Editorial

GPS für Zellen

(13.9.17) Wenn Zellen „aus der Reihe tanzen“ und ihre eigentliche Funktion nicht mehr erfüllen, kann der gesamte Organismus ins Wanken geraten und letztlich irreversibel erkranken. Rechtzeitig therapeutisch eingreifen kann nur, wer die fehlgeleiteten Zellen orten und auch ihre Nachkommen in vivo verfolgen kann.
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Herzmuskel mit PET-Reporter

© Robert Feil & Bernd Pichler

Das Verfolgen der Zellen (tracking) sollte möglichst nicht-invasiv und quantitativ erfolgen. Ein Forscherteam um den Spezialisten für Transgene Mäuse Robert Feil von der Universität Tübingen, nahm sich dieser Herausforderung an (Nature Communications). Dabei machte es sich das in Mäusen gut etablierte Cre/lox-System zunutze. Dieses beruht auf einer Rekombinase (Cre), die gepaarte Lox-Sites (ursprünglich aus Bakteriophagen) erkennt. Trifft Cre auf einen von Lox-Sites flankierten DNA-Abschnitt, entfernt sie diesen und schließt die entstandene Schnittwunde. Trägt eine Mauslinie das Cre-Gen unter Kontrolle eines gewebespezifischen Promoters und wird mit einer „gefloxten“ Maus (diese trägt das zu entfernende Zielgen X zwischen zwei Lox-Sites; davor ist ein konstitutiver Promoter platziert, dahinter wahlweise ein Reportergen Y) gekreuzt, zeigen einige Nachkommen die gewünschte Rekombination: Sie exprimieren in dem vom eingesetzten Promoter diktierten Zelltyp kein Zielgen X mehr, stattdessen aber das gewünschte Reportergen Y.

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Bisher waren Reportergenaktivitäten jedoch nicht ausreichend sensitiv oder nur unter Opferung der Maus (Gewebeschnitte) nachweisbar. Auch verdünnten sich die Signale der Ursprungszelle nach und nach im Zuge der Zellteilung. Der eigentliche Trick des Forscherteams besteht aus dem Einsatz einer Thymidinkinase (sr39tk) als Reportergen, die in exprimierenden Zellen 18F-markierte Tracermoleküle "einsperrt". Die Kinase kann 18F sowie 124I-gelabelte Nukleosid-Analoga phosphorylieren. Die Isotope, egal ob frei oder Teil eines Moleküls, lassen sich nicht-invasiv und dennoch sensitiv mittels Positronenemissionstomographie ( PET) aufspüren. Während das Tracer-Nukleosid-Analog (18FHBG) im nativen Zustand Zellmembranen ungehemmt passiert, gelangt es in phosphorylierter Form nicht mehr hinaus. Die Isotope reichern sich somit im Innern von Zellen an, die das Reportergen sr39tk exprimieren. Der gewebespezifische Promoter bestimmt nur, welcher Zelltyp nach Cre-vermittelter Rekombination erstmals sr39tk exprimieren soll. Dessen Tochter- und Enkelzellen tragen dann bereits den aktivierten Lokus. Sie exprimieren daher sr39tk - ganz egal, ob Cre überhaupt noch munter ist oder inzwischen vom Silencing lahmgelegt wurde. Der aktivierte Lokus und somit die Kinaseaktivität wird an die Folgegenerationen stabil weitergegeben. Welchen Differenzierungsweg die Nachkommenschaft einschlägt, spielt dafür keine Rolle. Solange genügend Substrat (Nukleosid) vorhanden ist, „strahlen“ alle Abkömmlinge einer ursprünglich rekombinierten Zelle und sind entsprechend gut detektierbar. Auf diese Weise wäre zum Beispiel zu erkennen, ob eine Tumorzelle ursprünglich aus einer Blut- oder Knochenzelle hervorgegangen ist.

Die Tübinger Wissenschaftler schleusten das sr39tk-Reporterkonstrukt mittels homologer Rekombination in den R26-Lokus muriner embryonaler Stammzellen ein und generierten transgene Mäuse. Das Konstrukt bestand aus einem konstitutiven CAG-Promoter, einem zwischen zwei Lox-Sites platzierten rotfluoreszierendem Protein aus Tomate, sowie dem sr39tk-Reportergen. Aus unbekannten Gründen sind nur die Weibchen fruchtbar. Diese kreuzten sie dann mit Mäusemännchen, bei denen Cre von einem Gewebe-spezifischen Promoter gesteuert wird. Die Lokus-Aktivierung führt schließlich zum Verlust der roten Fluoreszenz und der Isotopen-Anreicherung.

Da die PET-Detektion bisherige Alternativmethoden in punkto Sensitivität um einiges übertrifft, kann man mit ihr auch die "Spezifität" bisher charakterisierter Promotoren untersuchen. Das Tübinger Team fand zum Beispiel beim vermeintlich T-Lymphozyten-spezifischen CD4-Promoter eine unerwartete Aktivität in Herz und Lunge. Generell zeigten die PET-Daten eine gute Korrelation mit den Werten aus parallel durchgeführten b-Galaktosidase-Staining Experimenten. Für letztere verwendeten die Forscher Substrat-infiltriertes Gewebe von Mäusen, die lacZ als Reportergen trugen. Sie griffen hierzu auf etablierte Mauslinien zurück (www.creportal.org).

Anhand dreier ausgewählter Promoter-Cre-Männchen zeigte das Team, dass die Kreuzung mit ihrer 39sk-Linie zur Isotopenanreicherung in den erwarteten Geweben/Organen führt. Hierfür nutzte es die Promotor-Cre-Konstrukte Pf4-Cre, CD4-Cre, Myb6-Cre, die spezifisch für Blutplättchen, T-Lymphozyten beziehungsweise Herzmuskelzellen waren.

Die Sorge, dass die 39tk-Aktivität das Zellverhalten beeinflussen könnte, räumten die Forscher weitgehend aus: Die Zahl der Blutplättchen in pf4/39sk-Mäusen ähnelt der von Kontrollnagern. Die T-Zell-Quantifizierung (unter anderem aus Lymphknoten und Milz) mittels Durchflusszytometrie ließ jedoch eine leichte Abweichung erkennen.

Als echtes Anwendungsbeispiel demonstrieren die Forscher zum Beispiel die Entzündungsantwort in Mäusen, bei denen jeweils nur ein Ohr gereizt wurde. CD4/sr39tk-Mäuse zeigten daraufhin spezifisch am gereizten Ohr stärkere PET-Signale, da es hier zu einer Anreicherung von T-Lymphozyten kam.

Optimierungsbedarf besteht noch bei der Reinheit der Tracer-Substanz. Sie besteht zu 82 bis 92 Prozent aus dem Nukleosid, enthält aber auch freies 18F. Dieses reichert sich in Knochen an und verursacht störende Hintergrundsignale. Für Beobachtungen über längere Zeiträume rät das Team daher zu Nukleosid-Analoga mit 124I, anstelle des kurzlebigeren 18F.

Eine Weiterentwicklung ihrer Strategie sehen die Forscher im Ersetzen des sr39kt-Reportergens durch eine Zelltod-auslösende Funktion. Damit ließen sich zum Beispiel therapeutische Zellen durch die Verabreichung eines Wirkstoffs (einleiten der Cre-vermittelten Lokusaktivierung) gezielt beseitigen, sollten sie sich nicht wie gewünscht verhalten.

 

Andrea Pitzschke



Letzte Änderungen: 05.10.2017