Editorial

"Alle fünf Jahre beginne ich ein neues Forschungsgebiet"

(26.11.2018) Die Österreicherin Angelika Amon ist seit 20 Jahren am MIT in Boston. Kürzlich erhielt sie für ihre Aneuploidie-Forschung den Breakthrough-Preis. Wir sprachen mit ihr über die Auszeichnung und das Forschen unter Trump.
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Laborjournal: Was haben Sie mit dem Preisgeld von 2,6 Millionen Euro vor?

Angelika Amon: Ich freue mich zuerst einmal sehr, dass die Arbeit meiner Gruppe auf diese Weise anerkannt wurde. Das ist für meine Mitarbeiter eine tolle Motivation. Der Breakthrough-Preis ist allerdings kein forschungsgebundener, sondern ein persönlicher Preis. Welchen Teil ich für Forschungszwecke einsetzen werde, habe ich noch nicht entschieden. Wir leben in Cambridge, Massachusetts. Das ist ein teures Pflaster. Einen Teil des Preisgeldes werde ich wahrscheinlich dafür verwenden, den Kredit für mein Haus abzubezahlen. Zudem gehen vom Preisgeld recht hohe Steuern ab.

Wie hat Ihre Forschung zu abweichenden Chromosomenzahlen, also zur Aneuploidie, begonnen?

Amon: Einen Durchbruch haben wir mit Hefezellen und Mauszelllinien mit definierten Trisomien, also dreifach vorhandenen Chromo­somen, erreicht. Solche Zellen wachsen normalerweise nur schlecht. Wir haben herausgefunden, dass sie nach längerer Kultur aufgrund ihrer genetischen Instabilität zusätzliche Chromosomen-Veränderungen erwerben, die aggressives Wachstum erst ermög­lichen.

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Krebszellen haben nahezu immer abweichende Chromosomenzahlen. Wie kann man diese Eigenschaft ausnutzen, um solche Zellen gezielt zum Absterben zu bringen?

Amon: Wir haben Proof-of-Principle-Versuche durchgeführt, in denen wir zeigen konnten, dass DL-PDMP, ein Hemmstoff des Sphingolipid-Metabolismus, aneuploide Zellen in die Apoptose treiben kann. Er hat auch die zytotoxische Wirkung des Chemotherapeutikums Paclitaxel auf menschliche Darmkrebszellen und Maus-Lymphomzellen verstärkt. Der Wirkstoff wird bereits in der Klinik eingesetzt, allerdings bisher nicht bei Krebs, sondern bei Nierenerkrankungen. Darüber hinaus konnten wir zeigen, dass Agenzien wie AICAR oder 17-AAG, die energetischen oder proteintoxischen Stress erzeugen, die Proliferation von aneuploiden Darmkrebszellen hemmen. Meine Gruppe ist jedoch nicht chemisch oder klinisch orientiert, sondern wir betreiben Grundlagenforschung. Für große Screenings müssten wir anders ausgerüstet sein.

Wie hat sich das Forschungsumfeld unter dem viel und häufig kritisierten Präsidenten Trump entwickelt?

Amon: Der republikanische Kongress hat den National Institutes of Health einen guten Geldzuschuss gegeben. Für die Klimaforschung, die von der National Science Foundation finanziert wird, sieht es dagegen düster aus. Wir leben hier im Nordosten der USA in einem politisch liberalen Umfeld. Daher bekommen wir außer über die Nachrichten nicht allzu viel von den Auswirkungen der Regierungspolitik mit. Offensichtlich ist, dass die Wirtschaft derzeit extrem floriert. Jeder sucht nach Arbeitskräften und wir haben Vollbeschäftigung. Allerdings bekommen Studenten und Forscher aus Irak, Iran, Syrien, Sudan, Somalia, Libyen und Jemen derzeit keine Visa. Ich erhalte dazu immer wieder E-Mails von Kollegen, die von den damit verbundenen Problemen berichten.

Sie kommen ursprünglich aus Österreich. Welche Vor- und Nachteile hat es, in den USA zu forschen und zu leben?

Amon: Am Massachusetts Institute of Technology gefällt mir, dass sich alles nur um die Wissenschaft dreht. Es macht großen Spaß, hier zu forschen, weil Politik und Platzhirsch­kämpfe keine Rolle spielen. Allerdings muss ich auch die gesamte Forschung meiner Gruppe und drei Monate meines Gehalts über Drittmittel finanzieren. Insgesamt geht es uns in Massachusetts aber vergleichsweise gut. In anderen Bundesstaaten sind die Unterschiede zwischen arm und reich extremer, was für mich als Europäerin teilweise erschreckend ist.

Welchen Handlungsbedarf sehen Sie in der Forschungspolitik, z.B. bezüglich der Ausbildung eines Wissenschaftlerüberschusses?

Amon: Die Konkurrenz um das Funding ist auch hier sehr groß. Allerdings finden Forscher, die nicht an der Universität bleiben können, in den USA in der Regel eine erfüllende Stelle in anderen Berufszweigen. Mit ihren wissenschaftlichen Fähigkeiten sind sie rationaler, können Daten analysieren, logische Schlüsse ziehen und lassen sich weniger leicht manipulieren. Daher kann es nie genug wissenschaftliche Ausbildung für alle Menschen geben.

Andererseits muss man, wenn das Geld begrenzt ist, Prioritäten setzen. Wenn Sie mich als Mutter von zwei Kindern fragen, ob die Regierung noch zehn Projekte zu Prostatakrebs fördern oder lieber armen Kindern in Mississippi eine Schulspeisung ermöglichen sollte, würde ich mich für die Schulspeisung einsetzen. Das ist zum Teil die einzige Mahlzeit am Tag, die diese Kinder bekommen.

Müssten Wissenschaftlerinnen mehr gefördert werden?

Amon: Was Frauen in Führungspositionen betrifft, sind die USA im Vergleich zu Österreich sozusagen das gelobte Land. Aber auch wir arbeiten in den USA daran, die jungen Frauen zu fördern und die Situation noch weiter zu verbessern. Kinderkrippen und extra Zeit bis zum Tenure wurden bereits realisiert, aber wir müssen noch viel mehr tun, um wirkliche Gleichstellung zu erreichen.

Welche Forschungsfragen wollen Sie in der näheren Zukunft angehen?

Amon: Wir erforschen weiter den Zusammenhang zwischen Aneuploidie und Krebs. Zudem beginne ich etwa alle fünf Jahre mit einem neuen Forschungsgebiet. Wir möchten herausfinden, was die genetischen Grundlagen für die endgültige Größe von Zellen sind.

Die Fragen stellte Bettina Dupont



Letzte Änderungen: 26.11.2018