur eines Gendefekts in Royal College of Surgeons (RCS)-Ratten die aufgrund einer Retina-Degeneration blind sind. Den Tieren fehlt ein circa 2 kb langes Fragment im Mertk-Gen. Den fehlenden DNA-Abschnitt schleuste das Team mit einem AAV-rMertk-HITI-Vektor in die RCS-Ratten ein. Und tatsächlich deuteten die von Suzuki et al., einige Wochen später durchgeführten Analysen darauf hin, dass die Augenzellen vermehrt MERTK-Protein exprimierten. Gleichzeitig verstärkte sich in einem Elektroretinogramm auch die Reaktion der Netzhaut auf Lichtsignale.

Von einer vollständigen Heilung der Retina-Degeneration waren die Ratten jedoch noch weit entfernt. Dennoch ist die HITI-Strategie für gentherapeutische Ansätze äußerst interessant und funktioniert im Gegensatz zu klassischen HDR-basierten Gene Editing-Techniken auch in differenzierten, postmitotischen Zellen.

 

Andrea Pitzschke

 

 

 



Letzte Änderungen: 07.02.2017