Editorial

Biopharmazeutika der Zukunft

(08.08.2019) Große EU-Forschungsprojekte wie iConsensus sind eine Chance für kleine Biotech-Unternehmen. Hier werden Kontakte geknüpft und Produkte optimiert.
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Wollen Biotech-Firmen Biopharmazeutika und Impfstoffe herstellen, greifen sie oft auf Zellkulturen zurück. Säugerzellen sind natürlich die erste Wahl, wenn es darum geht, Wirkstoffe herzustellen, die für Menschen gut verträglich sind. Die Zell­fabriken produzieren Substanzen, thera­peutisch verwendete Proteine beispiels­weise, auf natürlichem Wege. Die Proteine liegen automatisch korrekt gefaltet und glykolysiert vor und sind dadurch nicht nur verträglich für den Menschen, sondern auch für die Umwelt, denn umweltbelastende chemische Herstellungsprozesse entfallen.

Die sehr empfindlichen Zellfabriken müssen jedoch während der Wirkstoff-Produktion ständig überwacht werden, denn die Qualität der erzeugten Produkte hängt maßgeblich von der Qualität der Zellkultur ab. Sauerstoff- und CO 2-Sättigung, Temperatur, pH-Wert, verschiedene Metabolite und noch vieles mehr werden ständig penibel kontrolliert. Auch Zellzahl und Produkttiter müssen regelmäßig erfasst werden. Hierzu ist eine Vielzahl an Mess-Systemen erforderlich – ein technisch äußerst komplexes Zusammenspiel. Das oben­drein viel Zeit kostet und recht teuer ist. Das wiederum wirkt sich auf den Preis der Biopharmazeutika aus.

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Unis und Firmen Hand in Hand

Aber es muss doch auch einfacher und kostengünstiger gehen, dachten sich einige Wissenschaftler aus Forschung und Industrie und riefen das Forschungsprojekt iConsensus ins Leben. Seit Mai 2018 arbeitet ein Konsortium aus universitären Einrichtungen und Pharma- und Biotechfirmen aus ganz Europa daran, die hoch komplexen Säugetier-Zellkultursysteme und insbesondere die damit verbundenen Messtechniken zu optimieren. Am Ende soll ein automatisiertes Probenahmesystem entstehen, das mit diversen analytischen Modulen kombiniert werden kann. Von der EU gab‘s einen Zuschuss von fast 5 Millionen Euro über eine Dauer von vier Jahren. Weitere 4,7 Millionen steuern verschiedene Pharmafirmen bei.

Auch drei deutsche Unternehmen beteiligen sich an der umfangreichen Forschungsarbeit: PAIA Biotech aus Köln, m2p-labs aus Baesweiler und Presens Precision Sensing aus Regensburg. Was hat die Firmen bewogen, an diesem Projekt teilzunehmen?

Glück bei der Ausschreibung

PAIA Biotech entwickelt und vermarktet Kits für die Titerbestimmung von Antikörpern in Zellkulturproben und für die Bestimmung der Glykosylierung von gebildeten Proteinen – einem wichtigen Qualitätsmerkmal therapeutisch eingesetzter Proteine. Als sie von der Ausschreibung zu iConsensus erfahren haben, machten sie sich sofort auf die Suche nach geeigneten Partnern und hatten am Ende das Glück, im siegreichen Konsortium zu sein, erzählt Geschäftsführer Sebastian Giehring.

„Wir arbeiten im iConsensus-Konsortium mit verschiedenen Partnern zusammen, die auf Mikrofluidik spezialisiert sind“, berichtet der Geschäftsführer. „Unsere Aufgabe im Projekt besteht darin, unsere bestehenden Assays für die Titermessung und die Glykan-Analytik so zu modifizieren, dass sie in die miniaturisierten Analysemodule, die in iConsensus entwickelt werden sollen, hineinpassen.“

Vom Projekt erhoffen sich Giehring und sein Team zusätzliche Einsatzbereiche für ihre Technologie. „Und wir hoffen, dass wir einen wichtigen Teil zu diesem komplexen Analysemodul beitragen können“, so der Wissen­schaftler. Einfach wird das sicherlich nicht. „Die Integration der verschiedenen Analysemodule in ein Gesamtsystem wird anspruchsvoll werden“, sagt Giehring und fügt hinzu, „in einem so großen Projekt mit so vielen heterogenen Partnern ist die Anfangsphase immer die größte Herausforderung. Man muss sich erst kennenlernen und dafür sorgen, dass die Wissenschaftler aus den unterschiedlichen Fachgebieten die gleiche Sprache sprechen.“

Technisches Knowhow gefragt

Die zweite deutsche Firma, m2p-labs, wurde von iConsensus-Projekt­koordi­natorin Veronique Chotteau von der Königlich Technischen Hochschule (KTH) in Stockholm direkt angesprochen, berichtet Forschungs- und Entwicklungsleiterin Anna Kress. „Bereits vor dem Beginn dieses Projekts war m2p-labs ein wesentlicher, forschungsorientierter Anbieter von Mikrosystem­lösungen, vor allem für bakterielle Kulturen. Das technische Knowhow von m2p-labs war also für das zu bildende Forschungskonsortium von großem Interesse“, so Kress.

Das Unternehmen aus Baesweiler und Spin-off der RWTH Aachen entwickelt, produziert und vertreibt seit mehr als 10 Jahren Mikrobioreaktor-Systeme. Das Besondere: Die m2p-Bioreaktoren können auf Basis optischer Messmethoden die für mikrobielle Kulturen relevanten Vitalparameter online erfassen und regulieren. Mikrobielle Zellkulturen werden so bereits in frühen Entwicklungsstadien gescreent. Aufwendige Upscaling-Experimente fallen ganz weg oder werden beschleunigt. „Unsere Produkte ermöglichen so vor allem in der Forschungs- und in frühen Produkt-Entwicklungsphasen, dass die Pharmaindustrie, die chemische Industrie und viele verwandte Industriezweige biotechnologische Prozesse schneller und kostengünstiger optimieren und in den Produktionsmaßstab überführen können“, erklärt Kress.

Neues Gerät für Online-Analytik

Im Projekt ist m2p-labs für die Entwicklung eines neuen Hochdurchsatz-Bioreaktorsystems für Säugerzell-Kulturen verantwortlich. Kress und ihr Team wollen ein marktfähiges System für die hochparallelisierte Kultivierung und Online-Analytik von Säugerzellen entwickeln. „Das neue Gerät soll sowohl als Stand-Alone-Gerät, als auch integriert in die im Projekt iConsensus ebenfalls zu entwickelnde Analyseplattform eingesetzt werden können“, berichtet Kress.

Für m2p-labs liegt der Wert des EU-Projekts ganz wesentlich im wissenschaftlichen Austausch und dem Zugang zu Technologien, der durch solch große Konsortien deutlich vereinfacht wird. „Wichtig sind für uns vor allem die Kontakte innerhalb des Projekts“, so die Forschungsleiterin. „Kontakt mit hervorragenden Forschergruppen aus zahlreichen Ländern der EU, mit Firmen, die hochspezialisierte Techniken anbieten, und natürlich auch mit hoch qualifizierten Anwendern in führenden Pharmaunternehmen.“


Die für 2018 gesteckten Ziele haben die Wissenschaftler erfolgreich erreicht. „Die Konstruktion der Mikrobioreaktoren und deren Implementierung in ein Mikrotiterplatten-Format ist geglückt“, berichtet Kress stolz.

Eva Glink



Letzte Änderungen: 08.08.2019