Editorial

Preis für die Eigenständigkeit

(17.09.2018) Für ihre Forschung zur menschlichen Entwicklung und fleischfressenden Pflanzen erhielten eine Türkin und ein Japaner den millionenschweren Sofja Kovalevskaja-Preis.
editorial_bild

Die höchstdotierten und sicherlich bekanntesten deutschen Wissenschafts­preise sind die Alexander-von-Humboldt-Professur (5 Millionen Euro) und der Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis (bis zu 2,5 Millionen Euro). Etwas unbekannter, aber mit dem dritthöchsten Preisgeld (bis zu 1,65 Millionen Euro) folgt der Sofja-Kovalevskaja-Preis, gestiftet vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und verliehen von der Alexander von Humboldt-Stiftung. Maximal sechs ausländische Nachwuchswissenschaftler werden jährlich ausgezeichnet und erhalten so die Möglichkeit, eine eigene Arbeitsgruppe an einer deutschen Forschungs­einrichtung zu etablieren. Rund ein Drittel der Ausgezeichneten sind aber auch im Ausland tätige Deutsche, die mit Hilfe des Preisgelds nach Deutschland zurückgeholt werden.

Editorial
Frühe Frauenpower

Während Alexander von Humboldt und Gottfried Wilhelm Leibniz nicht nur unter Wissenschaftlern bekannt sind, stellt sich bei Sofja Kovalevskaja eher die Frage: Wer war das überhaupt und warum sollte man einen Forschungspreis nach ihr benennen? Kovalevskaja lebte von 1850 bis 1891 und war eine russische Mathematikerin mit deutschen Wurzeln. Da Frauen in Russland das Studium zu dieser Zeit generell verwehrt wurde, ging sie eine Scheinehe mit einem russischen Geologie-Studenten ein und begleitete diesen nach Deutschland. Dort konnte sie studieren und promovieren, allerdings auch hier oft nur dank der massiven Unterstützung durch einflussreiche Mathematiker, die von ihren Fähigkeiten überzeugt waren und ihr teilweise Privatunterricht erteilten. Ab 1884 war Kovalevskaja Professorin an der Universität Stockholm und hielt dort eigene Vorlesungen. Eine Seltenheit in dieser Zeit, die sich an der Pariser Sorbonne beispiels­weise erst 1906 mit Marie Curie wiederholte. Sicherlich aufgrund ihres eigenen schwierigen Karrierewegs setzte sich Kovalevskaja für das Recht aller Frauen auf Bildung ein.

Epigenetik plus Metabolomik

Dieses Jahr wurde der nach ihr benannte Preis an fünf ausländische und einen in Großbritannien arbeitenden deutschen Forscher verliehen, von denen zwei an biologischen Fragestellungen arbeiten. So interessiert sich die Türkin Aydan Bulut-Karslioglu dafür, wie der Lebenswandel und die Ernährung der Mutter die Entwicklung des menschlichen Embryos beeinflussen. In erster Linie erforscht sie dafür epigenetische Mechanismen, betrachtet jedoch auch das Metabolom, denn die Zusammenhänge zwischen Epigenetik und Metabolomik bei der Differenzierung von Zellen bis hin zur Entwicklung von Organen sind bislang weitgehend unbekannt.

Nach ihrem Studium in Ankara verfasste Bulut-Karslioglu ihre Doktorabeit am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg, und ging anschließend als Postdoc an die University of California in San Francisco. Diesen Sommer wechselte sie ans Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin, in die Abteilung Genomregulation, geleitet von Alexander Meissner. „Der Sofja-Kovalevskaja-Preis ist ein entscheidender Schritt in meiner Karriere, da er mir die Möglichkeit gibt, in Deutschland eine eigene Forschungsgruppe aufzubauen“, so die Preisträgerin. „In der heutigen Zeit ist eine gute finanzielle Förderung Voraussetzung für den Forschungserfolg. Mit Hilfe des Preisgelds kann ich meine eigenen Forschungsprojekte und -ideen verfolgen. In Kombination mit der unterstützenden Umgebung am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik wird der Sofja-Kovalevskaja-Preis meinem Team so wichtige Entdeckungen in der Säugetierbiologie ermöglichen.“

Evolution besonderer Pflanzen

Zweiter biologischer Preisträger ist der Japaner Kenji Fukushima, der demnächst an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg forschen wird. Bislang ist der Evolutionsbiologe als Postdoc an der University of Colorado in Denver tätig. Sein Forschungsgebiet ist die Evolution fleischfressender Pflanzen, die mit Hilfe besonders gestalteter Blätter erstaun­liche Fähigkeiten entwickelt haben, Insekten und andere Beutetiere zu fangen und zu verdauen. Wie diese Anpassungen in verschiedenen Pflanzenordnungen mehrmals unabhängig voneinander auftreten konnten und wie sich die Anpassungen auf genetischer Ebene widerspiegeln, möchte Fukushima in Würzburg herausfinden – und zwar mit Hilfe neuer molekulargenetischer Werkzeuge, die er selbst entwickelt.

Am Ende sollen seine Ergebnisse auch allgemein Aufschluss darüber geben, wie sich komplexe Merkmale in der Evolution entwickeln und wie biologische Systeme auf natürliche Selektionsprozesse reagieren. „Mein langfristiges Ziel ist es, die Mechanismen der organismischen Evolution zu verstehen. Die fünfjährige Finanzierung als Principal Investigator ebnet mir den Weg, dieses Forschungsziel zu erreichen“, fasst Fukushima die Bedeutung des Sofja-Kovalevskaja-Preises für seine Karriere zusammen. „Dazu gehört die zeitaufwändige Entwicklung neuer Methoden, die sowohl eine passende bioinfor­matorische Pipeline als auch molekulargenetische Werkzeuge für Nicht-Modell-Organismen umfassen. Die Zusammenstellung eines Teams ermöglicht es mir außerdem, die technischen Neuentwicklungen effizient zu nutzen.“ Nicht zuletzt hofft der Preisträger natürlich auch auf langfristige Kooperationen mit den gastgebenden Forschern um Rainer Hedrich.

Larissa Tetsch



Letzte Änderungen: 17.09.2018