Editorial

Daddeln ist gut fürs Gehirn

(16.07.2018) Schon 30 Minuten Videospielen täglich hat positive Auswirkungen, erzählt uns Jürgen Gallinat vom Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. In unserem aktuellen nicht-klinischen Neurofor­schungs-Ranking ist er auf Platz 16.
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Jürgen Gallinat und sein Team erforschen, wie sich Videospiele auf die neuronale Plastizität auswirken. Derzeit sei das vor allem Grundlagenforschung, erklärt Gallinat. Doch auf lange Sicht möchte er die Erkenntnisse für gezielte Therapien nutzen – um Menschen mit psychischen Erkran­kungen zu helfen. Gallinat ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf. In unserer aktuellen Publikations-Analyse zum nicht-klinischen Teil der Neuroforschung ist er unter den meistzitierten Köpfen gelistet.

Laborjournal: Computerspiele haben eher einen schlechten Ruf. Sie aber glauben, dass es auch positive Auswirkungen auf das Gehirn gibt.

Jürgen Gallinat: Es herrscht schon lange die Meinung vor, dass Videospiele etwas Negatives seien. Man verknüpft das gern mit Sucht und Abhängigkeit. Und zweifelsohne gibt es die extreme Nutzung solcher Spiele. Davon können einige Eltern ein Lied singen und machen sich in vielen Fällen zu Recht Sorgen. Wir haben in unserer Forschung aber auch zahlreiche positive Aspekte finden können, auf die wir uns nun konzentrieren. Das trägt vielleicht auch zu einer ausgewogeneren Sicht auf die Thematik bei. Zum Beispiel haben wir in einer PLoS ONE-Studie zeigen können, dass Jugendliche, die häufig Videospiele spielen, tatsächlich eine Volumen-Vermehrung im Gehirn hatten im Vergleich zu Jugendlichen, die seltener Videospiele spielen. Und viele dieser Regionen sind mit dem Belohnungssystem verknüpft.

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Üben Computerspiele deshalb einen so großen Reiz aus? Weil sie das Dopamin-System ansprechen?

Gallinat: Das ist unsere Hypothese, und es sprechen einige Gründe dafür, dass das Dopamin-System eine wichtige Rolle spielt. Man muss sich vor Augen führen, dass Videospiele eben von Grund auf dafür gedacht sind, Spaß zu machen. Was uns Spaß macht, involviert das Dopamin-System und wir fühlen uns belohnt. Das ist ein Verhaltens­prinzip in der Natur, und Videospiele sprechen das im Speziellen an. Doch Dopamin ist nicht nur ein Neurotransmitter für Motivation und Belohnung, sondern fördert auch neuronale Plastizität. Das könnte der Grund dafür sein, dass wir schon nach wenigen Wochen Videospielen bei Probanden sehen, dass Teile des Gehirns an Größe zunehmen. Solche Spiele sind ja herausfordernd und kognitiv sehr komplex. Das sind keine einfachen Aufgaben, aber man kombiniert eben Spaß und kognitive Anforderungen. All das könnte zusammen in einer gesteigerten Plastizität münden, die wir sogar im MRT darstellen können.

2014 haben Sie das an Probanden untersucht, die über zwei Monate hinweg täglich Super Mario 64 gespielt haben. Im Vergleich zur Kontrollgruppe war bei diesen Testpersonen im MRT mehr graue Substanz nachweisbar (Mol Psychiatry, 19:265–71).

Gallinat: Genau. Wir haben ja mehrere solcher Trainings-Studien durchgeführt, wo ein Teil der Probanden ein spezielles Videospiel über zwei Monate spielt. Und das auch nur dreißig Minuten täglich – also nicht exzessiv sondern ganz moderat. Eine zweite Gruppe spielt nicht oder übt eine andere Tätigkeit als Kontrolle aus. Wir finden in diesen Studien regelhaft eine Veränderung der Hirnsubstanz, und zwar immer in die positive Richtung, also mit Volumen-Zuwachs. Die Art und die Anforderungen des Spiels scheinen darüber zu befinden, wo im Gehirn Veränderung stattfinden. Muss man viel räumlich navigieren, sehen wir einen Volumen-Zuwachs im Hippo­campus, und dort vor allem rechts und hinten. Geht es mehr um Entscheidungen oder Planungs-Elemente, sehen wir die Effekte eher im präfrontalen Cortex. Trainieren wir Inhibition, sehen wir Volumen-Zunahme im inferioren frontalen Gyrus. Das heißt, wir finden die Anforderungen des Spiels letztendlich auch in der Topologie des Gehirns wieder.

Nun schreiben Sie in Ihren Publikationen von Volumen-Zunahmen und Zunahme der grauen Substanz und schließen das aus der MRT-Darstellung. Doch was genau bedeutet das? Gibt es dort anschließend mehr Zellen oder nehmen die einzelnen Zellen an Volumen zu? Sind wirklich Neuronen oder sind andere Zellen wie Glia davon betroffen? Kann man daraus auf eine höhere Aktivität in diesen Regionen schließen?

Gallinat: Darüber wissen wir in der Tat noch viel zu wenig. Es gibt wenige Studien, die solche Volumen-Veränderungen bei Mäusen auch histologisch untersuchen. Einige dieser Arbeiten legen zumindest nahe, dass es im Hippocampus tatsächlich zu einer Zunahme der Anzahl an Nervenzellen kommen könnte. Das aber ist bis heute nicht klar entschieden. Beim Menschen kann man dies naturgemäß nicht so einfach untersuchen. Allerdings wissen wir umgekehrt, dass ein Volumen-Verlust im menschlichen Gehirn im Zusammen­hang mit verschiedenen psychischen Erkrankungen zu finden ist. Ein Volumen-Verlust im Hippocampus ist mit einer gewissen Risiko-Steigerung verbunden, an bestimmten psychischen Erkrankungen zu leiden oder sie zu entwickeln.

Demnächst wollen wir aber die Volumen-Änderung in einem Tiermodell untersuchen, mit einem ähnlichen Design wie beim Menschen. Wir schauen dann auch, was feingeweblich histologisch passiert. Darüber hinaus gibt es neue Sequenzen für das MRT, die mehr Auskunft über die Zusammensetzung des Gewebes geben. Das ist Teil aktueller Forschung. Natürlich stellen wir uns außerdem die Frage, ob dieser Volumen-Zuwachs wirklich zu einem Zuwachs an Kognition oder Kompetenz führt. Wir wollen ja nicht bloß Hirnkosmetik betreiben. Hier hat aber die Forschung der letzten Jahre gezeigt, dass sogenannte Transfer-Effekte durch Videospiele anscheinend intensiver sind als durch andere Formen des Trainings.

Was meinen Sie mit „Transfer-Effekten“?

Gallinat: Man trainiert in einer bestimmten Sitzung eine Fähigkeit wie beispielsweise das Erinnern von vorher gelernten Wörtern. Später soll man dadurch in einer anderen Aufgabe besser werden, die gar nichts mehr mit Wörtern zu tun hat. Dieser Transfer-Effekt ist bei klassischen Trainings­methoden häufig nicht gefunden worden. Studien mit Videospielen zeigen viel häufiger, dass diese Transfer-Effekte bestehen. Das bedeutet, dass zum Beispiel das Trainieren von räumlicher Navigation und planerischem Handeln dazu führen könnten, dass man tatsächlich auch im Alltag bessere Funktionen und bessere Kompetenzen in diesen Feldern hat. Und das ist für uns die Kernfrage: Kann man durch das Training mit Videospielen diese Alltags­kompetenzen verbessern? Derzeit läuft hierzu eine Studie, in der wir Patienten mit einer sogenannten leichten kognitiven Störung untersuchen. Das wird gern als Vorform einer Demenz-Erkrankung angesehen. Wir möchten herausfinden, ob sich zum einen die kognitive Leistungs­fähigkeit wieder verbessert, und zum anderen, ob sich die weitere Entwicklung in eine Demenz hinein reduzieren lässt.

Mich überrascht, dass diese Transfer-Effekte bei Computer­spielen so stark sind. Ich hätte erwartet, dass Sport oder vielleicht auch Brettspiele wie Schach oder Mühle besser geeignet wären.

Gallinat: Computerspiele aktivieren das Dopamin-System aber stärker als vieles andere. Das ist das Plastizitäts-Signal, das wir brauchen. Und Computerspiele sind auch komplexer als Mühle, und es werden mehr kognitive Domänen angesprochen als zum Beispiel beim Schach. Computerspiele können Anforderungs­welten generieren, die man im realen Leben gar nicht hat. Und sie sind in Wiederholbarkeit und Komplexität frei gestaltbar. Das ermöglicht ein viel intensiveres Training.

Was aber richtig ist: Wenn Sie Fußball spielen, fordern Sie sowohl Motorik als auch planerisches Handeln, Entscheidung und räumliches Vorstellungs­vermögen. Damit ist Fußball ebenfalls ein komplexes und intensives Training. Allerdings, wie jeder weiß, der Joystick wird eher mal in die Hand genommen als der Ball. Im klinischen Rahmen lässt sich mit Computerspielen viel direkter, schneller und alltagspraktischer arbeiten.

Für eine Frontiers in Psychology-Publikation aus 2017 haben Sie getestet, inwiefern sich bei Probanden depressive Merkmale durchs Computerspielen mindern lassen. Zum Beispiel ist das Grübeln als häufige Begleit­erscheinung einer Depression genannt. Und tatsächlich grübeln die computer­spielenden Testpersonen nach einigen Wochen weniger als die Kontrollgruppe. Ansonsten zeigten sich aber keine wesentlichen Unterschiede bei Auswertung der Fragebögen.

Gallinat: Der therapeutische Einsatz solcher Spiele steht noch ganz am Anfang. Entscheidend ist zum Beispiel, welche Art von Spiel am besten auf welches Symptom wirkt. Wir wissen auch noch nicht, wie lange man trainieren muss. Verschwinden die Volumen-Effekte vielleicht nach einigen Monaten wieder, wenn man nicht weiter trainiert? Es gibt also noch viele Fragen zu beantworten.

Die Fragen stellte Mario Rembold



Letzte Änderungen: 16.07.2018