Editorial

Durchbruch oder Gesundheitsrisiko?

(26.04.2018) Fünf Hämophilie-Patienten sind in den USA nach der Einnahme des neuen Roche-Blockbusters Hemlibra gestorben. Einen Zusammenhang gibt es angeblich nicht.
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Die US-Patienten-Organisation Hemophilia Federation of America (HFA) hat bekanntgegeben, dass die Roche-Tochter Genentech fünf Todesfälle von Patienten gemeldet hat, die mit dem Hämophilie-Mittel Hemlibra behandelt wurden.

Erst kürzlich hatte Roche im Patentstreit gegen Shire mit Erfolg seine Rechte an dem bispezifischen Antikörper Emicizumab (Hemlibra) verteidigt. Ein japanisches Gericht entschied zugunsten von Chugai Pharmaceutical, Mitglied der Roche Gruppe. Das Gericht vertritt die Meinung, dass Hemlibra nicht das Patent 4313531 verletzt, das von den hundertprozentigen Shire Tochtergesellschaften Baxalta Inc. und Baxalta GmbH gehalten wird. Ein Triumph für Roche, für die Hemlibra damit nicht nur die bedeutendste Medikamenteneinführung des Jahres wurde, sondern auch Hoffnungsträger für den Ausgleich von Umsatzeinbußen aufgrund des Auslaufens von Patenten für andere Medikamente.

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In Europa zugelassen

Hemlibra ist somit auch in Europa als Routine-Therapie zur Prophylaxe von wiederholten und lebensbedrohlichen Blutungen bei Hämophilie A zugelassen. Laut Roche ist es das erste neue Arzneimittel seit fast 20 Jahren zur Behandlung der Hämophilie mit Auto-Antikörpern (Faktor-VIII-Antikörpern) gegen Gerinnungsfaktoren. Nahezu jede dritte Person mit schwerer Hämophilie A ist betroffen.

Daten aus der HAVEN 1-Studie und Zwischenergebnisse aus der HAVEN 2-Studie zeigten eine deutliche und klinisch signifikante Reduktion der Blutungen bei Erwachsenen, Jugendlichen und Kindern. Diese Daten unterstützten die Zulassung von Hemlibra durch die EMA und zuvor auch durch die FDA.

Ganz sauber war die Datenlage aber wohl nicht. So warf Shire Roche im Patentstreit vor, „ungenaue und irreführende“ Aussagen über die schwerwiegenden unerwünschten Ereignisse der Phase-III-Studie zu machen. In der Haven I Phase-III-Studie hatte der Pharma-Riese zwei Fälle von thromboembolischen Ereignissen und drei Fälle von thrombotischer Mikroangiopathie gemeldet. Außerdem war es im Februar 2017 zu einem Todesfall aufgrund einer Rektalblutung gekommen. Dieser Patient war zusätzlich zu Emicizumab auch mit einem Bypass-Präparat behandelt worden, einem Präparat also, mit dem man den Faktor VIII mit Faktor VII oder mit Prothrombinkomplexen „umgangen“ hat.

Bypass war schuld

Die Ursache für die tödliche Komplikation schob Roche auf letzteres Medikament, was der Konkurrenz, Shire und Novo Nordisk, Hersteller eben dieser Bypass-Präparate, nicht sonderlich geschmeckt haben dürfte. Um so mehr muss ihnen die Erklärung der HFA entgegengekommen sein. Vier der gestorbenen Patienten erhielten das Medikament außerhalb einer klinischen Studie, sozusagen auf „Compassionate Use“-Basis und der fünfte war Teilnehmer der Haven I-Studie. Zwei dieser fatalen Ereignisse ereigneten sich erst in diesem Frühjahr. Bei den drei früheren Todesfällen bescheinigte der behandelnde Arzt oder Wissenschaftler, dass es keinen Zusammenhang zwischen der Einnahme des Medikaments und dem Tod der Patienten gab.

Die Neuigkeiten ließen die Roche-Aktie dennoch unmittelbar um 1,4 % fallen. Ein deutliches Zeichen der Wall Street für Zweifel gegenüber dem prognostizierten Umsatz von 4 Milliarden bis 2022 für dieses Schlüsselprodukt von Roche. Daran vermochten auch die prompten verteidigenden Töne von Roche nichts mehr ändern. Roche verspricht jedoch eine rigorose Überprüfung der jüngsten Todesfälle und betont, dass genaue Informationen über die Sicherheit von Hemlibra basierend auf einer gründlichen Bewertung höchste Priorität habe. In den USA war bereits bei der Zulassung im Herbst 2017 ein Sicherheits­hinweis in die Rezeptinformation hinzugefügt worden, dass Fälle von thrombotischer Mikroangiopathie sowie thromboembolische Ereignisse aufgetreten sind und diesbezüglich überwacht werden sollte.

Gütesiegel verliehen

Trotz der Negativschlagzeilen ist die FDA vom Roche-Produkt überzeugt. Kürzlich wurde bekannt, dass die Zulassungsbehörde Hemlibra mit einem weiteren „Breakthrough Therapy“-Gütesiegel bedacht hat. Damit kann die Entwicklung und der Begutachtungsprozess beschleunigt werden. Ein weiterer Triumpf für die Schweizer.

Miriam Colindres



Letzte Änderungen: 26.04.2018