Editorial

Auf der Suche nach Regeln und Ausnahmen

(13.08.2019) Um zu verstehen, welche Gesetz­mäßigkeiten hinter den Wechsel­wirkungen von Zellen innerhalb eines Zellverbands stecken, muss man sie als Ganzes betrachten.
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Wir suchen in den Lebenswissenschaften nach Regeln und sobald wir glauben, eine gefunden zu haben, erkennen wir die Bedeutung von Ausnahmen. Jeder kennt das Geräusch von Wellen, die an den Strand plätschern. Immer wieder, eine nach der anderen, immer gleich ... und doch auch immer etwas anders. Wie Wellen besteht auch Musik weitestgehend aus sich wiederholenden Elementen, die jedoch variieren. Ohne Variationen, ohne Abweichungen von der Regel würden wir den Klang der Wellen und Musik als monoton und uninteressant empfinden.

Für unseren Alltag und unser Arbeitsleben gilt Ähnliches; wir suchen Regelmäßigkeit, aber es sind die gelegentlichen Abweichungen von der Regel, die unser Leben, unsere Arbeit interessant machen. Ist das Prinzip der ‚unregelmäßigen Regelmäßigkeit’ ein universelles Prinzip, das lebende Systeme charakterisiert und lebendig macht?

Ich habe einen großen Teil meiner Kindheit mit einem Fernglas um den Hals verbracht und die Natur beobachtet. Dabei habe ich versucht, Ordnung in meine Beobachtungen zu bringen, Muster und Regeln zu entdecken. Besonders interessant fand ich, dass es so schien, als wären in der Natur Ausnahmen die Regel. Ich hatte damals davon geträumt, aus dieser Leidenschaft einen Beruf zu machen, aber meine Eltern „überzeugten” mich, ein Ingenieursstudium zu beginnen. Während des Studiums der Regelungstechnik lernte ich das Verhalten dynamischer Systeme mit Hilfe mathematischer Methoden zu analysieren und konnte damals nicht ahnen, dass mir dies die Rückkehr zur Biologie ermöglichen würde.

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Ich hatte meinen Traum nie aufgegeben und als Ingenieur immer wieder versucht, mit Biologen Kontakt aufzunehmen. Das stieß damals zunächst nicht auf viel Gegenliebe, aber irgendwann zwang die Komplexität lebender Systeme auch die Biologen dazu, über interdisziplinäre Kooperationen mit Typen wie mir nachzudenken. Ich bin unglaublich dankbar, dass ich Forscher werden durfte und mich inzwischen über einen so langen Zeitraum mit den Dingen befassen konnte, die mir Freude bereiten. Von den Vorhaben, von denen ich jetzt träume, möchte ich hier erzählen.

An der Uni Rostock versucht meine Arbeitsgruppe, mit Hilfe mathematischer Methoden zu verstehen, wie die Interaktionen von Molekülen Zellfunktionen in einem Gewebe regulieren. Das „Wie“ wird mit Mechanismen erklärt, die sich als Netzwerke interagierender Moleküle darstellen lassen. Seit siebzehn Jahren beschreiben wir jetzt schon solche Mechanismen Jahr ein, Jahr aus immer andere Netzwerke, aber irgendwie auch immer gleich.

Mechanismen gibt es wie Sand an der Ostsee. Wovon ich jetzt träume, ist die Entdeckung einer Gesetzmäßigkeit, einer Regel, eines Organisationsprinzips, das beschreibt wie Zellen interagieren, damit sie als Zellpopulation funktionieren. Dieses allgemeingültige Prinzip zu entdecken, ist jedoch so schwierig, wie die Suche nach einer Flaschenpost in der Ostsee.

Mein Ziel werde ich jedoch nicht erreichen, wenn ich so weitermache wie bisher – es ist also wieder mal an der Zeit, ausgetretene Pfade zu verlassen. Allerdings muss ich zugeben, dass ich noch nicht einmal weiß, für welches experimentelle System, mit welchen Zellen, oder für welche Krankheit ich ein Organisationsprinzip entdecken möchte. Ich weiß jedoch, dass die Methode, mit der ich die Entdeckung machen möchte, ein mathematisches Konzept ist. Der Grund dafür ist, dass Daten nicht für sich sprechen, sondern in einen Kontext eingebunden sind. Um eine Gesetzmäßigkeit zu finden, muss ich in der Lage sein, Mechanismen zu verallgemeinern. Die Mathematik bietet einen solchen formalen Rahmen, um mit Hilfe von Abstraktion „heraus zu zoomen“ und molekulare Mechanis­men aus ihrem Kontext heraus zu verallgemeinern. Bei der Beschreibung molekularer Netzwerke ist die mathematische Modellierung inzwischen unersetzlich. Warum das so ist, ist nicht für jedermann leicht zu verdauen, sollte aber dennoch immer wieder hervor­gehoben werden: Bei Prozessen, in denen der zeitliche Verlauf von Konzentrationen einzelner Variablen das Verhalten des Systems bestimmt, gibt es tatsächlich keine Alternative zur Systemtheorie. Die Mechanismen nichtlinearer dynamischer Systeme lassen sich nur mit diesen Methoden verstehen.

Für eine vorliegende Fragestellung wird hierbei zunächst ein System aus interagierenden Objekten (Moleküle, Zellen) definiert. Anschließend wird das Netzwerk ‚modelliert’, um es einer Analyse mithilfe mathematischer und computergestützter Verfahren zugänglich zu machen. Der Schlüssel ist hier ebenfalls die Abstraktion.

Leider verbinden viele Menschen mit Abstraktion etwas Negatives. Ich sehe in ihr etwas fundamental Wichtiges für die Erforschung komplexer lebender Systeme. Auch wenn man das Bestreben hat, mit der mathematischen Modellierung eine „realistische“ Darstellung der Natur zu finden, muss man akzeptieren, dass Modelle zellulärer Netzwerke keine exakten Abbildungen der biophysikalischen und biochemischen Realität sind. Diese Erkenntnis widerstrebt einem, da sich die Frage stellt, wie ein vermeintlich unrealistisches Modell Erkenntnisse über ein biologisches System bringen kann? Tatsächlich liegt aber genau in der Abstraktion der Wert der Modellierung.

Die Komplexität lebender Systeme zwingt uns dazu, vereinfachende, reduzierende Annahmen zu machen. Der Prozess, in dem wir entscheiden, welche Hypothesen wir aufstellen, ist aber oft der wertvollste Teil eines Projektes. Das Modell mag das Ziel sein, aber der Weg dorthin ist für den Erkenntnisgewinn entscheidend. Dieser interdisziplinäre Diskurs zwischen dem „Modellierer“ und den Experten in Labor und Klinik lässt sich (zum Glück) nicht automatisieren.

Im Grunde genommen möchte ich mit meiner Forschung unterstützen, was sonst in guten Review-Artikeln geschieht: „Heraus zoomen“, mechanistische Details aus vielerlei Experimenten und Projekten zu einem Gesamtbild integrieren. Um aus der Interaktion von Molekülen in einer Zelle auf deren Funktionen zu schließen, muss ich die Ergebnisse, die in einem ausgewählten experimentellen System, mit einer Auswahl bestimmter Technologien erzeugt wurden, verallgemeinern. So untersuchen wir in einer ausgewählten Zelllinie mit Hilfe der Proteomik den Zelltod und gehen davon aus, dass diese Erkenntnisse, trotz der Einschränkung auf eine Zelllinie und nur eine Technologie, allgemeine Gültigkeit haben.

In der Biomedizin gehen wir häufig noch einen Schritt weiter und untersuchen beispielsweise einen durch wenige Moleküle (zumeist subjektiv) definierten Signalweg. Hierdurch erhoffen wir uns nicht nur Erkenntnisse zur Apoptose, sondern vielleicht auch über die Metastasierung ein Prozess, der auf der Ebene von Geweben und über Organe hinweg stattfindet. Was wir mit Hilfe der uns zur Verfügung stehenden Technologien derzeit überwiegend tun, ist ein „Herein zoomen“, was wir aber eigentlich wollen ist ein „Heraus zoomen“! Wir verwenden Technologien, die immer mehr Detailwissen generieren. Uns fehlen jedoch Ansätze, um aus diesen Gesetzmäßigkeiten zu formulieren. Statt Mikroskope, will ich „Makroskope“ bauen.

An der Uni Rostock ist man nicht weit vom Strand entfernt, und so nutze ich als leiden­schaftlicher Kitesurfer gleich mehrere Anbieter von Windvorhersagen und deren mathematische Modelle, um zu entscheiden, ob ich im Büro den Stift aus der Hand lege und mich auf den Weg an den Strand mache. Am Surfen gefällt mir, was mich schon beim Studium an Bibliotheken gereizt hat: Ich mach mein Ding, ich bin für mich, aber ich bin nicht allein. Man trifft am Strand Gleichgesinnte, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben und dennoch eine Gemeinschaft bilden. Für ein gutes Team in der Forschung muss ebenfalls eine Balance zwischen Individualität und Gemeinschaft gefunden werden. Etwas abstrakter formuliert ist ein gutes Forscherteam eine Mischung aus Pluralität, Gelegen­heiten und stetiger Veränderung also ein lebendes System.

In meinem Traumprojekt betrachte ich das Gewebe eines Organs als eine Gemeinschaft von Zellen. So wie der Gesetzgeber vorsieht, dass wir die Ampel bei Rot nicht überqueren, gibt es für das zelluläre System als Ganzes Regeln, wie zum Beispiel die Vermeidung von Zellteilung im Kontext von Neoplasmen und Tumoren. Zellen respektieren Regeln, handeln aber dennoch in Grenzen autonom.

Mir geht es nicht viel anders. Als Verkehrsteilnehmer respektiere ich die Regel, handle aber in einem konkreten Kontext nach einer eigenen Norm. Ich wurde deshalb auch schon mal dabei beobachtet, wie ich eine rote Fußgängerampel mit dem Rad überquert habe. In unserer Gesellschaft sind Regeln essentiell, aber es sind Normen, die dafür sorgen, dass eine Gesellschaft tatsächlich gesund ist, und funktioniert. Regeln sind für das „Wir“, Normen für das „Ich“. Normen beschreiben was für mich persönlich normal ist, was ich in einer konkreten Situation für richtig halte, auch wenn dies einmal von der Regel abweichen sollte.

Sehr interessant ist, dass Normen einen Wandel durchmachen können, selbst wenn sich die Regeln einer Gesellschaft nicht ändern. Wer sich lange genug an einer Uni aufhält, stellt fest, dass diese nicht wegen, sondern trotz der Regeln funktioniert. Regeln dienen vor allem dazu, einzuschränken, zu limitieren. Damit ein System funktioniert, eine Gemeinschaft lebendig und gesund, ein Leben lebens­wert ist, muss es jedoch möglich sein, von Regeln abzuweichen. Meine Erfahrung mit menschlichen Gemeinschaften ist, dass Probleme oft nicht von denen ausgehen, die von Regeln abweichen, sondern von denen, die auf ihre Einhaltung bestehen (und damit oft immer neue generieren).

Übertragen auf Zellen bedeutet dies, dass ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen den Teilen eines Systems und dem Verhalten des Systems als Ganzes von zentraler Bedeutung für den Fortschritt in der biomedizinischen Forschung ist.

Wenn ich so etwas wie Krebs verstehen will, geht dies nicht, in dem ich mit Hilfe von Sequenzierungs-Technologien nach Mutationsmustern suche oder Zellen in Isolation betrachte. Es ist, als würden wir versuchen, ein gesellschaftliches Problem wie Kriminalität zu verstehen, indem wir Gesetzesbrecher einzeln betrachten und nach Haarfarbe, Körpergröße und Bekleidung sortieren. Vielmehr müssen wir das Teil in Beziehung zu seiner Umgebung betrachten, und dabei geschieht in lebenden Systemen etwas ganz Besonderes: Die Teile des Systems bestimmen das System als Ganzes, welches jedoch wiederum die Funktion seiner Teile bestimmt. Das Ganze und seine Teile bestimmen sich gleichzeitig gegenseitig. Ich beschreibe dies gerne als „Ich-Wir Prinzip“, das erklärt wie ein Individuum (Mensch, Zelle) und dessen Umgebung (Verbund, Population) in Beziehung zueinander stehen.

Mein Leben wird maßgeblich von anderen bestimmt, aber gleichzeitig bin auch ich für andere in meiner Umgebung bestimmend. Für Zellen bedeutet dies, dass ihr Verhalten zwar durch Regeln der Gewebeorganisation diktiert wird, sie aber gleichzeitig auch eine gewisse Autonomie haben, ihre Umgebung interpretieren und entsprechend auch abweichend von der Regel agieren können. Um von Zellen auf das Gewebe, von molekularen Mechanismen auf physiologische Gewebefunktionen zu schließen, muss ich also abstrahieren und verallgemeinern. Ich suche derzeit nach mathematischen Formalismen, die es mir erlauben, solche Fragestellungen zu formulieren.

Ich sehe den Ursprung systembiologischer Ansätze in der Erkenntnis der Biochemiker, dass man ein Netzwerk interagierender Moleküle nur dann als Ganzes verstehen kann, wenn man es auch als Ganzes (Netzwerk) untersucht, und davon abkommt, aus der Struktur der Moleküle allein Schlüsse über deren Funktion in einem Netzwerk zu ziehen. Mit der Systemmedizin verbinde ich persönlich einen Übergang in meinem Denken, in dem ich versuche mich aus dem Kontext zellulärer Mechanismen zu befreien, um über das „Ich-Wir-Prinzip“ lebender Systeme nachzudenken.

In vielen Disziplinen der Biowissenschaften werden alle Hoffnungen auf Technologien gesetzt und die Entwicklung von „Theorie“ vernachlässigt. Ich bin jedoch überzeugt, dass vor allem neue Herangehens- und Denkweisen im Umgang mit Daten vonnöten sind. Mathematische Methoden helfen uns dabei, Hypothesen systematisch zu formulieren und Experimente zu deren Validierung zu entwerfen. Die Komplexität der Systeme, mit denen wir uns befassen, generiert Unsicherheiten und zwingt uns deshalb zum Raten. Mathematik hilft uns, bei Unsicherheiten systematischer zu spekulieren. Ein systembiologischer oder systemmedizinischer Ansatz ist deshalb eine Art intelligentes Raten – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

Trotz der unglaublichen Komplexität von Wind und Wellen, können wir mit Hilfe mathe­matischer Methoden versuchen, sie zu verstehen. Was ich dabei besonders faszinierend finde, ist die Rolle der Abstraktion. Wir benötigen relativ wenige Symbole, um auf abstrakte Weise unglaublich komplexe und schöne Dinge in der Natur zu beschrieben. Man denke nur an Einsteins E=mc 2 – fünf Symbole für ein Naturgesetz.

Die Musik ist ein weiteres Beispiel, das mich fasziniert: Mit wenigen Strichen und Punkten kann man so etwas wunderbar Komplexes und Schönes beschreiben. Neben dem Kitesurfen und dem DJing, produziere ich seit ein paar Jahren elektronische Musik und bin dort genau wie bei meiner Forschung auf der Suche nach Mustern und Regeln. Bei Wellen, in der Musik und im Leben beobachtet man, dass es Ausnahmen von der Regel sind, die dafür sorgen, dass es nicht langweilig, sondern interessant wird. (Einige meiner musikalischen „Publikationen“ kann man hier finden). Musik und Surfen passen wunderbar zusammen. In beiden Fällen konzentriert man sich auf das Hier und Jetzt, blendet alles andere aus. Dieses „Im Moment sein“, sorgt dafür, dass man sich lebendig fühlt, das Leben lebt und nicht einfach an sich vorbeiziehen lässt.

Beim Surfen und beim Produzieren von Musik helfen die gleichen Eigenschaften, die wir in der Forschung brauchen – Ausdauer und Geduld. Ich habe dabei gelernt, dass es wichtig ist, sein Glück nicht an Dingen in der Zukunft festzumachen – man findet sein Glück nicht darin, irgendwann glücklich zu sein. Es ist nicht das fertige Stück Musik, das erstellte Modell, sondern der Prozess, der Weg zu diesem Ziel der mir bereits eine große Zufriedenheit bringt. Diese Erkenntnis erlaubt mir auch einen entspannten Umgang mit dem Scheitern in der Forschung. Dennoch will ich auf keinen Fall im Wartezimmer der Zukunft sterben.

Für meinen Traum, ein Organisationsprinzip in Zellverbünden zu entdecken, gilt was sich bei allen anderen Dingen, die schwer oder unmöglich schienen, bewährt hat: Aufgeben ist keine Option. Jetzt, wo das Haar dünner und grau wird, stehe ich regelmäßig vor Schülern, um sie für ein Studium zu begeistern, und es fällt mir nicht leicht, Ratschläge zu erteilen. Ich war ein mittelmäßiger Schüler, der ohne Plan und ohne Abitur von der Schule eine Lehre anfing. Erst dort ist bei mir eine Lampe angegangen, und es bildete sich so etwas wie ein konkretes Interesse.

Eine Regel, die sich aus meinem sehr unregelmäßigen Werdegang finden ließe, ist vielleicht: Wie bei den Wellen und der Musik wird es interessant, wenn man unerwartet von dem was zu erwarten wäre, abweicht. Egal, ob man gleich studiert oder erst eine Ausbildung macht. Zum Ende eines Abschnitts, bis hin zur Promotion und Berufung als Professor/in, sollte man über den Tellerrand hinaus schauen, Verbindungen zu anderen Forschungsfeldern suchen, sich auf Neues einlassen. Ich bin fest davon überzeugt, dass echte Fortschritte in der biomedizinischen Forschung nur durch interdisziplinäre Teams möglich sein werden. Hierfür sind Menschen nötig, die am Ende ihres Studiums, ihrer Promotion oder Habilitation, dazu bereit sind, sich darauf einzulassen, von der Regel abzuweichen.

Wenn man am Strand von Rostock-Warnemünde steht, sieht und hört man nicht nur Wellen, sondern auch Kreuzfahrtschiffe, die in den Hafen einlaufen. Um solche Pötte zu bauen, braucht es Teams aus mehreren Hundert Experten mit unterschiedlichster Ausbildung. Wie kann es sein, dass wir uns einbilden, mit Gruppen von fünf bis zwanzig Leuten komplexe Prozesse wie zum Beispiel Apoptose oder Metastasierung zu verstehen? Aus diesem Grund können wir erst dann damit rechnen, dass Nobelpreise für Medizin auch etwas für Patienten bringen, wenn diese nicht mehr an Einzelpersonen, sondern an große Teams vergeben werden.

Ein erster Schritt wäre es, die Komplexität lebender Systeme anzuerkennen, die daraus folgenden Unsicherheiten zu begreifen, um dennoch nicht aufzugeben, solche wunderbaren Prozesse zu verstehen. Die Lebenswissenschaften müssen dafür einiges dazu lernen, etwa wie man große Teams zusammenstellt, in denen Teilprojekte und das große gemeinsame Ziel in einer besonderen Beziehung zueinander stehen.

Für eine Forscher-Generation, die die Zukunft in diesem Sinn gestaltet, braucht es Persönlichkeiten, die ein Studium nicht einfach nur hinter sich bringen wollen. Sie müssen sich auch die Mühe machen, ständig Neues dazuzulernen, um weitere Forschungsfelder zu erobern. Ich kann diesen Weg mit vollem Herzen empfehlen – und mit etwas Glück findet man auch einen Job an der Uni. Dort stellt man dann als Professor fest, dass sich zwar alles von Semester zu Semester wiederholt, es aber nie langweilig wird, weil immer jemand von der erwarteten Spur abweicht.

Ich träume davon, dass auch mir dies noch einmal gelingt – selbst wenn die Entdeckung eines allgemeingültigen Prinzips bei der Interaktion von Zellen so schwierig ist, wie eine Flaschenpost in der Ostsee zu finden.

Olaf Wolkenhauer


Olaf Wolkenhauer studierte Regelungstechnik in Hamburg und Portsmouth, UK. 2003 wurde er auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Systembiologie an das Institut für Computerwissenschaften der Uni Rostock berufen.

Dieser Essay erschien zuerst in Laborjournal-Heft 7/8-2017.



Letzte Änderungen: 09.08.2019