Editorial

Goldesel Medizintechnik

(24.05.2018) Seit mehr als 100 Jahren entwickelt Siemens Geräte für die Diagnostik. Jetzt will ein weiterer Elektro-Riese den Medizintechnik-Markt von hinten aufrollen. Die Vorzeichen stehen gut.
editorial_bild

Siemens und Bosch sind bekannte Namen. Ob Akku-Schrauber, Waschmaschine oder Staubsauger, Produkte der beiden Elektrohersteller haben viele von uns ihr ganzes Leben begleitet. Was den meisten vielleicht nicht so bewusst ist, Siemens hat schon seit jeher auch in der Medizintechnik-Branche mitgemischt – vor allem in der Diagnostik. 1896 (die Firma wurde übrigens 1847 als Telegraphenbauanstalt Siemens & Halske gegründet) brachte Siemens das erste industriell hergestellte Röntgensystem auf den Markt, 1967 lancierte die Firma das erste Echt-Zeit-Ultraschall-System der Welt.

Inzwischen hat sich das Geschäft mit der Medizintechnik zu einem wahren Goldesel entwickelt. So heißt es im aktuellen Branchenreport des Bundesverbandes Medizintechnologie: „Die Gesundheitswirtschaft weist im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überdurchschnittliche Wachstumsraten auf. Sie beschäftigt rund sieben Millionen Menschen und erwirtschaftet über 350 Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil von rund 11 Prozent am Bruttoinlandsprodukt“. Der Bundesverband ist überzeugt, dass das auch so bleiben wird, denn Patienten „fragen Leistungen rund um ihre Gesundheit immer stärker selbst nach und sind bereit, für bessere Qualität und zusätzliche Dienstleistungen mehr zu bezahlen.“

Editorial
Bundesliga und Börse

Auch in der Siemens-Chefetage hat man die Zeichen der Zeit erkannt. Seit Mai 2015 ist die Medizintechnik-Sparte eine rechtlich eigenständige GmbH mit Hauptsitz in Erlangen. Zusätzlich hat man sich einen neuen „hippen“ Namen (Siemens Healthineers) zugelegt, greift als „offizieller Medizintechnik-Partner des FC Bayern München“ tief in die Marketing-Trickkiste und ist im März sogar an die Frankfurter Börse gegangen. Gleichzeitig erweitert die Konzernführung das Produkt-Portfolio durch Akquisitionen in Richtung Molekular-Diagnostik. Zu den neuesten Errungenschaften (seit Dezember 2017) gehört die Luxemburger Firma Fast Track Diagnostics, die sich auf Real-Time PCR-Multiplex-Assays spezialisiert hat.

Im Geschäftsjahr 2017 machten die „Gesundheits-Ingenieure“ einen Umsatz von fast 14 Milliarden Euro. Damit haben sie beispielsweise Roche Diagnostics bereits hinter sich gelassen. Die 48.000 Mitarbeiter weltweit wird‘s freuen – sie müssen im Gegensatz zu ihren Kollegen im Görlitzer Industrieturbinenwerk oder im Leipziger Kompressorenwerk wohl nicht um ihre Arbeitsplätze fürchten. Laut Handelsblatt ist die Medizintechnik-Sparte die profitabelste von Siemens. „Ihr Wert wird von Analysten auf 30 bis 40 Milliarden Euro geschätzt, obwohl sie nur ein Sechstel zum Umsatz von Siemens beiträgt.“

Elektro-Dino auf neuen Pfaden

Siemens hat es also vorgemacht und die aktuellen Zahlen geben ihnen recht. Daher ist es nicht sehr verwunderlich, dass sich nun ein weiterer Elektro-Dino diesen lukrativen Markt erschließen möchte. Bosch Healthcare Solutions, ebenfalls eine GmbH, hat dafür einen Bosch-Spruch von 1941 ausgegraben: „Es entspricht dem Wesen wahrer Heilkunst, daß sie kein wichtigeres Anliegen kennt, als dem Leidenden Heilung und, wo dies nicht möglich ist, Linderung zu bringen.“

Erst 2016 hat das Unternehmen, das 1888 in einem Stuttgarter Hinterhof gegründet wurde, den Medizintechnik-Markt geentert. Und zwar mit einem Atemanalysegerät, mit dem Asthma-Patienten die fraktionierte Stickstoff-Monoxid-Konzentration (FeNO) messen können. Dieser Wert gibt Auskunft über den Entzündungszustand der Lunge.

Die Bosch-Geschäftsführung gibt sich optimistisch, was den Erfolg ihrer Medizintechnik-Sparte angeht. „Wir wollen die technischen Möglichkeiten der Vernetzung nutzen, um einen entscheidenden Beitrag zur Gesundheit und damit zur Lebensqualität von Millionen Menschen zu leisten. Bosch-Lösungen werden zum alltäglichen Gesundheitsbegleiter,“ verkündet Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH, vollmundig auf der Healthcare Solutions-Webseite.

Derzeit arbeiten 80 Mitarbeiter an Produkten für die drei Themen-Bereiche: Therapie-Management, Connected Life (Software und Sensor-Produkte für das tägliche Leben) und Hightech-Components (technische Keramik für den OP-Saal).

Von Massachusetts in den Schwarzwald

In die erste Kategorie dürfte auch die aktuellste Entwicklung aus dem Hause Bosch Healthcare Solutions fallen: Vivalytic, eine automatisierte, molekulare Diagnostik-Plattform. Hinter der Mikrofluidik-basierten Plattform stecken mehrere Jahre Entwicklungsarbeit zusammen mit Wissenschaftlern des Massachusetts Institute of Technology und des Instituts für Mikro- und Informationstechnik in Villingen-Schwenningen.

„Mit dem Eintritt in den Markt der Labordiagnostik stellt sich Bosch Healthcare Solutions breiter im Markt der Medizintechnik auf,“ lässt Geschäftsführer Marc Meier in einer Pressemitteilung verlauten. Man schöpft hier vor allem aus der jahrzehntelangen Erfahrung mit Sensorik, Automatisierung, Miniaturisierung und Vernetzung. „Diese Kompetenzen verbinden wir mit der Test-Expertise unserer Partner zu einer offenen Plattform“, ergänzt Meier.

Was kann das Gerät? So ziemlich alles - von Probenaufbereitung (Homogenisieren, Lysieren) über DNA-Extraktion und Amplifikation bis hin zur Micro-Array-Detektion und Analyse – vollautomatisiert. Zurzeit bietet Bosch zwei Tests an. Einen für Atemwegserkrankungen, der 15 Viren und 8 Bakterien in einer Nasen-Rachen-Abstrichsprobe erkennt. Und eine zweiten für die Identifizierung von 10 Pathogenen (zwei Viren, sieben Bakterien und ein Parasit) in Urin oder Abstrich, die sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis und Gonorrhoe verursachen.

Markteinführung ist für das dritte Quartal 2018 angepeilt. Ob man sich gegen die Konkurrenz durchsetzen und ähnliche Erfolge feiern kann wie die Siemens Gesundheits-Ingenieure bleibt abzuwarten.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 24.05.2018