Editorial

Vorteilhafte Verstümmelung

(27.02.2018) Spinnenmännchen bestimmter Arten verletzen nach dem Geschlechtsakt die Genitalien ihrer Partnerin. Ein mathematisches Modell erklärt die Evolution dieses rabiaten Verhaltens.
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Larinia jeskovi

(27.02.2018) Geht es darum sich fortzupflanzen, haben Männchen und Weibchen sehr unterschiedliche Interessen. Bei Spinnenmännchen gilt: viele Paarungspartner versprechen eine große Nachkommenschaft. Weibchen dagegen sind wählerisch. Sie können hauptsächlich über die gezielte Auswahl von Partnern ihren Fortpflanzungserfolg steigern. Die Weibchen bestimmen wer Vater wird. Zum einen akzeptieren sie nur manche Männchen, zum anderen können sie sich später noch mit „besseren“ Männchen paaren. Die Spermien verschiedener Paarungspartner werden eingelagert. Im Weibchen konkurrieren diese dann um die Befruchtung der Eier.

Um den Konkurrenzkampf für sich zu gewinnen, haben Männchen einige „Tricks“ auf Lager. Nach der Verpaarung hindern sie zum Beispiel ihre Partnerin daran, sich mit Rivalen einzulassen. Manche bewachen das Weibchen, andere verpassen ihr einen Geruchsstoff der andere Männchen „abtörnt“. Die extremste Verhaltensweise ist es, die weiblichen Genitalien zu verstümmeln.

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Fixiert während der Kopulation

Pierick Mouginot aus der Abteilung von Gabriele Uhl am Zoologischen Institut und Museum der Universität Greifswald zeigte in einer Studie über die Radnetzspinne Larinia jeskovi wie genau es zu der Verstümmelung kommt. Während des Sexualakts zwicken die Männchen mit ihrem Begattungsorgan eine äußere Struktur der weiblichen Genitalien ab. An dieser Struktur verhaken sich die Männchen bei der Paarung mit ihren Geschlechtsorganen. Ohne die Struktur ist den Weibchen keine weitere sexuelle Handlung mehr möglich. Dies herauszufinden war für die Forscher nicht ganz einfach. „Die Paarungen dauern nur wenige Sekunden. Um die Verhakung und den Mechanismus der Verstümmelung aufzuklären, mussten wir Paare während der Kopulation mit flüssigem Stickstoff fixieren. Es war recht unwahrscheinlich den richtigen Moment zu erwischen“, erinnert sich Mouginot.

Paarung von Larinia jeskovi:

Doch wie kann es sein, dass sich ein solch drastisches Verhalten in der Evolution durchsetzen konnte? Überwiegt der männliche Vorteil tatsächlich den Nachteil, den das Weibchen durch seine Verletzungen erleidet?

Mathematische Modellierung

Diesen Fragen gingen die Greifswalder Forscher, zusammen mit Lutz Fromhage von der Universität Jyväskylä in Finnland, nach. Sie veröffentlichten ein mathematisches Modell, mit dem sie zeigen können, unter welchen Bedingungen sich die weibliche Genitalverstümmelung in der Evolution durchsetzt. Gabriele Uhl erklärt: „In unserem Falle war die Frage, unter welchen Bedingungen ein schädigendes Männchen in einer Gruppe, bei der das Verhalten nicht vorkommt, einen Selektionsvorteil hat und ob dieser bestehen bleibt, wenn mehr und mehr Individuen dieses Verhalten zeigen.“

Für ihr Modell nahmen die Forscher einen Kosten/Nutzen-Ansatz aus den Wirtschaftswissenschaften zu Hilfe. Mit dieser Methode, auch Spieltheorie genannt, wird schon seit vielen Jahrzehnten die Entstehung von Verhaltensweisen untersucht.

Vorteile trotz hoher Kosten

Dank des Modells weiß das Team um Uhl nun, dass die Schädigung der weiblichen Paarungsorgane bei Spinnen durchaus vorteilhaft ist – auch wenn die „Kosten“ für das verletzte Weibchen hoch sind. „Das Verhalten wird mit steigender Konkurrenz zwischen den Männchen um die Weibchen immer vorteilhafter“, so Uhl. Zusätzlich wird das verstümmelnde Verhalten begünstigt, wenn die Spermien des letzten Paarungspartners einen Vorteil genießen. In diesem Fall erhält der letzte Partner, wegen eines Positionseffekts seiner Spermien in der weiblichen Genitalstruktur, die meisten Nachkommen. Ein „Verstümmler“ ist in jedem Fall der letzte Partner eines Weibchens. Uhl fasst zusammen: „Die Evolution der Genitalverstümmelung wird bei einer Art begünstigt, bei der sich Weibchen normalerweise mit mehreren Männchen verpaaren und der letzte Partner vor der Eiablage die meisten Nachkommen bekommt – auch wenn die ‚Kosten‘ für die Weibchen hoch sind.“

Doch wie immer in der Wissenschaft bringt jede Antwort neue Fragen mit sich. Bei einem Blick in die Zukunft verrät Uhl: „In unserem Modell haben wir uns hauptsächlich mit der Perspektive der Männchen beschäftigt. Die ‚Kosten‘ für die Weibchen könnten geringer ausfallen, wenn sie davon profitieren, dass sie verstümmelnde Söhne produzieren. Die detaillierte Betrachtung der Perspektive der Weibchen fehlt uns noch zum Gesamtverständnis des Phänomens.“

Eva Glink



Letzte Änderungen: 23.02.2018