Editorial

Nein! – Für Europa

(19.11.2018) Am Sonntag wird in der Schweiz per Volksentscheid über eine Initiative abgestimmt, die der Schweizer Forschung schwer zusetzen könnte.
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Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des Nationalismus. Rechts­konservative Kräfte sind davon überzeugt, dass man allein besser dran ist als in der Gemeinschaft, dass nationale Interessen wichtiger sind als europäische. Tatsächlich sind in einigen Ländern Europas (und dem Rest der Welt) ihre Strategien bereits aufgegangen.

Dass sich diese Isolierung auch auf die Wissenschaft auswirkt, ist vielen Unter­stützern nicht bewusst oder vielleicht auch einfach egal. Auf dem Spiel steht jedoch einiges: In erster Linie Zugang zu europäischen Forschungsprogrammen und damit verbunden viel Geld sowie die Möglichkeit, europaweit problemlos gemeinsame Projekte voranzutreiben.

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Nationalistische Nachwirkungen

Auch in der Schweiz sind nationalistische Kräfte am Werk. Bereits 2014 sorgte die Schweizerische Volkspartei (SVP) mit ihrer Initiative „Gegen Masseneinwanderung“ unter anderem dafür, dass die Alpenrepublik zeitweise vom EU-Forschungs­rahmen­programm Horizon 2020 ausgeschlossen wurde. Seit Anfang 2017 sind die Schweizer Forscher aber wieder offiziell mit dabei, denn der Bundesrat hat die Initiative so umgesetzt, dass sie keine EU-Regeln verletzt. Dennoch sind die Auswirkungen des kurzzeitigen Rausschmisses noch zu spüren. Eine aktuelle Statistik besagt, dass verglichen mit den Vorgänger­programmen die Schweizer Beteiligungen an Horizon 2020 von 3,2 auf 2,4% zurück­gegangen sind; bei Projekt-Koordinationen von 3,9 auf 2,6%.

Gerade erst ist das kleine Land also dabei, sich wieder zu erholen, da droht schon neues Ungemach. Wieder ist die SVP beteiligt. Dieses Mal lässt sie die Eidgenossen per Volksentscheid am 25. November über eine neue Initiative abstimmen. Mit dieser sogenannten Selbstbestimmungs-Initiative (SBI) oder „Schweizer Recht statt fremde Richter“ will man das Volk „vor einer schleichenden Entmachtung schützen“.

Hauptsächlich geht‘s um völkerrechtliche Fragen, bei denen außer in Ausnahmefällen, die Schweizer Verfassung ausschlaggebend sein soll und nicht die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Ein Beispiel: „Falls der Europäische Menschengerichtshof entscheiden würde, dass das Minarett-Verbot in der Schweizer Verfassung gegen die Religionsfreiheit verstößt, müsste die Schweiz die EMRK wohl kündigen.“

Ansehen in Gefahr

Zugegeben – Völkerrecht hat nicht direkt etwas mit Wissenschaft und Forschung zu tun. Dennoch machen die Schweizer Hochschulen mobil gegen die Initiative, denn sie fürchten, dass das Ansehen der Schweiz als loyaler und vertrauenswürdiger Partner Schaden nehmen könnte. „Bei einer Annahme der Initiative ist unklar, inwieweit die bilateralen Verträge, das Personen­freizügigkeits­abkommen oder das Forschungs­abkommen betroffen wären. Und wie die Europäische Union reagieren würde“, gibt Angelika Kalt, Direktorin des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), in einem aktuellen Interview zu bedenken.

Interessant in diesem Zusammenhang: Das Forschungs- und Personen­freizügigkeits­abkommen sind zusammen mit beispielsweise dem Abkommen über den Luftverkehr in einem Vertragspaket (Bilaterale Verträge I) zusammengefasst. Die einzelnen Verträge sind jedoch über eine „Guillotine“-Klausel miteinander verknüpft. Will heißen: wird ein Vertrag gekündigt oder nicht verlängert, sind auch alle anderen Abkommen futsch.

„Es lässt sich zurzeit nicht sagen, welches die tatsächlichen Auswirkungen wären,“ lässt SNF-Mediensprecher Jun Sarbach Laborjournal wissen. „Falls nötig, würde sich der SNF geeignete Maßnahmen überlegen, soweit er solche im Rahmen seiner Forschungsförderung ergreifen könnte. Dies hat er ja auch 2014 getan. Allerdings: Die Nachteile einer allfälligen Nicht-Beteiligung der Schweiz an europäischen Forschungs­programmen kann der SNF durch eigene Maßnahmen nicht ausgleichen.“ Geld löst nun mal nicht alle Probleme wie man aus der Vergangenheit weiß. Denn 2014 war es dann teilweise auch „die Rechtsunsicherheit (…), die einen Teil der Forschenden in anderen europäischen Ländern davon abhielt, mit Forschenden in der Schweiz zu kooperieren. Das dürfte sich bei einem erneuten Ausschluss wiederholen“, befürchtet Kalt.

Knappe Sache

Damit sich dieses Szenario eben nicht wiederholt, versucht der SNF mit „verschiedenen Kommunikations­maßnahmen (Interviews, Social-Media-Posts) aufzuzeigen, wie wichtig die europäischen Forschungs­programme für die Schweizer Wissenschaft sind und warum die SBI die Beteiligung der Schweiz gefährdet“, erläutert Sarbach.

Diesen Sonntag wird sich herausstellen, wie erfolgreich diese Maßnahmen waren. Die letzten Umfragen von Ende Oktober deuten auf eine Ablehnung der Initiative hin, allerdings mit einer nur knappen Mehrheit von 53%.

Selbst wenn die SBI durchfällt, kann die Schweizer Wissenschaft noch nicht aufatmen. Denn ein weiteres Abkommen steht noch aus – das Rahmenabkommen mit der EU, welches sämtliche bilateralen Verträge bündelt und übergeordnete Fragen regelt. Wie die Schweiz, zum Beispiel, Neuerungen des EU-Rechts übernimmt. Seit Jahren wird verhandelt, zu einem Ergebnis ist man jedoch noch immer nicht gekommen. Nun drängt die EU auf den Abschluss der Verhandlungen.

Zugang ab 2021 verwehrt?

Ohne Rahmenabkommen könnte die Schweiz abermals von den EU-Fördertöpfen verwiesen werden. „Es ist zu befürchten, dass (…) eine Assoziierung der Schweiz an die EU-Bildungs- und Forschungsprogramme ab 2021 nicht mehr möglich sein wird“, heißt es in einer Pressemitteilung der Rektorenkonferenz der schweizerischen Hochschulen, swissuniversities. „Denn die Regelung der institutionellen Fragen rund um die bilateralen Abkommen Schweiz-EU dürfte für eine erfolgreiche Weiterführung des Bilateralen Weges insgesamt notwendig sein. Dies gilt insbesondere für die auf Seiten der EU jeweils neue zu beschließende Beteiligung der Schweiz an den EU-Programmen.“

Würde die EU die Schweiz tatsächlich von ihren Förderprogrammen längerfristig ausschließen, würde sie sich damit allerdings auch ins eigene Fleisch schneiden und möglicherweise ein neues Schreckgespenst heraufbeschwören. „Denn die Beteiligung der Schweiz mit ihrer starken Forschung und ihrem erheblichen finanziellen Beitrag ist ein großer Gewinn für die europäische Forschung“, argumentiert Kalt. „Will sich Europa gegenüber Nordamerika und Asien in der Wissenschaft und damit auch in der Wirtschaft behaupten, ist es auf eine enge Zusammenarbeit aller Länder angewiesen.“

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 19.11.2018