Editorial

Fehlgeleitete Entzündungen

(9.5.17) Eicke Latz erforscht an der Uni Bonn Inflammasomen – die Entzündungsschalter des angeborene Immunsystems. Im Gespräch erklärt er, welche Rolle diese auch bei „großen“ Krankheiten wie etwa Alzheimer spielen. 
editorial_bild

„Eigentlich bin ich ja Mediziner“, blickt der Immunologe Eicke Latz auf seine Forscher-Laufbahn zurück. Doch als man nach Entdeckung der ersten menschlichen Toll-like-Rezeptoren mehr und mehr den molekularen Aktivierungsmechanismen des sogenannten „angeborenen Immunsystem“ auf die Spur kam, entschied sich Latz für die Grundlagenforschung. Vor rund 15 Jahren sei das gewesen. Er habe sich nicht damit abfinden wollen, dass es zwar hochspezifische Medikamente für Krankheiten wie Bluthochdruck gab, beim Immunsystem jedoch zielgerichtete Therapien kaum möglich waren.

Eicke Latz leitet das Institut für Angeborene Immunität an der Universität Bonn. In unserem aktuellen Publikationsvergleich „Immunologie“ steht er auf Platz 15 der meistzitierten Immunologen im deutschsprachigen Raum. Sein besonderes Interesse gilt den Inflammasomen: Proteinkomplexe, die als Signalgeber fungieren, um Entzündungsreaktionen einzuleiten. Mario Rembold hat ihn genauer dazu befragt.

Editorial

Laborjournal: Ich bin zwar Biologe, doch das Immunsystem habe ich noch nie wirklich verstanden.

Eicke Latz: Ich glaube, die meisten Immunologen verstehen es auch nicht richtig. Aber Spaß beiseite: Inzwischen gibt es in der Immunologie eine solche Sub-Spezialisierung, so dass sich der eine Immunologe vielleicht mit der einen Immunzelle besonders gut auskennt, mit der anderen hingegen nicht so gut. Das Gebiet spaltet sich ja auch schon auf in adaptive und angeborene Immunität. Auch da gehen die Wissensstände teilweise in ganz verschiedene Richtungen. Ich kann Sie also beruhigen: Sie sind nicht allein. Die Immunologie ist einfach sehr komplex.

Ihr Spezialgebiet ist das angeborene Immunsystem. In unserer Publikationsanalyse haben wir uns auf die Immunität im klinischen Sinne beschränkt. Tatsächlich gibt es aber gerade bei der angeborenen Immunität molekulare Grundprinzipien, die man nicht nur bei Säugetieren findet.

Latz: Die Prinzipien des angeborenen Immunsystems basieren auf vorgefertigten Rezeptoren, die schon über die Keimbahn kodiert sind. Da muss also nichts mehr rekonfiguriert werden, wie es bei den Antikörpern und MHC-Molekülen der Fall ist. Damit gibt es also von vornherein schon ein Set angeborener Immunrezeptoren, die bestimmte Liganden erkennen. Diese Immunrezeptoren gibt es tatsächlich auch in Pflanzen oder primitiven Einzellern, bis hin zu Vertebraten.

„Letztendlich arbeiten beide zusammen“

Hat das angeborene Immunsystem als evolutionär altbewährtes Werkzeug auch Vorteile gegenüber der adaptiven Immunität?

Latz: Man kann die beiden Immunmechanismen nicht in dem Sinne gegenüberstellen, als dass sich Vor- und Nachteile vergleichen ließen. Letztendlich arbeiten beide zusammen, und die angeborene Immunität ist der adaptiven Immunität vorgeschaltet. Zuerst erkennen die Rezeptoren der angeborenen Immunität, dass eine Gefahr besteht. Ein Virus, ein Bakterium oder auch ganz allgemein ein Danger-Signal, wie es von toten Zellen ausgehen kann. Dann folgen die bekannten Wege, über die dem adaptiven Immunsystem die fremden Signale präsentiert werden – und es entsteht die spezifische Immunantwort. Die T-Zellen werden also durch das angeborene Immunsystem instruiert. Das macht man sich ja auch bei Impfungen zunutze: Man nimmt Adjuvanzien, also Wirkverstärker. Die aktivieren verschiedene Rezeptoren des angeborenen Immunsystems und übermitteln so etwa folgende Nachricht an die T-Zellen: „Dieses fremde Protein kommt zusammen mit einem Aktivator des angeborenen Immunsystems. Das muss also etwas Fremdes sein!“

Bei vielen dieser Reaktion spielt das Inflammasom eine Schlüsselrolle. So nennt man einen Proteinkomplex, der sich in der Zelle auf einen bestimmten Reiz hin formt, der auf einen Eindringling hindeutet. Und dieses Inflammasom stößt dann Prozesse an, die eine Entzündungsreaktion auslösen.

Latz: Genau. Der Mechanismus besteht darin, dass ein Inflammasom bestimmte Situationen erkennt, die für eine Infektion oder eine sterbende Zelle typisch sind.

Bekanntlich gibt es nicht das eine Inflammosom, sondern mehrere Arten von Inflammasomen. Und an den unterschiedlichen Inflammasomen sind auch jeweils andere Proteine beteiligt. Was hat es damit auf sich?

Latz: Zum Beispiel erkennt das AIM2-Inflammasom Doppelstrang-DNA. NLRP3-Inflammasome wiederum erkennen sterile Danger-Signale, die zum Beispiel entstehen, wenn eine Zelle stirbt. Dabei können Kristalle aus Harnsäure oder Cholesterin, oder erhöhte ATP-Mengen im interzellulären Raum von angeborenen Immunzellen als Danger-Signal interpretiert werden.

Wenn sich nun auf so ein Signal hin ein Inflammasom bildet: Was passiert dann?

Latz: Die Inflammasome haben alle ein unterschiedliches Ligandenspektrum, aber was ihnen gemeinsam ist: Sie aktivieren Caspase-1, das durch Spaltung aus einem Vorläuferprotein entsteht. Es kommt zur Pyroptose, also dem inflammatorischen Zelltod der Inflammasom-tragenden Zelle.

Und diese sterbende Zelle setzt wiederum Entzündungssignale frei.

Latz: Ja. Caspase-1 aktiviert beispielsweise die Interleukine 1 und 18. Das sind typische fieberauslösende pro-inflammatorische Signale.

Ihr Team interessiert sich ganz besonders für die Inflammasome, die aus NLRP3 bestehen. NLRP3 ist einer von vielen Nod-like-Rezeptoren, die alle in der Lage sind, Inflammasome zu bilden. Warum ist ausgerechnet NLRP3 so interessant?

Latz: Weil es speziell auf diese sterilen Danger-Signale reagiert. Und die spielen auch bei vielen Volkserkrankungen eine Rolle. Organische Kristalle und Aggregate sind nämlich beispielsweise wichtig im Zusammenhang mit Arteriosklerose, Alzheimer und auch Krebs. Der Selektionsdruck, besonders gute Immunantworten gegen Viren und Bakterien bereitzustellen, war im Lauf der Evolution sehr groß. Doch heute sterben wir ja nicht mehr vorwiegend an Infektionen. Deshalb haben wir oft Erkrankungen, bei denen es zu Fehlinterpretationen kommt, aufgrund derer sich wiederum Inflammasome formen. Zum Beispiel, weil im Alter Cholesterinkristalle oder Amyloid-Beta-Peptide entstehen. So kommt es dann zu einer permanenten subklinischen Entzündung bei diesen verschiedenen Erkrankungen. Wir forschen so viel am NLRP3-Inflammasom, weil es gerade wegen der Signale, die es erkennt, medizinisch so relevant ist.

„Es gibt eine große Redundanz im Immunsystem“

Im Analysezeitraum unseres Publikationsvergleichs „Immunologie“ ist der am häufigsten zitierte Artikel Ihrer Gruppe eine Arbeit zu NLRP3 im Zusammenhang mit Alzheimer. 2013 war das. Ihr Team berichtet darin, dass Mäuse ohne funktionsfähiges NLRP3 oder ohne funktionierende Caspase-1 weitestgehend von typischen Alzheimer-Symptomen verschont bleiben (Nature 493(7434): 674-78). Das unterstreicht ja Ihre Theorie: Wenn man die Inflammasom-Bildung und die nachfolgenden Signalwege als Reaktion auf die Amyloid-Plaques unterbindet, verhindert man auch die Ausprägung der Alzheimer-Symptome. Wären NLRP3-Inhibitoren aber tatsächlich eine sinnvolle Therapie-Option? Man würde damit doch vielleicht auch wichtige Immunreaktionen verhindern!

Latz: Prinzipiell birgt jede immunmodulierende Therapie das Risiko einer erhöhten Infektionsgefahr. Allerdings gibt es im Immunsystem eine große Redundanz. Es gibt zum Beispiel noch andere Inflammasome, die speziell bakterielle Peptide oder Viren-DNA erkennen können. Wir denken, wenn man das NLRP3-Inflammasom blockiert oder genetisch entfernt, hat man immer noch die anderen Inflammasome als Schutz vor der Invasion durch Bakterien oder Viren. Natürlich müsste man so etwas sorgfältig beobachten, wenn man eine klinische Studie durchführt.

Sie hatten 2015 auch schon ein kleines Molekül als NLRP3-Inhibitor identifiziert und gezeigt, dass diese Substanz andere Inflammasome nicht beeinträchtigt (Nature Medicine 21(3): 248-55). Ist es vorstellbar, dass wir bald einen selektiven Inflammasom-Hemmer als Alzheimer-Medikament haben?

Latz: In der Arbeit, an der wir beteiligt waren, ging es um eine Substanz mit dem Namen CRID3, die die Firma Pfizer schon vor 15 Jahren entdeckt hatte. Damals hatte man gesehen, dass das Molekül den Interleukin-1-Release inhibiert. Zu der Zeit war das Inflammasom aber noch gar nicht bekannt. Wir haben in diesem neueren Paper nur herausgefunden, dass Interleukin-1 deswegen blockiert ist, weil die Substanz die NLRP3-Aktivierung inhibiert. Inflammasom-Inhibitoren könnte man in der Tat als ein neuartiges Therapeutikum der Alzheimer-Erkrankung entwickeln, allerdings ist CRID3 noch nicht die richtige Substanz. In der Zukunft kann man aber hoffentlich tatsächlich spezifisch wirkende Medikamente bei einer Reihe von chronisch-entzündlichen Erkrankungen klinisch erproben. 



Letzte Änderungen: 02.06.2017