Editorial

Ein Bild sagt mehr als tausend Proben

(22.08.2018) Die Hochdurchsatz-Phänotypisierung von Arabidopsis scheitert oft am teuren Equipment. Mit einer neuen Methode genügt eine simple Kamera und ein kostenloses Bildanalyse-Programm.
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Ästhetisch sind sie ja, die Rosetten junger Arabidopsis-Pflanzen. Mal filigran, mal prall gefüllt mit breiten Blättern, mal kreisrund, mal verzerrt. Je nach Genotyp, Umwelt und Launen der Natur gibt es individuelle Unterschiede. Anhand von „Kindheitsfotos“ die zukünftige Biomasse der erwachsenen Pflanzen vorherzusagen, klingt utopisch, funktioniert aber – und ist weder teuer noch kompliziert. Man braucht lediglich eine Kamera und das Bildanalyse-Programm ImageJ. Wie man damit die Wachstumsdynamik sowie die Zahl der Früchte von Arabidopsis-Pflanzen abschätzen kann, zeigt Detlef Weigels Gruppe vom Max Planck Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen.

Weigels Team hat dazu hunderte von Pflanzen unter genau definierten Bedingungen (Licht, Nährstoffe, Platz etc.) beobachtet und vermessen. Immer auf der Suche nach einem Zusammenhang, einem Gesetz, mit dem sich die frühe Entwicklung und das spätere Aussehen mit einer Formel vorhersagen ließen. Damit Ausreißer nicht ins Gewicht fielen, war die Probenzahl, zwei Sets á 960 Arabidopsis-Pflänzchen von 472 verschiedenen Genotypen, entsprechend hoch.

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Tod im Trockenschrank

Die Individuen des ersten Sets wurden über 25 Tage hinweg täglich mit der Kamera photographiert ohne sie weiter „anzutasten“. Ihre Ernte zur Biomasse-Bestimmung und Schotenzählen erfolgte, als die ersten Schoten sich gelb färbten. Auch vom zweiten Set, dem Trainingsset, knipsten Weigels Mitarbeiter täglich Draufsicht-Aufnahmen. Die Vertreter dieses Sets ereilte jedoch allesamt am sechzehnten Tag nach der Keimung der frühe Tod im Trockenschrank.

Anhand der gesammelten Bild- und Gewichtsdaten erstellte das Team mit etwas Mathematik und Statistik schließlich einen Algorithmus: „Die Rosettenform x zum Entwicklungstag y gibt die Trockenmasse z“. In die Formel flossen automatisch aus den Fotos extrahierte relevante Informationen (Deskriptoren) ein, die letztlich zur Vorhersage der Biomasse, dem Wachstumsverhalten und der erwachsenen Körperform dienten. Ein weiterer Algorithmus ermöglichte Weigels Gruppe, aus einem Seitenansicht-Foto auf die zukünftige Schoten-Anzahl einer blühenden Pflanze zu schließen. Das spart eine Menge Handarbeit und Zählerei.

Die Schotenzahl-Prognose

Die Aschenputtel-Arbeit, einschließlich Schoten zählen, übernimmt der Computer. Konkret sieht das zum Beispiel so aus, dass man ImageJ mit dem Foto (Seitenansicht) einer blühenden Arabidopsis füttert und ein sogenanntes ImageJ-Makro darüber rattern lässt. Das Makro extrahiert aus dem Bild die relevanten Strukturen und generiert ein Skelett. Farbnuancen, 3D-Informationen etc. fliegen raus, als Output erhält man Werte von neun Skelett-Eigenschaften (zu Anzahl, Grad und Länge von Verzweigungen), die dann in der Gleichung zur Schotenzahl-Prognose verarbeitet werden.

Im Falle der Biomasse-Bestimmung anhand von Rosetten-Fotos fließen in die Vorhersage-Formel Parameter wie Fläche, Kreisförmigkeit und Seitenverhältnisse ein. Die Vermessung dieser Parameter übernimmt, mithilfe eines entsprechenden Makros, wiederum ImageJ.

Und das soll verlässliche Prognosen liefern? Ja, fast besser als jeder Wetterbericht. Die für Rosetten vorhergesagten Trockengewichte stimmten zu 90 Prozent mit den tatsächlich ermittelten überein. Je nach Probenzahl im Trainingsset variierten die Ergebnisse der getesteten Modelle (LASSO, RIDGE) voneinander und in ihrer Genauigkeit. Ab einer Mindestanzahl von 50 Individuen (Rosetten) beziehungsweise 30 Individuen (Infloreszenzen) kommen beide zum selben Ergebnis.

Mit Semikolon klappt‘s

Die Trainingssets muss jeder Nutzer am besten für sich selbst herstellen und beobachten, da nirgends dieselben Bedingungen herrschen. Noch ein Tipp für alle, die sofort loslegen wollen: Sie haben das Bild geknipst, in ImageJ geöffnet und wollen das installierte Makro starten - ImageJ streikt jedoch. In Zeile 50 des ImageJ-Makros gehört vor den Befehl rename(„pic“) ein Semikolon, dann klappt‘s.

Das Verfahren kann nur mit 2D-Informationen umgehen. Flache Rosetten sind ok, bei blühenden Pflanzen dürfen sich die Verzweigungen nicht gegenseitig verdecken. Prinzipiell könnte sich die adaptierte Methode für alle Rosetten-bildenden Pflanzen eignen, nachdem genügend Daten eines Trainingssets gesammelt wurden. Für Gewächshäuser mit definierten Anzucht-Bedingungen durchaus interessant.

Dass ein Bauer aus Luftaufnahmen seines Kohlfelds im Frühjahr schon mal die zu erwartende Kohlernte für den Herbst abschätzt, bleibt jedoch Illusion: In der freien Natur kommen zusätzliche Umweltfaktoren hinzu - eine Dürre oder eine Raupenplage können sämtliche Prognosen zunichte machen.

Andrea Pitzschke

Vasseur F. et al. (2018): Image-based methods for phenotyping growth dynamics and fitness components in Arabidopsis thaliana. Plant Methods, 2018 14:63



Letzte Änderungen: 22.08.2018