Editorial

Labor-Anekdoten: Etiketten ohne Info

(25.06.2018) Warum schreiben manche Chemikalien-Firmen keine Molekulargewichte der Substanzen mehr auf ihre Fläschchen? Fragt eine Forscherin via E-Mail…
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„Für die meisten Wissenschaftler sind Molekulargewichte nichts weiter als eine kleine Unannehmlichkeit auf dem Weg, eine Lösung bestimmter Molarität herzustellen – oder gar einen Puffer zu mixen. Und genau dies stand kürzlich mal wieder an…

Konkret wollte ich im Wägeraum eine Lösung aus zwei Substanzen in jeweils verschiedener Molarität ansetzen. Beide Reagenzien standen dort in den gewohnten Gefäßen - und beide offenbar erst seit kurzer Zeit. Dies war offensichtlich, da sich neuerdings die Chemikalien des betreffenden Unternehmens durch das Fehlen einer entscheidenden Informationen auf Etikett oder Verpackung auszeichnen: Weit und breit keine Angabe des Molekulargewichts. Ich prüfte meine Optionen. Ich konnte entweder zurück ins Labor latschen und nach Chemikalien-Handbüchern suchen, oder ich konnte in mein Büro gehen und die gewünschten Molekulargewichte im Internet recherchieren.

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Während ich noch unentschlossen die Regale anstarrte, fiel mein Blick plötzlich auf ein paar alte Kataloge, die sich in einer Ecke versteckten. Ich blätterte also die Monster-Schinken durch – und fand tatsächlich eines der gesuchten Gewichte. Die andere Substanz war jedoch nirgendwo aufgeführt.

Also wanderte ich schließlich doch den ganzen Weg zurück zu meinem Büro am anderen Ende des Gebäudes und befragte das Internet nach der letzten fehlenden Information, mit der ich meine eigentlich simple Aufgabe endlich beenden konnte. Logisch, dass ich auf all diesen Umwegen deutlich mehr Zeit verbraten musste als früher, da man die Molekulargewichte noch bequem auf den Etiketten ablesen konnte.

Genauso unnötig ist es wohl zu erwähnen, dass ich mächtig sauer war. Auch durch eine kurze Suche im Internet konnte ich nicht herausfinden, was die Änderung der Kennzeichnungs­strategie der Firma verursacht hat – geschweige denn, wie sie womöglich begründet wird.

Was bleibt, sind daher nur vage Vermutungen.

Etwa die, dass sie etwas Geld für Tinte sparen will. Oder dass sie Verbraucherinnen wie mich dazu nötigen will, die Information auf ihrer Webseite nachzuklicken – wobei ich natürlich ganz nebenbei noch weiteren Produkten, Angeboten und Aktionen begegnen muss. Oder verbietet etwa irgendein seltsames Gesetz neuerdings die offene Angabe von Molekulargewichten, um mutmaßlichen Terroristen das Herstellen von Bomben so schwer wie möglich zu machen?

Wie auch immer, ich verzierte daraufhin die beiden betreffenden Gefäße umgehend von Hand mit den zugehörigen Molekulargewichten – fetter, schwarzer Permanent-Marker auf weißem Grund. Und als ich mich danach im Wägeraum genauer umschaute, registrierte ich, dass ich nicht die Erste mit dieser 'Service-Idee' war. In den Regalen standen einige andere Flaschen, Tonnen und Gefäße, die bereits Opfer dieser absolut überflüssigen Selbsthilfe-Technik geworden waren.“



Letzte Änderungen: 25.06.2018