Editorial

Giftige Killer-Fliegen

(30.01.2018) Fliegen gelten als harmlos, doch Raubfliegen können ganze Bienenstöcke ausnehmen. Ihre Waffen sind neuartige Nervengifte, die dem Opfer mit Hochdruck verabreicht werden.
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(30.01.2018) Viele Tiere sind giftig und nutzen dies für die Selbstverteidigung oder die Jagd. Die meisten Tiergifte sind komplexe Cocktails aus Proteinen, Peptiden, Salzen und organischen Verbindungen, wobei die beiden erstgenannten Komponenten die größte Vielfalt zeigen.

Vor allem unter den Gliederfüßern (Arthropoda) gibt es viele Giftproduzenten wie Spinnen, Skorpione und Insekten. Zu letzteren gehören die Raubfliegen (Asilidae). Ganz anders als ihre als Sinnbild der Harmlosigkeit bekannten Verwandten sind die weltweit verbreiteten und artenreichen Raubfliegen extrem erfolgreiche Jäger. Ihr ökologischer Einfluss ist enorm, denn sie können selbst große und wehrhafte Beute wie Libellen und Spinnen angreifen, ganze Heuschreckenpopulationen dezimieren oder einzelne Bienenvölker ausrotten.

An die räuberische Lebensweise sind die Raubfliegen mit ihren schlanken aber widerstandsfähigen Körpern perfekt angepasst. Sie sind gute Flieger, haben große Augen, einen nadelartigen Hypopharynx, mit dem sie die Beute anstechen, und einen gepanzerten Saugrüssel.

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Unerwartetes Fehlen von Enzymen

Nach dem Stich einer Raubfliege sind die Opfer nahezu sofort gelähmt, was darauf hinweist, dass ein potentes Gift verabreicht wird. Dies haben Wissenschaftler der Universität Leipzig nun bestätigt und die Komponenten des Giftcocktails genauer unter die Lupe genommen. Dabei fanden sie heraus, dass die Gifte von Seiden-Raubfliege (Machimus atricapillus) und Barbarossa-Fliege (Eutolmus rufibarbis) unerwartet viele neuartige Peptid-Toxine aufweisen. Enzyme wie Proteinasen und Peptidasen waren dagegen kaum nachweisbar. Dies kam unerwartet, denn Raubfliegen ernähren sich wie viele Arthropoden, indem sie ihre Beute durch extrakorporale Verdauung verflüssigen und daraufhin aussaugen.

Im Gegensatz zu Giften aus anderen Tiergruppen sind Insektengifte relativ schlecht erforscht. Bei den beiden Raubfliegenarten ließen sich 31 hypothetische Gift-Proteinklassen nachweisen, deren Gene in den Giftdrüsen des Thorax abgelesen wurden. Davon waren zehn neuartig und erhielten die Bezeichnung Asilidin 1-10. Überraschend für Björn Marcus von Reumont und Kollegen war, dass sich Proteine, deren Gene stark abgelesen wurden, nicht unbedingt im Proteom des Giftcocktails wiederfanden. Bei der Barbarossa-Fliege wurden lediglich acht Gruppen von sezernierten Proteinen, bei der Seiden-Raubfliege 13 nachgewiesen.

Neurotoxine mit Cystinknoten

Der Giftcocktail der Barbarossa-Fliege bestand zu 97%, der der Seiden-Raubfliege zu 87% aus neuartigen Peptiden und Proteinen mit unbekannter Funktion. Einige dieser Peptide wiesen ein Strukturmotiv auf, wie es von neurotoxischen Peptiden bekannt ist. Dabei handelt es sich um ein antiparalleles beta-Faltblatt, das durch einen sogenannten Cystinknoten stabilisiert wird.

Dieses Strukturmotiv (cystine inhibitor knot) aus zwei durch Disulfidbrücken verketteten Ringen, ist die wahrscheinlich am weitesten verbreitete Peptidfaltung in tierischen Giften und kommt bei Neurotoxinen vor, die Ionenkanäle beeinflussen.

Um zu überprüfen, ob die entsprechenden Raubfliegen-Toxine ähnlich wirken, wurde das häufigste Transkript aus der Gruppe der Asilidine 1, Mar1a, synthetisch hergestellt und der Honigbiene injiziert. Die Versuchstiere zeigten daraufhin klare neurologische Symptome wie verlangsamte Bewegungen, Desorientierung und Lähmung. Die Wirkung war somit der des als Kontrolle injizierten Neurotoxins Atracotoxin der Trichternetzspinne Hadronyche versuta vergleichbar.

Hochgeschwindigkeits-Giftspritze

Die Forscher konnten außerdem mittels Computertomographie zeigen, dass die Fliegen einen komplizierten Stechapparat besitzen, um das Gift gegen den Druck der Hämolymphe in die Beute zu injizieren. Der in den thorakalen Giftdrüsen gebildete Giftcocktail gelangt zuerst in den Innenraum des Hypopharynx und wird über diesen in die Hämolymphe des Opfers gespritzt. Im nächsten Schritt führt die Fliege ihre Magenflüssigkeit durch den Rüssel in die Beute ein, um deren Gewebe enzymatisch zu verflüssigen. Das Einsaugen der vorverdauten Flüssigkeit geschieht dann mit Hilfe eines Unterdrucks, der durch eine Vergrößerung des Mundvor- und Rachenraums erzeugt wird.

Die Raubfliegen-Toxine scheinen unabhängig von denen der nah verwandten Stechmücken entstanden zu sein. Aufgrund ihrer Neuartigkeit und der vergleichsweise einfachen Herstellungsweise können die neuartigen Peptide möglicherweise als Leitmoleküle für die Entwicklung von Bioinsektiziden oder therapeutischen Wirkstoffen zum Einsatz kommen.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 30.01.2018