Editorial

Zeig mir deine Gene und ich sage dir, was du essen sollst

(03.09.2018) Abnehmen ist Typsache. Doch kann ein Gentest wirklich der Schlüssel zum Erfolg sein? Münchner Ernährungs­wissen­schaftler haben die Faktenlage gecheckt.
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Diätkonzepte gibt es wie Sand am Meer. Ob Low-Carb, Low Fat oder FDH – wie schnell die Pfunde purzeln ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Ausschlag­gebend ist die Energiezufuhr und weniger die Tatsache, auf welche Kostform – vegetarisch oder Vollkost etwa – gesetzt wird. Dennoch fällt es vielen Menschen schwer, das Körpergewicht zu reduzieren. Sie probieren eine Diät nach der anderen aus und bleiben oftmals dennoch erfolglos. Woran liegt das? Sind diese Menschen einfach nicht konsequent genug? Oder wurde den Pechvögeln das Übergewicht womöglich mit in die Wiege gelegt?

Der Körper jedes Menschen ist einzigartig. Das macht sich in vielerlei Hinsicht bemerkbar – auch beim Körpergewicht. So ist bekannt, dass bestimmte Gene das Körpergewicht beeinflussen. Womöglich spielt die Genetik auch bei der Zufuhr der Nährstoffe wie Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate eine Rolle. Eine Diät, die zu allen Menschen passt und bei jedem funktioniert, gibt es daher nicht. Wer beim Abnehmen also erfolgreich sein will, muss die individuellen Faktoren berücksichtigen. Die Idee, mit einer personalisierten maßgeschneiderten Ernährung endlich zur Traumfigur zu kommen, ist daher sehr vielversprechend. "Vor allem der Ansatz, auch genetische Faktoren bei den Ernährungsempfehlungen einzubeziehen, ist derzeit en vogue", erzählt Ernährungswissenschaftlerin Christina Holzapfel von der Technischen Universität München.

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Das Gen-Menü

Dabei ist das Prinzip der kommerziellen Gendiät recht einfach: Speichelprobe abgeben, DNA auswerten und schon weiß der Abnehmwillige, welche Lebensmittel er bedenkenlos essen kann und welche er besser meiden sollte. Wie viel Fett, Eiweiß und Kohlenhydrate für eine Person gut sind, wird einfach im Erbgut abgelesen. Diese Info wird dann genutzt, um einen individuellen genbasierten Ernährungsplan aufzustellen.

Doch wie sinnhaft ist dieses Diätkonzept wirklich? Ist die Wissenschaft schon so weit, aus genetischen Informationen individuelle Ernährungsempfehlungen abzuleiten? Holzapfel und ihr Team wollten das genauer wissen. Gemeinsam haben sie nach wissenschaftlichen Belegen für einen Zusammenhang zwischen genetischen Faktoren und der Nahrungs­aufnahme gesucht. Das Ergebnis: Der Zusammenhang zwischen genetischen Variationen und der Zufuhr von Energie, Fett oder Kohlenhydraten ist nicht eindeutig. Aus diesem Grunde ist es auch unklar, wie eine genbasierte Ernährungsempfehlung aussehen kann.

Keine Beweise!

„Nach heutiger wissenschaftlicher Datenlage und der weitläufigen Meinung von Fachgesellschaften gibt es für genbasierte Ernährungsempfehlungen keine Evidenz“, so Holzapfel. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, haben die Wissenschaftler eine systematische Literaturrecherche durchgeführt. Mehr als 10.000 Fachartikel kamen für das Thema in Betracht. Bei 39 Artikeln ging es direkt um den Zusammenhang zwischen genetischen Faktoren und der Nahrungsaufnahme. Am häufigsten tauchten die Gene fat mass and obesity associated (FTO) und melanocortin 4 receptor (MC4R) auf, für die es Hinweise auf einen Zusammenhang mit der Gesamtenergieaufnahme gibt. Das FTO-Gen wird zum Beispiel mit höherer Fettspeicherung im Körper und geringerer Fettverbrennung in Verbindung gebracht. Ein einheitliches Bild ergab die umfangreiche Literaturauswertung jedoch nicht. „Wir können lediglich in geringem Umfang einen Zusammenhang zwischen dem FTO-Gen und niedriger Energiezufuhr sowie dem MC4R-Gen und erhöhter Energiezufuhr ausmachen“, sagt Holzapfel.

Noch weit entfernt

Für die Ernährungswissenschaftlerin ist klar – genbasierte Diäten sind Zukunftsmusik. „Es sind große klinische Studien nötig, um den Effekt von genetischen Faktoren auf die Körpergewichtsreduktion und die Ernährung ausfindig zu machen. Zudem sind auch Gen-Lebensstil-Wechselwirkungen von Interesse“, erklärt sie uns und ergänzt, „One size fits all ist nicht mehr zeitgemäß und muss durch eine personalisierte maßgeschneiderte Ernährung ersetzt werden. Welche Rolle hierbei die Genetik eines Menschen spielt, ist Teil meiner Forschungsarbeiten“.

Eva Glink

Drabsch T. et al. (2018): Associations between Single Nucleotide Polymorphisms and Total Energy, Carbohydrate, and Fat Intakes: A Systematic Review. Advances in Nutrition, 9(4):425-53



Letzte Änderungen: 03.09.2018