Laborjournal: Wie kamen Sie persönlich zum Projekt?
Vivien Iffländer: Bereits in meinem Soziologie-Studium beschäftigte ich mich intensiv mit den Vorteilen von Diversity für Organisationen. Diesen Forschungsschwerpunkt konnte ich während meiner Arbeit am Fraunhofer CeRRI weiter vertiefen und freute mich sehr, am Projekt „Gender und Verwertung“ mitwirken zu können.
Was war die Motivation für das Projekt?
Iffländer: Gelungener Wissens- und Technologietransfer ist essenziell für die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit nationaler Innovationssysteme. Dazu gehört unter anderem wissenschaftliche Erkenntnisse in die Gesellschaft zu tragen, die technologische Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zu steigern und Arbeitsplätze zu sichern. Insbesondere an Unternehmensgründungen aus Forschungseinrichtungen hat man hierbei große Erwartungen. Jedoch ist die Forschungsverwertung durch Unternehmensgründungen in Deutschland trotz zahlreicher Unterstützungsprogramme eine bisher wenig genutzte Variante: Laut Angaben des BMBF werden nur etwa 5% aller Gründungen aus Hochschulen und Forschungsorganisationen heraus unternommen. Hinsichtlich des Frauenanteils gibt es hier nur wenige Daten. Eine Studie aus 2008 von Metzger et al. zeigte, dass nur 8% der Gründungen im High-Tech-Sektor durch Frauen erfolgten. Frauen scheinen somit in der Forschungsverwertung bisher deutlich unterrepräsentiert zu sein. Um diese ungenutzten Potenziale zu erschließen, war es unser Ziel, Methoden zu entwickeln, um die Verwertungsneigung von Wissenschaftlern und insbesondere Wissenschaftlerinnen im deutschen Wissenschaftssystem zu steigern und so den Wissens- und Technologietransfer allgemein zu stärken.
Was waren zentrale Fragestellungen?
Iffländer: Wir stellten drei Leitfragen: Wie unterscheiden sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinsichtlich Motivation und Zielsetzung bei Verwertungsaktivitäten? Wie können unterschiedliche Perspektiven in Transferprozesse integriert werden? Wie können erfolgversprechende Ansätze internationaler Forschungseinrichtungen auf den Transfer im deutschen Wissenschaftssystem übertragen werden?
Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Iffländer: Wir konnten übergreifende Erfolgsfaktoren für den Transfer identifizieren, die bisher in deutschen Forschungs- und Transfer-Einrichtungen recht unterschiedlich verankert sind. Auf Ebene der Forschungs-Einrichtungen sind dies die Festschreibung von Transfer im Organisationsleitbild, das Vorhandensein belastbarer Netzwerke, die Schaffung von Anreizen für Gründungsaktivitäten sowie die Etablierung einer Gründungskultur, die Gründungsaktivitäten wertschätzt. Auf Ebene der Transfer-Einrichtungen haben sich die Bündelung aller Transferkanäle in einer Einrichtung, die interdisziplinäre Zusammensetzung der Transfer-Verantwortlichen, die frühzeitige Förderung des Gründungsgedankens, die Transparentmachung des Gründungsprozesses und das aktive Scouting von Transferideen als Erfolgsfaktoren herauskristallisiert.
Ebenso untersuchten Sie die Motivation für die Gründungen? Gab es hier überraschende Erkenntnisse?
Iffländer: Überraschend war, dass die identifizierten Geschlechter-Unterschiede doch so deutlich sind. So ergab unsere Analyse, dass Wissenschaftlerinnen eher durch idealistische Motive getrieben sind. Sie verwerten ihre Forschung insbesondere mit dem Ziel, die Forschungsergebnisse in die Anwendung zu überführen, um ihre Forschung nicht vergeudet zu sehen und eine Wirkung in der Gesellschaft zu erzielen. Finanzielle Anreize spielen eine untergeordnete Rolle und wurden häufiger ungefragt verneint. Hingegen sind für Wissenschaftler vorrangig Motive, die die persönliche Weiterentwicklung und finanzielle Aspekte betreffen, handlungsleitend. Idealistisch geprägte Motive, die das gesellschaftliche Gemeinwohl adressieren, findet man hier eher selten.
Sind Männer die besseren Verwerter?
Iffländer: Unsere Forschungsergebnisse zeigen, dass die aktuelle Gründungslandschaft bisher kaum weiblich geprägte Gründungsmotive adressiert und finanziert. Darüber hinaus besteht beispielsweise der Mythos, dass Gründung und Familienleben nicht miteinander in Einklang zu bringen seien. Demnach bedarf es gender-sensibler Kommunikationsstrategien und heterogener Vorbilder, die Wissenschaftlerinnen in der Gründungsszene einen sichtbaren Platz einräumen. Der Innovationsgehalt weiblicher Gründungen unterscheidet sich nämlich nicht von dem männlicher Gründungsvorhaben, wie ein Blick auf die geschlechtsspezifische Leistungsfähigkeit im Unternehmertum allgemein zeigt.
Gründen Frauen anders? Bedürfen Sie einer anderen Unterstützung?
Iffländer: Innerhalb des Projekts äußerten Männer und Frauen unterschiedliche Herausforderungen: Während Frauen einen Mangel an Zeit, finanziellen und Humanressourcen sowie den fehlenden Austausch mit Gleichgesinnten als herausfordernd empfanden, äußerten männliche Gründer häufiger, dass sie die Entwicklung ihrer Geschäftsideen und -konzepte, die Interaktionen mit externen Akteuren, das fehlende Netzwerk und die Aufrechterhaltung einer Gründungsmentalität als Herausforderung empfanden. Überraschend war, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ebenfalls überwiegend von Männern als herausfordernd benannt wurde.
Was sind zentrale Handlungsempfehlungen, die Sie aus dem Projekt ableiten?
Iffländer: Das fehlende Bewusstsein der Forschenden für Transferoptionen ließ sich im Rahmen des Projekts als zentrale Hürde identifizieren. Um diesem entgegenzuwirken und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler frühzeitig für die Relevanz der Nutzung ihrer Forschungsergebnisse für die Gesellschaft aufmerksam zu machen und Karrierepfade in Richtung Unternehmertum aufzuzeigen, sollten Forschungseinrichtungen verbindliche Programme und Instrumente zur Sensibilisierung für Transfer einführen. Beispiele für Sensibilisierungsformate sind das Tool „Transfer entdecken“ sowie Formate, die Forschenden ermöglichen, Lösungen für Transfer-freundliche Rahmenbedingungen im Wissenschaftsalltag zu entwickeln (Workshop „Transfer neu denken“), sie zur allgemeinverständlichen Wissenschaftskommunikation ihrer Forschung befähigen (Workshop „Prototype your Research“), ihnen helfen neue Verwertungsoptionen zu identifizieren (Workshop „Prototype new Applications“) und mit Wirtschaft und Gesellschaft in den Austausch zu treten (Plattform „Science meets…“). Diese Methoden wurden alle innerhalb des Projekts entwickelt und adressieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gleichermaßen. Allerdings bedarf es auch seitens der Transfer-Einrichtungen einer erhöhten Sensibilität für die unterschiedlichen Motive und Bedarfe ihrer Gründungsinteressierten. Deshalb haben wir für diese Zielgruppe das Format „Understand your Researchers“ entwickelt, das Transfer-Verantwortlichen mithilfe Design-basierter Methoden einen Perspektivwechsel erlaubt und die Optimierung der eigenen Angebote ermöglicht.
Welche bisher nicht oder wenig genutzten Maßnahmen halten Sie für am aussichtsreichsten, um den Transfer in die Anwendung und die nachfolgende wirtschaftliche Verwertung zu beschleunigen?
Iffländer: Neben einer verstärkten Sensibilisierung von Forschenden für Transferoptionen erweist sich seitens der Transfer-Einrichtungen Innovation Scouting als vielversprechend. So können Transferpotenziale aufgedeckt und ausgeschöpft werden.
Die Fragen stellte Ralf Schreck
Letzte Änderungen: 16.08.2018