Editorial

Der menschliche Wecker

(21.08.2018) PIEP, PIEP, PIEP - der Timer der abwesenden Kollegin nervt gewaltig. Ignorieren oder ausschalten? Unsere (andere) TA hat eine noch bessere Idee.
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Laborwecker geht eigentlich so: Forscher forscht, Forscher stellt Laborwecker, während dieser läuft, macht Forscher etwas anderes, Wecker klingelt, Forscher schaltet ihn aus, Forscher forscht weiter.

Eigentlich eine klare Sache. Die Kern­kompetenz eines Weckers besteht ja gerade darin, uns Menschen zu einem von uns festgelegten Zeitpunkt an etwas zu erinnern. Sei es die Kochzeit von Nudeln, das Aufwachen oder eben die exakte Einhaltung der Inkubationszeit eines Experiments. Soweit die Theorie.

In der Praxis sieht das oft so aus: Forscher stellt Laborwecker und verlässt den Raum, Wecker klingelt, Kollegen gucken sich um, Forscher kommt nicht, Wecker klingelt weiter, Wecker nervt Kollegen, einer geht hin und schaltet ihn aus. Und in diesem einen Knopf­druck liegt das Problem. Einerseits hat man die Macht, den nervenden Wecker zum Schweigen zu bringen. Ihn auszuschalten. Aber mit dieser Macht kommt, wie so oft, auch große Verantwortung.

Editorial

Ich für mein Teil vermeide es inzwischen tunlichst fremde Wecker auszuschalten, lieber blende ich deren Piepsen aus. Denn mit dem Druck auf die Aus-Taste geht die Erinnerungsfunktion des Weckers auf den Ausschaltenden über. Soll heißen: Ich muss mich dann daran erinnern, den Kollegen bei seiner Rückkehr daran zu erinnern, dass sein Wecker geklingelt hat, um ihn an etwas zu erinnern. Ich werde sozusagen selbst zum Wecker. Wenn man dann bei der Rückkehr des Wecker-Besitzers selbst gerade beschäftigt ist – kommt ja auch mal vor – verpasst man leicht seinen Einsatz und kassiert dafür richtig Schelte.

Von einer Doktorandin bekam ich den Satz zu hören: „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Ich muss doch die Inkubationszeiten exakt einhalten.“

„Dann nimm deinen Wecker halt mit, wenn du rausgehst“, gab ich zurück.

Seit diesem Dialog lasse ich die Finger von fremden Weckern. Was erwartet sie denn? Dass ich, sobald ihr Wecker piepst, alles stehen und liegen lasse um sie zu suchen und an den dringend gebotenen korrekten Einhalt ihrer Inkubationszeiten zu erinnern? Quasi als lebender Wecker fungiere?

Nö, da halte ich mich raus. Ich will nicht zu einer Uhr gemacht werden. Wobei lebende Uhren in Kunst und Literatur gelegentlich eine Rolle spielen. Man könnte mich über einem Ast oder Stuhl hängend malen, oder ich könnte in einem Zeichentrickfilm mitwirken, wie von Unruh in „Die Schöne und das Biest“.

Außerdem ist die Mitnahme des Laborweckers noch lange kein Garant für korrekt eingehaltene Inkubationszeiten. Ich kenne viele Fälle, in denen ein Kollege entspannt in der Küche Kaffee trinkt, seinen Laborwecker vor sich auf dem Tisch. Der Wecker piepst auch brav zum bestellten Zeitpunkt, worauf der Kollege ihn mit den Worten ausschaltet: „Ich trink noch schnell aus!“ Dann trinkt er aus, währenddessen kommt ein anderer Kollege oder der Professor rein, verwickelt ihn in ein Gespräch und vergessen ist das laufende Experiment.

Nun erfordert das Nichtausschalten fremder Laborwecker freilich eine Menge Ignoranz. Das zarte Piepsen der handelsüblichen Modelle kann ich gut ausblenden, zumal die meisten von ihnen nach 30 Sekunden automatisch verstummen und einfach beleidigt die überzogene Zeit anzeigen. Leider geben nicht alle Wecker so schnell auf.

Ausgerechnet der Laborwecker jener meckernden Kollegin erzeugt einen schrillen, lauten Ton und sieht überhaupt nicht ein, von selbst damit aufzuhören. Sofern ich nicht gerade allein im Labor bin, springt glücklicherweise stets umgehend ein anderer Kollege auf, um das enervierende Geräusch zum Verstummen zu bringen. Ob die Kollegin auch schon mal einen von ihnen wegen nicht augenblicklich erfolgter Benachrichtigung angemeckert hat, weiß ich nicht.

Für den Fall, dass ich doch wieder einmal allein mit ihrem Wecker bin, habe ich einen Plan. Sobald ihr Wecker das nächste Mal in ihrer Abwesenheit piepst, schalte ich ihn aus, renne durch sämtliche Räume bis ich sie gefunden habe, stelle mich hinter sie und schreie: „PIEP, PIEP, PIEP!“

Dann weiß sie, was die Stunde geschlagen hat.

Maike Ruprecht



Letzte Änderungen: 21.08.2018