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Echte Forscher in der digitalen Welt

(11.4.17) Echte Forscher kontaktieren und aus erster Hand erfahren, wie sie arbeiten. Via Twitter ist das über den Account @realscientists möglich. Wir sprachen mit Jens Foell (@fMRI_guy), der im Februar den deutschsprachigen Ableger @realsci_DE initiiert hat.

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© privat

Der Twitter-Account @realscientists ist auf den ersten Blick etwas ungewöhnlich – jede Woche wechselt das Profilbild, und jeweils ein anderer Forscher kapert den Account.

Jens Foell: Genau, bei @realscientists geben sich Forscher die Klinke in die Hand und twittern dort jeweils für eine Woche. Im Twitter-Jargon nennt man das einen „RoCur“-Account, das steht für „Rotation Curation“. Was Wissenschaft angeht, ist @realscientists der größte RoCur-Account, den es gibt – und soviel ich weiß, war es auch der erste in diesem Bereich. Das englischsprachige Projekt gibt es seit vier Jahren, gegründet wurde es von der australischen Biologin Upulie Divisekera (@upulie). Ich habe diesen Account schon zweimal selbst kuratiert, was mir sehr großen Spaß gemacht hat; und seit etwa einem Jahr arbeite ich administrativ mit.

Wie viele Follower hat @realscientists zur Zeit?

Foell: Aktuell genau 48.235 – da ist wirklich eine schöne Community zusammengekommen. Wir wollen indes nicht nur die Forschung selbst besprechen, sondern die Menschen hinter der Wissenschaft präsentieren – wie es der Name „real scientists“ schon andeutet. Deshalb zeigen wir im Profil des Accounts immer auch ein Gesicht.

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Oft kann man über den Twitter-Feed in Echtzeit verfolgen, was der jeweilige „Realscientist“ gerade macht, welche Experimente laufen, was klappt und was scheitert.

Foell: Genau so ist es gedacht. Die Kuratorinnen sollen aus ihrem Alltag erzählen; es geht um persönliche Einblicke und nicht primär um den Inhalt wissenschaftlicher Publikationen (obwohl das natürlich auch vorkommen kann). Neben aktiven Forschern haben wir beispielsweise auch Leute dabei, die die Wissenschaft verlassen haben und über die Gründe für ihre Entscheidung schreiben. Auch das Thema Work-Life-Balance kommt öfter vor. Wir machen inhaltlich keine Vorgaben, die Kuratorinnen können twittern, was auch immer ihnen am Herzen liegt, frei von der Leber weg. Aber sie sollten natürlich bereit sein, auf Fragen zu antworten. Die @realscientists-Community ist in dieser Hinsicht sehr aktiv – egal was du schreibst, irgendjemand interessiert sich immer dafür und es ergeben sich schöne Diskussionen.

 

 Typischer Tweet, als die Entomologin Nancy Miorelli (@SciBugs) am Ruder von @realscientists war.


An dem Punkt dürften manche Wissenschaftler auch Bedenken haben – denn Twitter ist ja unter anderem auch für seine „Shitstorms“ berüchtigt...

Foell: Es gab bei uns noch keinen ausgewachsenen Shitstorm. Um dem vorzubeugen, haben wir Richtlinien für unsere Kuratorinnen zusammengestellt, die zu einem freundlichen und offenen Stil beitragen sollen. Ich finde, mit der @realscientists-Community zu interagieren ist der größte Spaß, den man bei Twitter haben kann. Es ist aber schon so, dass man bei Twitter schnell an Leute gerät, die eine ganz andere Meinung haben als man selbst. Damit muss man als Wissenschaftler aber klarkommen.

Nun hast du eine deutschsprachige Version des Projekts gestartet, @realsci_DE – der erste nicht-englischsprachige Ableger des Projekts.

Foell: Seit Mitte Februar gibt es die deutsche Variante. Das Konzept ist genau das gleiche, nur eben mit deutschsprachigen Kuratorinnen. Das heißt, wir übersetzten nicht einfach die Tweets, sondern wir haben ein eigenes Programm. Bislang läuft es super, dem Publikum gefällt es und wir konnten ausgezeichnete Leute gewinnen (siehe auch http://realscientistsde.blogspot.de/). Kürzlich hatten wir zum Beispiel Anne Scheel (@annemscheel), die sich mir ihren Arbeiten zur Replikationskrise einen Namen gemacht hat. Und demnächst wird die Ex-Homöopathin Natalie Grams (@nataliegrams1) den Account für eine Woche übernehmen…

..., die wir an dieser Stelle auch schon mal zu Gast hatten (siehe http://laborjournal.de/editorials/973.php)… Allerdings hat sich Twitter im deutschsprachigen Raum bisher nicht richtig durchgesetzt – die Zielgruppe für einen deutschsprachigen Account ist daher doch sehr viel kleiner?

Foell: Sicherlich. Ich habe wenig Hoffnung, dass wir mit @realsci_DE nur annähernd die gleiche Größe erreichen wie der englische Account. Aber auch in Deutschland gibt es einige Wissenschafts-Blogger, die an die zehntausend Follower haben. Potential gibt es auf jeden Fall, und ich finde es lohnt sich. Denn Nicht-Wissenschaftler stellten mir bei Vorträgen immer wieder eine Frage, die ich früher nie so richtig gut beantworten konnte: Wo bekomme ich Informationen direkt aus der Forschung, auf die ich mich verlassen kann? Woher weiß ich denn, was stimmt? Twitter ist eine gute Möglichkeit, direkten Kontakt mit Forschern aufzunehmen – man kann zurückfragen, und hinter dem Account steht jemand, der sich wirklich auskennt.

Ist Forschung nicht oft ein wenig zu kompliziert, um sie in 140 Zeichen zu erklären? Das zumindest ist ein häufig gehörter Einwand gegen Wissenschaftskommunikation via Twitter.

Foell: Sich kurz zu fassen, ein Thema auf das Notwendigste und Klarste herunterzubrechen, das ist eine Kunst. Das macht für mich auch den Reiz aus. Wissenschafts-Twitter ist im Prinzip ähnlich wie die Kaffeepause auf einer Konferenz. Da lernt man neue Leute kennen – und man redet nicht nur, aber auch über Forschung, in aller Kürze. Und natürlich kann man auch einfach mehrere Tweets untereinanderschreiben, und auf Websites verlinken. Aber der besondere Reiz ist gerade, sich kurz zu fassen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Interview: Hans Zauner



Letzte Änderungen: 09.05.2017