Editorial

Zuckerschock für Trypanosomen

(18.4.17) Geeignete Therapien gegen tropische Trypanosomen-Krankheiten sind rar. Ein neuer Wirkstoff, der den Zuckerstoffwechsel der Flagellaten durcheinander bringt, macht jedoch Hoffnung.
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© July Sigma

Die einzelligen, begeißelten Trypanosomen lösen als Parasiten in den Tropen sowohl wirtschaftlich bedeutsame Tierseuchen als auch potentiell tödliche Erkrankungen beim Menschen aus. Besonders gefürchtet sind die Afrikanische Schlafkrankheit und die vor allem in Südamerika vorkommende Chagas-Krankheit, die beide durch stechende Insekten übertragen werden.

Trypanosoma brucei, der Erreger der Schlafkrankheit, gelangt durch den Stich der Tsetse-Fliege in den Endwirt und löst dort nach Wochen eine akute Infektion aus. Später kommen neurologische Symptome wie Verwirrtheit, Koordinations-, Schlafstörungen und Krampfanfälle hinzu, bis der Patient im Endstadium in einen Dämmerzustand fällt.

Auch die Chagas-Krankheit, ausgelöst durch Trypanosoma cruzi, äußert sich nach dem Stich durch infizierte Raubwanzen zuerst in einer akuten Krankheitsphase, die nach einer oft mehrjährigen Latenz in ein chronisches Stadium übergeht. Unbehandelt führt sie durch Herzvergrößerung und Zerstörung von Nervenzellen des Verdauungstrakts in zehn Prozent der Fälle zum Tod – vor allem bei Säuglingen und Kleinkindern. Mit bis zu zwölf Millionen Betroffenen in Süd- und Mittelamerika verursacht die Chagas-Krankheit erheblichen wirtschaftlichen Schaden und breitet sich zudem im Zuge des internationalen Reiseverkehrs sowie des Klimawandels, der den Überträgern die Besiedlung gemäßigterer Klimazonen ermöglicht, zunehmend in andere Weltregionen aus.

Editorial

Achillesferse Glycosom

Trypanosomen lassen sich nur schwer medikamentös bekämpfen. Die wenigen verfügbaren Therapien haben meist starke Nebenwirkungen, und auftretende Resistenzen führen immer häufiger zum Therapieversagen. Erschwerend kommt hinzu, dass Trypanosomen gelernt haben, dem Immunsystem des Wirts zu entkommen. T. cruzi vermehrt sich dazu im Inneren von Wirtszellen, und T. brucei variiert bestimmte Glycoproteine der Zellhülle, um die erworbene Immunität zu unterlaufen.

Neue Hoffnung macht eine niedermolekulare, aromatische Verbindung, die die Gruppen um Michael Sattler und Grzegorz Popowicz vom Helmholtz-Zentrum München sowie Ralf Erdmann von der Ruhr-Universität Bochum kürzlich in Science (355: 1416-20) vorstellten.

 

 

Die Substanz greift in den Stoffwechsel der mit den Peroxisomen verwandten Glycosomen ein. Diese Organellen sind eine Besonderheit der Trypanosomen und für die Einzeller überlebensnotwendig. Sie enthalten hauptsächlich Enzyme des Glucose-Stoffwechsels, die für den Transport in die Glycosomen auf die Interaktion zweier Proteine angewiesen sind – die Peroxine PEX5 und PEX14. PEX5 dient als Rezeptor für die Zielproteine und erkennt diese über ein peroxisomales Importpeptidsignal. Im N-terminalen Teil besitzt PEX5 mehrere Sequenzmotive aus jeweils einem Tryptophan und einem Phenylalanin, die durch drei nicht-aromatische Aminosäuren getrennt sind. Die Aromaten dienen der Interaktion mit PEX14, das in der Glycosomen-Membran sitzt und für die Funktion von PEX5 essentiell ist.

Um eine Substanz zu finden, die die Bindung zwischen PEX5 und PEX14 verhindert, untersuchten die Forscher die Struktur der N-terminalen Domäne von T. brucei-PEX14 mittels Kernspinresonanz-Spektroskopie (NMR). Das Peroxin bildet zwei hydrophobe Taschen, die durch zwei aromatische Aminosäureseitenketten, die Phenylalanine 35 und 52, getrennt werden. In diese Taschen lagern sich jeweils das Tryptophan und das Phenylalanin des Bindemotivs von PEX5 ein, wobei es zu einer Stabilisierung durch die π-π-Wechselwirkungen der delokalisierten Elektronen der aromatischen Ringe kommt.

Spezifischer Hemmstoff für Trypansosomen

Glücklicherweise fanden sich einige strukturelle Unterschiede zur Variante von PEX14, die in menschlichen Peroxisomen eine Rolle spielt: Während die hydrophoben Taschen und die beiden Phenylalanine konserviert sind, befindet sich am C-Terminus des Einzeller-Proteins eine zusätzliche α-Helix, und in den Bindetaschen unterscheiden sich einzelne Aminosäuren. Auf dieser Basis führten Erstautor Grzegorz Popowicz und Co. anhand eines dreidimensionalen Modells der PEX5-PEX14-Interaktion ein virtuelles Wirkstoff-Screening durch und überprüften die Bindung der aussichtsreichsten Kandidaten an 15N-markiertes PEX14 über Kernspinresonanz-Spektroskopie.

 

 

Der „Testsieger“, ein Pyrazolo[4,3-c]pyridine-Derivat, verhinderte trotz eher geringer Affinität zu PEX14 dessen Bindung an PEX5 und war toxisch für diejenige Zellform von T. brucei, die im Blutstrom der Wirte vorkommt. Durch eine Erhöhung der Hydrophobizität konnten die Autoren im Folgenden die Affinität des Hemmstoffs und dadurch auch die Toxizität für die Trypanosomen gezielt steigern. Dazu koppelten sie an zwei Stellen ein als Bindemotiv für PEX14 ermitteltes, doppelt aromatisches Ringsystem an den Hemmstoff.

Wie die Kristallstrukturanalyse zeigte, wurden die als Doppelaromaten ausgewählten Naphthaline in die hydrophoben Taschen von PEX14 eingelagert und verhinderten so die Wechselwirkung mit PEX5. Verschiedene spezifische Interaktionen zwischen dem Hemmstoff und Aminosäuren, die nur bei PEX14 aus Trypanosomen und nicht bei der menschlichen Variante vorkommen, erhöhten dabei die Spezifität der Bindung. Bei verschiedenen Trypanosoma-Arten ist PEX14 dagegen sehr konserviert, so dass der Hemmstoff beispielsweise sowohl gegen Trypanosoma brucei ssp. rhodesiense, den Erreger der Ostafrikanischen Schlafkrankheit, als auch gegen die intrazelluläre Form von T. cruzi – und das sogar deutlich besser als der Referenzwirkstoff Benznidazol.

Erfolg im Versuchstier

Aufgrund der starken Hydrophobizität wurde der Hemmstoff allerdings im Blut von Versuchstieren an Plasmaproteine gebunden und konnte deshalb die Parasitenzahl im Blut des Mausmodells nicht signifikant reduzieren. Durch weitere strukturelle Veränderungen konnte die Konzentration an freiem Wirkstoff im Blut erhöht werden, worauf die Parasitenzahl im Blut abnahm, ohne dass die Mäuse bei der Behandlung Nebenwirkungen zeigten.

Interessanterweise fiel die Wirkung im Versuchstier stärker aus als die Bindung des Hemmstoffs an PEX14 vermuten ließ. Dies lässt sich durch die fehlende Feedback-Regulation der Glycolyse-Enzyme Hexokinase und Phosphofructokinase erklären, denn diese werden durch die begrenzte ATP-Menge reguliert und verbrauchen im Cytosol durch die ungehemmte Phosphorylierung von Glucose Unmengen an ATP. Der hierdurch induzierte ATP-Mangel sowie die sich anhäufenden toxischen Glucose-Intermediate lassen den Stoffwechsel zusammenbrechen, was zum Tod der Einzeller führt.

Möglicherweise kann der Wirkstoff auch weitere mit Trypanosomen verwandte Parasiten wie etwa Leishmanien bekämpfen. Doch zunächst wartet er nun auf seinen Einsatz in einer ersten klinischen Studie.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 12.05.2017