Editorial

Editor’s Corner: Pseudowissenschaft

(02.01.2018) Wenn Ergebnisse eklatant dagegen sprechen, verabschiedet sich der echte Wissenschaftler sogar von seiner liebsten Theorie. Der Pseudowissenschaftler niemals.
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Erinnert sich noch jemand an den Kasseler „Gnomen-Klüngel“? Vor über elf Jahren zielte Siegfried Bär unter dieser Überschrift mit spitzer Feder auf die Versuche, der Anthroposophie mittels zweier ziemlich skurriler Stiftungsprofessuren an der Universität Kassel zu akademischen Weihen zu verhelfen. Um Biodynamische Landwirtschaft nach Rudolf Steiner ging es da, um Biokristallisation – ja sogar um die Erforschung von Gnomen und Elfen.

Offenbar wird der Artikel tatsächlich noch vereinzelt gelesen, denn erst kürzlich bekamen wir wieder eine E-Mail, mit der die Verfasserinnen scharf gegen den Artikel protestierten und die Anthroposophie vehement verteidigten. Solche Beschwerden hatten wir natürlich einige erhalten, als der Artikel frisch veröffentlicht war. Was an dieser E-Mail jedoch – neben dem zeitlichen Abstand – besonders war: Unterzeichnet hatten sie zwei Wissenschaftlerinnen eines medizinischen Forschungsinstituts.

Unter anderem werfen sie uns darin folgendes vor: „Ihr Bericht über die Anthroposophen [...] stellt das Maximum an Intoleranz und Polemik dar. Wir können daher nicht glauben, dass ihre Zeitschrift tatsächlich einem wahrhaft wissenschaftlichen Ansatz folgt, wenn dort offensichtlich nur Menschen arbeiten, die unterschiedliche Sichtweisen und Denkrichtungen nicht tolerieren.“

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Wie bitte? Wir mussten uns wirklich die Augen reiben. Allerdings: So krass dieser Vorwurf auch klingt, war es dennoch bei weitem nicht das erste und einzige Beispiel, das uns zweifeln ließ, ob man als ausgebildeter Wissenschaftler, der weiterhin an einem wissenschaftlichen Institut arbeitet, auch immer weiß, was Wissenschaft eigentlich ist. Und vor allem: Ob ihm klar ist, was Wissenschaft tatsächlich von Pseudowissenschaft trennt.

Insbesondere Karl Popper machte sich Gedanken über diese Demarkationslinie, die echte Wissenschaft klar zu trennen vermag von „Nicht-Wissenschaft, die versucht, wie Wissenschaft zu wirken“. Vor allem wollte er herausfinden, was genau der Pseudowissenschaft fehlt, um sie zur echten Wissenschaft zu machen. Seine Schlussfolgerungen lassen sich grob wie folgt zusammenfassen:

Wissenschaft beginnt mit dem Entwickeln von Theorien. Diese Theorien sind jedoch immer vorläufig. Sie können sehr spekulativ oder extrem gut getestet sein – aber wie auch immer, wissenschaftlich gesehen bleiben es immer Theorien. So ist beispielsweise auch die Auffassung, dass Zebras Streifen haben, streng wissenschaftlich keine Tatsache, sondern eine Theorie – schließlich könnten wir ja eines Tages doch Zebras ohne Streifen entdecken. Der Begriff „Theorie“ hat in der Wissenschaft folglich eine fundamental andere Bedeutung als im Alltag.

Für den Laien ist das natürlich wenig intuitiv. Was aber daraus folgt, ist, dass wissenschaftliche Behauptungen in der Regel testbar, und somit falsifizierbar sind ( – wie gesagt, man muss nur nach Zebras ohne Streifen suchen). Das ist ein sehr wichtiges Kriterium, denn auf diese Weise wird die Wissenschaft förmlich angetrieben, ihre Theorien stets zu hinterfragen – und somit nach Hinweisen zu suchen, die belegen könnten, dass eine Theorie falsch ist.

Die Wissenschaft kann also Belege liefern, aufgrund derer man mit Sicherheit feststellen kann, dass eine Schlussfolgerung falsch ist; sie findet jedoch niemals Beweise, um eine Theorie abschließend und endgültig zu bestätigen. Und wenn sich auf diese Weise ein wissenschaftliches Bild der Welt tatsächlich als falsch erweisen sollte, so gibt uns eine solche Wissenschaft immerhin die Chance, herauszufinden, dass es falsch ist – und wir können zu einem anderen Bild wechseln.

Pseudowissenschaft dagegen sucht Bestätigung; sie zielt darauf ab, nach Beweisen zu suchen, die ihre Behauptungen stützen. Und diese Behauptungen wiederum sind in aller Regel so formuliert, dass sie zu jeder erdenklichen Art von beobachtbaren Ergebnissen passen. Die logische Schlussfolgerung ist daher, dass kein Test jemals wirklich zeigen kann, dass pseudowissenschaftliche Behauptungen falsch sind – was bedeutet, dass diese überhaupt nicht testbar sind. Wie soll man beispielsweise die Existenz von Gnomen und Elfen falsifizieren – also testen, dass Gnomen und Elfen nicht existieren?

Im Endeffekt kann einem Pseudowissenschaft auf diese Weise zwar das Gefühl geben, dass du ein ganz gutes Bild davon hast, wie die Welt funktioniert – aber man könnte damit genauso gut völlig falsch liegen! Allerdings: Im Gegensatz zur Wissenschaft wird man dies hier niemals herausfinden.

Natürlich verbringt kaum ein Wissenschaftler seine Zeit unablässig damit, darüber nachzudenken, wie er seine eigenen Theorien hinterfragen und falsifizieren könnten. Wichtig ist jedoch die grundsätzlich unterschiedliche Haltung zwischen Wissenschaft und Pseudowissenschaft. In einer idealen Welt ist ein Wissenschaftler darauf vorbereitet, sich sogar von seiner allerliebsten Theorie zu verabschieden, falls sich die Belege dagegen häufen. Befürworter von Pseudowissenschaften würden das hingegen niemals tun.

Ralf Neumann



Letzte Änderungen: 01.01.2018