Editorial

Fortschritt und Gefahr

(22.01.2018) Neurotechnologische Entwicklungen können auch militärischen Zwecken dienen. Sollte deren Erforschung deshalb verboten werden? Natürlich nicht, sagen drei Medizin-Ethiker, aber neue Regularien sind dringend nötig.
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(22.01.2018) Forschung ist gut und wichtig – manche Forschungsprojekte bergen jedoch auch ein düsteres Potential. Studien zu Grippeviren zum Beispiel. Die Erforschung ihrer Pathogenität eröffnet neue Möglichkeiten, gezielt therapeutisch einzugreifen. Andererseits, in den falschen Händen, hat derlei Forschung auch das Potential, einer ganzen Menge Menschen das Leben zu kosten. Vor allem Bakteriologen und Virologen sind daher mit dem Themenkomplex Dual-Use Research of Concern (DURC) mehr als vertraut.

In naher Zukunft sollten sich aber auch einige Neurowissenschaftler mit dieser Thematik beschäftigen – das sagen zumindest Medizinethiker von der Uni Basel. „In den letzten zwei Jahrzehnten wurden immer wieder neue Bedenken geäußert, denn verschiedene aufkommende Neurotechnologien zeigen DURC-Potential“ schreiben Marcello Ienca et al. in einem kürzlich veröffentlichten Opinion-Paper in Neuron.

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Brain-Computer-Interfaces

Dazu zählen unter anderem Brain-Computer-Interfaces (BCI). Das Militär nutzt BCIs zum Beispiel, um unbewusste neurologische Antworten auf Gefahr in bewusst wahrgenommene Informationen umzuwandeln (Threat Warning System). In der Klinik helfen BCIs aber Patienten, die an neuronalen Erkrankungen leiden, einen Teil ihrer kognitiven oder motorischen Fähigkeiten wiederzuerlangen.

Wir befinden uns also in einem klassischen Dilemma. Die Weiterentwicklung von Neurotechnologien trägt ganz klar zum Wohl von Patienten bei, aber sie kann auch für militärische und/oder kriminelle Zwecke genutzt werden. Was tun?

Im Jahr 1999 wurde in der Europäischen Kommission ein Verbot angeregt, das die Entwicklung von Waffen auf Grundlage von Wissen über chemische, elektrische oder andere Funktionsweisen des menschlichen Gehirns zur Manipulation des Menschen untersagt.

Auch anders herum

Die Schweizer Medizinethiker glauben jedoch, dass ein Verbot keine gute Idee sei. Denn nicht nur die Neuroforschung speist das Militär, es geht auch anders herum. Technologie, die vom Militär entwickelt und finanziert wird, könnte sich in der Klinik als nützlich erweisen. „Es kann nicht prinzipiell ausgeschlossen werden, dass militärische Neurotechnologie einen ähnlichen historischen Verlauf nimmt wie zum Beispiel das GPS-Überwachungssystem und das Internet – beide ursprünglich für das Militär entwickelt“, sagen die Autoren.

Was jedoch gebraucht wird, seien neue Regularien und ein Bewusstsein für die „Mehrweg-Forschung“. Dies, so die Medizin-Ethiker, könne innerhalb eines Rahmenwerks geschehen. „Unser Rahmenwerk fordert die Erarbeitung von Bestimmungen und ethischen Leitlinien, die darauf abzielen, die psychische Integrität von Einzelpersonen und Gruppen zu schützen“, sagt Marcello Ienca in einer Pressemitteilung. Derzeit besteht zum Beispiel kein spezieller Schutz gegen das „unautorisierte Eindringen in das menschliche Gehirn mittels Neurotechnologie“, geben die Ethiker zu Bedenken.

Große Verantwortung

Auch die Wissenschaftler selbst sind gefragt. In einem Report zum Thema „Neuroscience, Conflict & Security“, schreibt die British Royal Society: „Neurowissenschaftler haben die Verantwortung, sich von Anfang an bewusst zu machen, dass ihr Wissen und ihre Technologien auch zu missbräuchlichen Zwecken genutzt werden können.“

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 22.01.2018