Editorial

Weg mit den Schranken!

(10.09.2018) Vor zwei Jahren blies die EU zur Open-Access-Offensive. Nun heißt es: Europa, wir haben einen Plan! Der hat allerdings noch ein paar Schwachstellen. Die Zeit drängt jedoch.
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„Wissen ist Macht. Und ich glaube fest daran, dass der freie Zugang zu allen wissenschaftlichen Publikationen öffentlich geförderter Forschung ein ‚moralisches Recht‘ der Bürger ist“. Carlos Moedas, EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, kann seine Begeisterung für den neuerlichen Open-Access-Durchbruch der Europäischen Kommission nicht verbergen. Warum auch?

Initiiert vom Open-Access-Botschafter der Kommission Robert-Jan Smits und unter Federführung der Lobby-Gruppe Science Europe sowie diversen Obrigen nationaler Förderorganisationen (Deutschland in Gestalt der DFG war übrigens nicht dabei) bildete sich kürzlich eine „cOAlition“ der Willigen, die den Traum vom freien Zugang zu Forschungsarbeiten ab 1. Januar 2020 endlich wahr werden lassen möchte. Dafür tüftelte man einen Plan aus, einen „Plan S“ (S für Science?).

Editorial
Das Ende von Hybrid

Dieser sieht unter anderem vor, dass die Autoren die Rechte an ihren Veröffentlichungen ohne Einschränkung behalten; dass die Förderer oder die Universitäten für alle entstehenden Veröffentlichungsgebühren aufkommen; dass die Förderung von solchen Kosten europaweit standardisiert und gedeckelt wird und, dass die Förderer bei Verstößen Sanktionen aussprechen können. Außerdem spricht sich die cOAlition auch gegen das Hybrid-Modell - für eine gewisse Gebühr können Artikel auch in Bezahl-Journalen frei zugänglich gemacht werden - aus. Es sei nicht mit den Open-Access-Zielen vereinbar. „Science without publication paywalls“ eben, wie es Marc Schiltz, Präsident von Science Europe, formulierte.

Feedback zu Plan S ließ auch nicht lange auf sich warten und fiel durchweg positiv bis euphorisch aus. Allerdings gab es auch einige kritische Stimmen – nicht nur bei den wissenschaftlichen Verlagen, die nun ihre Felle davonschwimmen sehen. So schrieb beispielsweise die Federation of European Publishers, dass jegliche Initiative im Rahmen von Open Science die Bemühungen der Verlage anerkennen, unterstützen und begleiten sollten - damit die Verlage auch weiterhin ihre „essentielle Rolle“ bei der Verbreitung wissenschaftlicher Kommunikation spielen können. Oder anders ausgedrückt: „Geht‘s noch? Wir wollen doch auch noch Geld verdienen!“

Offen, aber nicht umsonst

Interessant in diesem Zusammenhang auch der Kommentar von Elseviers Sprecher Tom Reller im holländischen deVolkskrant: „Als je vindt dat informatie gratis moet zijn: ga naar Wikipedia.“ Sinngemäß: Wenn Sie denken, dass Informationen kostenlos sein sollten, gehen Sie zu Wikipedia (Hat Tip: @MsPhelps).

In Wissenschaftskreisen überwiegt jedoch die Vorfreude. EMBO-Direktorin Maria Leptin etwa sagte in einer Pressemitteilung: “Wir begrüßen den Plan, in dem sich auch einige Empfehlungen wiederfinden, die EMBO zum Beispiel im Rahmen der Open Science Policy Platform abgegeben hat.“ Leptin fügt jedoch hinzu „Während wir auf das Open-Access-Ziel hinarbeiten, müssen wir sicherstellen, dass wir nicht ‚offen‘ mit ‚kostenlos‘ gleichsetzen und darunter die Qualität im Publikationsprozess leidet.“

Auch die DFG äußert sich zuallererst positiv, ist aber gleichzeitig darüber verwundert, dass man Förderempfänger gleich in die Pflicht nehmen will (inklusive Sanktionen). Außerdem gibt sie zu bedenken: „dass Open-Access-Verpflichtungen auch zu erhöhten Publikationsgebühren (APCs) führen können – ein Effekt, den es zu minimieren gilt. “

Einige Schwachstellen

Peter Suber, Open-Access-Advokat der ersten Stunde und Philosophie-Professor in den USA, hat sich mit Plan S etwas intensiver auseinander gesetzt und weitere Schwachstellen entdeckt. Zum einen geht‘s um die Hybrid-Journale, die ja eigentlich nicht akzeptabel sind. Allerdings gesteht die cOAlition zu, dass eben diese Journale als Sprungbrett genutzt werden können. „Diese Ausnahme lässt viel Raum für Nebenvereinbarungen, die nur Hybrid-Journale betreffen“, findet Suber.

Weiterhin schreibt er „der Plan will ein ausnahmsloses Open-Access-Mandat… aber er erkennt auch an, dass die Freiheit des Autors seine Arbeit dort zu veröffentlichen, wo er es für richtig hält, noch wichtiger ist, zum Teil weil es die Gesetzgebung in manchen Ländern so verlangt. Diese Unstimmigkeit ist ein Problem.“ Dagegen steuern will die cOAlition mit neuen Anreizen und einer neuen Belohnungsstruktur. „OK“, findet Suber, „aber der Plan sagt nichts darüber wie man das umsetzen will, außer, dass man sich auf DORA [Declaration on Research Assessment] beruft. (…) Das ist ein riesiges, vertracktes Problem, das man nicht einfach damit zur Seite wischen kann, indem man sich für etwas einsetzen will und sich auf gute Prinzipien besinnt.“

Kein Wort zu Infrastruktur

Noch zwei Punkte liegen Suber auf dem Herzen. Der eine betrifft die Kostenübernahme der Publikationsgebühren durch die Förderer. Suber glaubt, dass es hier „strategische Einschränkungen geben muss, wie dieses Geld ausgegeben wird“. Der Plan sieht zwar vor, dass die Gebühren standardisiert und gedeckelt werden, „aber es sollten noch viele weitere Einschränkungen erwogen werden“. Und last but not least kritisiert Suber, dass Plan S auffällig stumm beim Thema offene Infrastruktur ist. „Es ist fast so“, schreibt Suber, „als ob Science Europe und der Europäischen Kommission die Risiken nicht bewusst sind, die sie eingehen, wenn Europas Open-Access-Forschung auf einer privaten Plattform gehostet wird.“

Auch einige Lebenswissenschaftler äußerten sich auf Twitter. Neurobiologe Björn Brembs beispielsweise machte sich zu möglichen Konsequenzen Gedanken: Förderer müssten 10 Milliarden jährlich für Publikationen zur Seite legen, Bibliotheken hingegen verlören diese 10 Milliarden (und könnten überflüssig werden). Außerdem müssten Forscher immer noch in Journalen mit unseriöser Forschung veröffentlichen um einen Job zu kriegen - und ähnlich wie Suber gibt Brembs zu bedenken, dass Daten und Code weiterhin keine geeignete Infrastruktur hätten.

Es gibt also noch viel zu tun und die Zeit rennt. Bis zum 1. Januar 2020 sind es nur noch 478 Tage.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 10.09.2018