Editorial

Infrarot-Sicht für Mäuse

(06.03.2019) Manipuliert man die Photorezeptoren von Mäusen mit speziellen Nanopartikeln, so können die Nager auch nahes Infrarotlicht wahrnehmen.
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Im Gegensatz zu sichtbarem Licht ist nahes Infrarotlicht (NIR) mit Wellenlängen über 700 Nanometern für Säuger unsichtbar, weil die passenden Photorezeptoren fehlen. Allein die Idee, Säuger-Augen für NIR-Licht empfänglich zu machen, klingt gelinde gesagt abgefahren. Ein chinesisch-US-amerikanisches Team um den Photore­zeptor-Spezialisten Tian Xue von der University of Science and Technology of China in Hefei, hat diese Idee zumindest in Mäusen aber dennoch in die Realität umgesetzt.

Damit Säuger-Augen Infrarotlicht wahrnehmen können, muss man entweder die Seh­rezeptoren so manipulieren, dass sie auch sehr energiearmes Licht wahrnehmen können, oder energiearmes Licht energiereicher machen. Die chinesische Gruppe hat sich für die zweite, physikalische Variante entschieden: Sie entwickelte sogenannte Upconversion-Nanopartikel (UCNPs), die an die Photorezeptoren binden und wie winzige Antennen für nahes Infrarotlicht funktionieren.

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Partikel mit Übergangsmetall

UCNPs sind 1 bis 100 Nanometer große Partikel, die eine mit Lanthanid- oder Aktinid-Übergangsmetallen dotierte Schicht enthalten. Je nach Zusammensetzung der Übergangs­metalle ermöglicht diese Schicht den UCNPs, im Infraroten (IR) oder NIR-Spektrum zu absorbieren und im sichtbaren (VIS)- oder sogar UV-Spektrum zu emittieren.

Für die angestrebte upconversion von NIR in sichtbares Licht stellten die Forscher UCNPs her, die bei 980 Nanometer maximal absorbierten und Licht mit einer Wellenlänge von 535 Nanometern emittierten, also sehr nahe am Sensitivi­tätsmaximum des menschlichen Auges, das bei etwa 550 Nanometern liegt.

Damit hatte das Team den ersten Teil des Problems gelöst, aber wie gelangen die UCNPs an ihre Zieldestination im Auge? Die UCNPs müssen möglichst engen Kontakt zu den Sehrezeptoren haben, um diese überhaupt anregen zu können. Am besten wäre es, wenn sie direkt auf den Photorezeptoren sitzen und sich in die natürliche Umgebung der Netzhaut integrieren würden.

Säure-Mantel macht wasserlöslich

Xues Mitarbeiter verbesserten daher zunächst die Wasserlöslichkeit der UCNPs, indem sie diese mit einem Mantel aus Polyacrylsäure versahen. Anschließend verknüpften sie die Carbonsäure-Gruppen mit dem Kohlenhydrat-bindenden Lektin ConcanavalinA, das einen perfekten Verknüpfungspunkt für Photorezeptoren darstellt. Als Zucker-bindendes Protein, geht ConA glycosidische Bindungen mit dem äußeren Segment von Sehrezeptoren ein.

Jetzt musste die Gruppe die UCNPs nur noch auf den Photorezeptoren von Mäusen unterbringen. Dazu injizierte sie die Nanopartikel direkt in die Netzhaut der Tiere. Die Mäuse reagierten zwar mit einer leichten Entzündungsantwort auf die Spritze, diese war jedoch nicht stärker als bei Kontrolltieren, die nur eine Spritze mit PBS erhielten. Das Team untersuchte Schnitte der behandelten Netzhaut mit dem Mikroskop und beobachtete, dass sowohl die Stäbchen- als auch die Zapfenzellen rundum mit den UCNP-Nanopartikeln überzogen waren.

Aber konnten die mit den Nanopartikeln behandelten Mäuse tatsächlich NIR-Licht sehen? Um dies herauszufinden, maßen Xue und Co. visuell hervorgerufene elektrische Potenziale (VEP) in den Augen mit der Elektroretinographie und untersuchten zudem Verhaltens­unterschiede zwischen behandelten und unbehandelten Mäusen.

Ein wunderschönes Dunkelrot

In Mäusen mit injizierten Nanopartikeln löste sowohl sichtbares als auch NIR-Licht ein elektrisches Potenzial aus, in Kontrolltieren dagegen nur sichtbares Licht. Die Fähigkeit NIR-Licht zu sehen, beeinträchtigte die sonstige Sehfähigkeit der Mäuse nicht. Vermutlich sehen sie das Infrarot-Licht als ein wunderschönes Dunkelrot.

Das erworbene NIR-Sehvermögen beeinflusste auch das Verhalten der Mäuse. In Dark-Box-Experimenten wichen sie nicht nur sichtbaren Wellenlängen aus, sondern auch NIR-Licht. Präsentierten Xues Mitarbeiter den Mäusen in einem ansonsten dunklen Raum leuchtende Formen aus sichtbarem oder NIR-Licht, so erkannten sie beide und konnten zwischen diesen unterscheiden.

Die Gruppe könnte sich vorstellen, dass man die UCNP-Nanopartikel nutzt, um zum Beispiel Wirkstoffe lichtinduziert freizusetzen. Beängstigender klingt ihre Vision, dass man die Technologie auch für militärische Zwecke, etwa als "Nachtsichtgeräte" einsetzen könnte.

Andrea Pitzschke

Ma Y. et al. (2019): Mammalian near-infrared image vision through injectable and self-powered retinal nanoantennae. Cell, DOI: 10.1016/j.cell.2019.01.038