Editorial

Als Gründen noch exotisch war

(22.11.2018) Seit 35 Jahren hat die Heidelberger Progen GmbH eine „Leidenschaft für Forschung“ und musste in ihrer Historie so manchen Stolperstein überspringen.
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Vom Begriff „Start-up“ hatte man 1983 ziemlich sicher noch nichts gehört, geschweige denn von universitären Technologietransfer-Abteilungen und Gründungsoffensiven vom Bund. Damals, Anfang der 80er, betraten vier Heidelberger Professoren absolutes Neuland, als sie mit einer großen Portion Unternehmergeist und 100.000 D-Mark Stammkapital die Firma Progen Biotechnik GmbH ins Leben riefen.

Progen war somit eines der ersten Biotech-Start-ups in Deutschland und gleichzeitig die allererste Ausgründung (auch dafür gibt‘s mit Spin-off inzwischen ein hippes Wort) des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ). „Heute wird man als Wissenschaftler von seiner Universität dafür gelobt, für mich gab es damals eine Schelte des Rektors, und den etwas freundlicheren Kanzler kann ich mit dem Spruch zitieren: ‚Ach, Herr Bautz, hätten sie doch die Progen in Kiel gegründet!‘. Ermun­terung kam lediglich vom damaligen Ministerpräsidenten Lothar Späth,“ erinnert sich Ekkehard Bautz, einer der vier Gründungsprofessoren. „Die Gründung eines Unternehmens aus dem wissenschaftlichen Umfeld heraus war im Jahr 1983 noch exotisch und wurde von der Forschergemeinde mit Skepsis betrachtet“, fügt er hinzu. „Damals war auch praktisch kein Risikokapital erhältlich.“

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Illustres Quartett

Neben Bautz, der übrigens in den späten 60-er Jahren den ersten Transkriptionsfaktor in Bakterien entdeckt hatte, gehörten zum illustren Gründungsquartett Zytoskelett-Experte und „Dopingfahnder“ Werner Franke sowie der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Peter Gruss und Immunologe Günter Hämmerling.

Gewissermaßen erfolgte die Gründung aus der Not heraus, denn in den Laboren von Bautz und Co. stapelte sich eine Vielzahl von selbstentwickelten molekularen Werkzeugen – Antikörper, Virus-Vektoren etc. „Nach den Regeln der Wissenschaft sind Sie verpflichtet, solche Reagenzien weltweit zur Verfügung zu stellen. Aufgrund der hohen Nachfrage war das damals in unseren Laboren aber logistisch so gut wie nicht zu leisten“, schildert Franke in einer Pressemitteilung. „Durch den Vertrieb über ein Unternehmen waren die Reagenzien weltweit für Forschung und Diagnostik verfügbar.“ Die damalige Produkt­palette, die hauptsächlich auf die Gen- und Proteinforschung abzielte, erklärt auch den Firmennamen: PROtein & GENe.

Von den anfänglichen Widrigkeiten hatte man sich also nicht unterkriegen lassen – dennoch lief in der Progen-Historie nicht immer alles reibungslos. „In den vergangenen 35 Jahren gab es mehrere Eigentümerwechsel mit unterschiedlichen Geschäfts- und Finanzierungs­modellen. Ein Tiefpunkt in der Firmengeschichte war 2011 die Insolvenz des damaligen Besitzers November AG, der beinahe auch das Aus für Progen bedeutete“, berichtet Sven Kuhlendahl, heutiger Geschäftsführer. „2012 rettete die r-biopharm-Firmengruppe aus Darm­stadt die Progen als Filetstück aus der Insolvenzmasse der November AG und gab Progen durch die Eingliederung in das Unterneh­men den notwendigen strukturellen und finanziellen Rückhalt für die strategische Neuausrichtung und ein gesundes Wachstum.“

Bei der r-biopharm – ein Anbieter für klinische Diagnostik sowie Lebensmittel- und Futtermittelanalytik – scheint Progen nun also gut aufgehoben. Das 1988 gegründete Unternehmen hat derzeit über 800 Mitarbeiter, unter anderem in Argentinien, Australien, China, Italien und Österreich. Im Geschäftsjahr 2016 erwirtschafteten die Darmstädter einen Umsatz von 125,5 Millionen Euro.

Hunderte Antikörper

Einen Teil davon steuert Progen vor allem mit Antikörpern bei – seit jeher das Aushänge­schild der Firma. „The most published antibodies in biomedical and cell biology literature,“ wirbt man auf der Webseite, „since 1983“, of course. „Forschungs­antikörper generell haben in den letzten Jahren einen massiven Vertrauensverlust durch Qualitäts­­schwan­kungen im Massenmarkt erfahren. Progen setzt daher konsequent auf Qualitäts­sicherung und Validierung seines 800+ Portfolios, unter anderem mit modernen Technologien, wie dem Epitop-Mapping, um Wissenschaftlern mit hochqualitativen Antikörpern zuverlässige Werkzeuge zu liefern“, führt Kuhlendahl aus.

Diese Qualitätssicherung scheint sich zu bewähren. Kürzlich erhielt Progen von CiteAb, einem Antikörper-Such-Portal, eine lobende Erwähnung („highly commended“) in der Kategorie „Antikörper-Validierung“. Gewinner war übrigens Thermo Fisher Scientific für ihr zweiteiliges Validierungs-Verfahren.

Aber Antikörper sind längst nicht alles, was Progen zu bieten hat. Im Portfolio befinden sich ebenso verschiedene aufgereinigte und rekombinante Proteine (als Antigene und Kontrollen), Dichtegradienten-Medien und Produkte für den Phagen-Display und die Adeno-assoziierte Virus-basierte Gentherapie. „Ein wichtiges Element der Firmenstrategie ist die enge Zusammenarbeit mit forschenden Institutionen sowie mit Unternehmen, welche die eigenen Geschäftsfelder sinnvoll ergänzen oder ausbauen“, unterstreicht Kuhlendahl.

Die Zeiten ändern sich

Im Oktober feierte man das 35. Jubiläum auf dem Firmengelände mit Kurzvorträgen, Betriebsbesichtigungen, Buffet-Spezialitäten sowie Franke und Bautz als Gästen. Viel hat sich seit 1983 verändert. Die Gründer sind allesamt emeritierte Professoren und heute nicht mehr mit dem Unternehmen verbunden. „Mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg pflegt Progen auch heute noch enge Kontakte, zum Beispiel bei der Entwick­lung und Validierung von Antikörper oder im Rahmen von Produktlizenzen“, sagt Kuhlendahl.

Auch was akademische Ausgründungen angeht, hat sich einiges getan. „Mittlerweile gibt es eine intensive Förderkultur sowie gut organisierte Unterstützungsangebote für Start-ups, vor allem in der Rhein-Neckar-Region“, weiß Kuhlendahl. „Universitäten profitieren von Patenten und Lizenzen, die durch die Spin-offs an den biomedizinischen Märkten Wert generieren.“

Und das ist fast schon ein bisschen witzig, wenn man bedenkt, dass die damalige Uni-Leitung alles andere als begeistert war, von der befremdlichen Idee der vier Professoren.

Kathleen Gransalke



Letzte Änderungen: 22.11.2018