Editorial

Arrestzelle für Zellen

(26.4.17) Die Mechanobiologin Viola Vogel von der ETH Zürich entwickelte zusammen mit japanischen Forschern kleine Minigefängnisse für Stammzellen. Laborjournal wollte von ihr wissen, warum sie die Zellen darin einsperrt.
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Herstellen des Stammzell-Gefängnisse
© RIKEN

Einzelzellanalysen stoßen rasch an ihre Grenzen, wenn es um die Erforschung höherer Organismen geht. In Mehrzellern funktionieren Zellen nun mal nicht als Einzelgänger, sondern als Gemeinschaft. Mit welchem Nachbar eine Zelle in direktem Kontakt steht und welche Signale dieser aussendet, kann schicksalsbestimmend für die Zelle sein. Kolonien humaner mesenchymaler Stammzellen (hMSCs) differenzieren sich beispielsweise lageabhängig zu Fettgewebs- beziehungsweise knochenbildenden Zellen.

Das Japanisch-Schweizer Forscherteam fand einen bestechend einfachen Weg, Stammzellkolonien über mehr als fünfzehn Tage auf den winzigen, genau vorgegebenen Flächen eines sogenannten Micro-Confinement-Arrays bei ihrer Differenzierung zu beobachten (PLoS ONE 12(4): e0173647). Eine Kamera liefert hierbei Bilder an ein eintrainiertes Computerprogramm, das die Farbpixel in einen Differenzierungstyp übersetzt.

Laborjournal hat bei Viola Vogel nachgefragt, wie die Arrestzellen für Zellen funktionieren.

Editorial

Frau Vogel, stellen Sie doch bitte die Micro-Confinement-Arrays kurz vor? Wie werden sie hergestellt, wo finden sie Anwendung, was ist der Vorteil gegenüber bisherigen Technologien? Und wie entstand die Idee, Agarose als Begrenzungsmaterial zu verwenden?

Viola Vogel: Zellen in Geweben sind sehr heterogenen Umgebungen ausgesetzt. Sie werden von ihren Nachbarn gedrückt, wandern entlang von Fasern oder quetschen sich durch kleine löchrige Strukturen. Mit unserer Technologie können wir kleine Populationen von Zellen in einer gut definierten Umgebung für viele Tage, sogar Wochen, stabil einsperren und untersuchen, ohne dass die Zellen die von uns vorgegebene Umgebung beschädigen können.

Um kleine Gefängnisse für Zellen zu bauen, aus denen sie nicht entweichen können, eignet sich Agarose hervorragend. Agarose ist ein Polysaccharid, das von Algen hergestellt wird und von menschlichen Zellen nicht abgebaut werden kann. Da Polysaccharide sehr gut hydratisiert sind, können unsere Zellen auch nicht an Agarose anhaften.

Wie sieht es mit der Lagerfähigkeit aus? Kann man die kleinen Arrestzellen auf Vorrat gießen und trocken lagern?

Vogel: Ja, die Micro-Confinement-Arrays können hydratisiert oder sogar getrocknet gelagert werden. Wie lange haben wir allerdings nicht analysiert.

Abdrücke herstellen, die aus zweierlei lokal-begrenzten Materialien bestehen – das können 3D-Drucker, soweit ich weiß, nicht. Wo sehen Sie weitere Verwendungsmöglichkeiten ihrer Technik?

Vogel: Das von uns vorgeschlagene Verfahren ist einfacher als der 3D-Druck und kann in Laboren realisiert werden, die keinen 3D-Drucker zur Verfügung haben.

Das Prinzip funktioniert vermutlich auch für andere Zellen, also nicht nur für hMSCs?

Vogel: Ja, es gibt grundsätzlich sehr viele Anwendungsmöglichkeiten.

Im PLOS-Paper wird eine neue Software erwähnt, die Computern tatsächlich antrainieren kann, bestimmte Farbpixel zu unterscheiden –sensibler und schneller als ein erfahrener (menschlicher) Mikroskopierer. Wie robust kann dieser mit Fehlsignalen, etwa Luftblasen, umgehen? Was sind die minimalen Voraussetzungen für Kamera und Computer?

Vogel: Wir haben unsere Software nicht in Anwesenheit von Luftblasen getestet. Gängige Mikroskopkameras und Laptop-Computer können diese Aufgabe aber gut lösen.

Interview: Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 19.05.2017