Editorial

Selbstorganisierte Mini-Gehirne

(7.6.17) Ein Zweit-Hirn als Backup, das wär´doch was! Auch wenn Jürgen Knoblichs Team mit Gehirn-Organoiden andere Zwecke verfolgt, so kommt die Masse aus Zellgewebe dem menschlichen Hirn doch verblüffend nahe.
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© IMBA Wien

Differenzierte Zellen befinden sich auf einer Einbahnstraße: Ein gezieltes Umformen von Zelltyp A in Zelltyp B, C oder D ist so gut wie unmöglich. Pluripotente Stammzellen dagegen besitzen die Fähigkeit, sich abhängig von Umweltreizen zu B, C oder D zu entwickeln. Formieren sich Stammzellen in vitro zu einem Gebilde, entstehen stark vereinfachte Miniaturvarianten echter Organe, sogenannte Organoide. Dabei profitiert der Organbastler vor allem von der Fähigkeit der Zellen zur Selbstorganisation. Zellen senden und empfangen Signale und organisieren sich zu größeren Strukturen.

Dabei gibt es aber ein Problem: Das entstehende Organoid ist meist kugelförmig. In solch einem Klumpen können die beteiligten Zellen nicht richtig miteinander kommunizieren. Während sich Zellen an der Kugeloberfläche bereitwillig zu Nervenzellen umprogrammieren lassen, tut sich im Kugelinneren nichts. In vitro-gezogene Hirn-Organoide bestehen also nur zu einem Bruchteil aus Hirnzellen. Wie viele Zellen sich wunschgemäß verwandeln und wie sie verteilt sind, variiert sehr stark und lässt sich nicht vorhersagen. Entsprechend begrenzt ist die Aussagekraft von Experimenten oder Schnitten an diesen Gewebsmassen.

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Jürgen Knoblichs Team vom Institut für Molekulare Biotechnologie in Wien, das durch Rick Liveseys Gruppe vom Gurdon Institut der Universität Cambridge in England verstärkt wurde, vermutete, dass das Oberfläche-zu-Volumen-Verhältnis von Organoiden ausschlaggebend für die Zelldifferenzierung ist. Im Inneren großer Zellklumpen empfangen Zellen ganz andere Signale als ihre Pendants auf der Kugelhülle.

Die Wissenschaftler überlegten sich daher zunächst, wie sie die Oberfläche von Organoiden vergrößern konnten. Das Erfolgsrezept bestand schließlich darin, die Vorzüge zweier Materialien und Technologien zu kombinieren: Pluripotente Stammzellen, die sich selbst organisieren und ein Zellgerüst aus dem Biowerkstoff Polylactide-co-Glycolide (PLGA).

PLGA manipuliert die Stammzellen so dezent, dass diese sich zu flachen Gebilden, statt zu unstrukturierten Klumpen organisieren (Nature Biotechnology). PLGA leitet die Zellen sanft in die gewünschte Richtung, ohne sie in eine fixe Position zu drängen. Nur fünf bis zehn Prozent kommen hierbei in unmittelbaren Kontakt mit dem Polymer. Die restlichen lagern sich dank Selbstorganisation an die primär gebundenen Zellen an. Binnen fünf Tagen Inkubation entstehen sogenannte Micro-patterned Embryoid-Körperchen. Nach Induktion und weiteren fünf bis sechs Tagen entwickeln sich diese zu Neuroektodermal-Gewebe.

Damit in sechzig Tagen die gewünschten Hirn-Organoide (engineered Cerebral Organoids, enCORs) vorliegen, muss das Gewebe noch in die richtige Form gebracht werden. In vivo formieren sich Neuronen während der Cortex-Entwicklung zu einer Scheibe, der kortikalen Platte. Ihre strahlenförmige Anordnung ist ausschlaggebend für die neuronalen Säulen des adulten Cortex. Die Wissenschaftler bauten die kortikale Platte mit Matrigel nach, das als extrazelluläre Matrix (ECM) diente. Auf verdünntem Matrigel lagerten sich die Zellen, geleitet von der PLGA-Gerüstsubstanz, in der gewünschten Scheibenform an.

Prinzipiell produzieren Zellen die ECM selbst, ohne extern zugegebenes ECM geht es aber noch nicht ganz. Unterbanden die Forscher den endogenen ECM-Abbau mit ECM-Metalloprotease-Inhibitoren, bildete sich keine kortikale Platte.

Eine weitere Optimierung bestand in der Behandlung des Zell-PLGA-Matrigel-Gemischs mit einem GSK3-beta-Inhibitor/Wnt-Aktivator (CHIR), der das Außenwachstum des Neuroepitheliums unterstützte. Um unerwünschte Nebeneffekte zu minimieren, begrenzten die Hirnforscher die CHIR-Behandlung auf drei Tage.

Mithilfe von RNAseq-Analysen nach zwanzig und sechzig Tagen wies die Gruppe nach, dass das gezüchtete Gewebe hauptsächlich aus den gewünschten Neuroektodermal-Zellen bestand. In Gegenwart von PLGA überwogen Gen-Annotationen für die Nervensystementwicklung, bei der klassischen, PLGA-freien Kultur dominierten dagegen Annotationen, die für die Verdauungstrakt- oder Herzentwicklung typisch sind.

Einen zweiten Beleg für Neuroektodermal-Zellen lieferten Gewebefärbungen. Den Wissenschaftlern gelang es außerdem, einzelne Zellen für das Lebendzell-Imaging sowie morphologische Analysen zu markieren. Hierfür schleusten sie einen GFP-Marker mittels Elektroporation in die Ventrikularzone ein.

Funktioniert das Ganze tatsächlich nur mit PLGA? Es müsste doch noch mehr Naturmaterialien geben, die Zellen minimal beeinflussen und sich nach getaner Gerüstarbeit selbst aufzulösen. Bisher fanden Wissenschaftler jedoch keine. Sowohl Zellulose als auch Fasern von Meeresschwämmen führten zu unerwünschten Zellklumpen. Diese Materialien generell als ungeeignet abzustempeln, ist aber vermutlich voreilig. Gerade bei Zellulose könnte es nur eine Frage der passenden Faserdicke sein.

 

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 03.07.2017