Editorial

T-Zellen mit Burn-out

(24.09.2019) Die Entdeckung des moleku­laren Regulators TOX könnte helfen,„erschöpfte“ T-Zellen wieder fit zu machen für den Kampf gegen Krebszellen.
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Zytotoxische T-Zellen sind eigentlich perfekt dafür ausgerüstet, von Viren befallene Zellen auszumerzen. Allerdings können T-Zell-Popula­tionen ihre aggressive Antwort nicht dauerhaft aufrecht­erhalten. Werden die Zellen über längere Zeit mit einem Antigen konfrontiert, nimmt ihre Aktivität ab. In diesem Erschöp­fungszu­stand produzieren sie weniger Zytokine und präsentieren auf ihrer Oberfläche hemmende Rezeptoren wie PD-1 (Programmed Cell-Death 1). Dies hilft, dauerhafte Schäden an Geweben zu verhindern, kann aber die Bekämpfung von Tumor­zellen aushebeln.

Ließen sich „erschöpfte“ zytotoxische T-Zellen wieder scharf schalten, so könnte das die körper­eigene Bekämpfung von chroni­schen Infektionen und Tumoren deutlich verbessern, hoffen Forscher wie Dietmar Zehn, der am Wissen­schafts­zentrum Weihen­stephan der Technischen Universität München die molekularen Grundlagen des Erschöp­fungszu­stands erforscht. „Die Verleihung des Nobelpreises im letzten Jahr an Wissen­schaftler aus den USA und Japan für die Erkenntnis, dass man durch das Ausschalten von Rezeptoren wie PD-1 die Bekämpfung von Tumoren verbessern kann, verdeutlicht die Bedeutung dieses Forschungs­gebiets“, ist der Immun­biologe überzeugt.

Um den Erschöpfungszustand von T-Zellen gezielt manipulieren zu können, muss man die zugrunde­liegenden Mecha­nismen verstehen. „Man wusste bereits, dass es bei einer persis­tierenden Infektion und vor allem bei hohen Antigen-Mengen zu einem Erschöp­fungszu­stand kommt und welche Verän­derungen der T-Zellen das mit sich bringt“, erklärt Zehn. „Was man nicht kannte, war der molekulare Regulator. Diesen haben wir mit dem Protein TOX nun gefunden.“ Die Ergebnisse von Zehns Team wurden in Nature veröffentlicht – zusammen mit zwei verwandten Arbeiten und zeitgleich mit drei weiteren Publika­tionen in anderen Fachzeit­schriften. „Dass gleichzeitig sechs völlig voneinander unabhängige Arbeiten TOX als molekularen Regulator des erschöpften Phänotyps beschreiben und sich in den wesent­lichen Punkten gegenseitig stützen, ist schon etwas Besonderes“, ist Zehn begeistert.

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Erschöpft durch TOX

Experimentell war dieser Nachweis kniffelig, denn der Erschöp­fungszu­stand lässt sich in vitro nicht herbei­führen. Zehns Team arbeitete deshalb mit Mäusen, die sie mit dem Lympho­zytären Chorio­meningitis-Virus (LCMV) infizierten. Praktischer­weise gibt es von diesem Virus Stämme, die einander sehr ähnlich sind, aber entweder eine akute oder eine chronische Infektion hervorrufen. Auf diese Weise konnten die Forscher Mäuse mit voll funktions­fähigen und erschöpften T-Zellen erzeugen und vergleichen, welche Gene bei ihnen unterschied­lich stark abgelesen wurden. Jedoch hat dieser Vergleich auch Grenzen: „Obwohl es sich um das gleiche Virus handelt, liegen doch zwei verschie­dene Infektionen vor. Die eine klingt schnell ab, die andere persistiert.“ Zehns Gruppe entwickelte deshalb einen weiteren Ansatz, um erschöpfte und voll funktions­fähige T-Zellen direkt in einer chronischen Infektion miteinander vergleichen zu können. „Wir haben zuvor heraus­gefunden, dass die Menge an Antigen der kritische Faktor ist, der darüber entscheidet, ob Zellen in den erschöpften Zustand übergehen oder nicht. Diesen Umstand haben wir für unsere Forschung ausgenutzt und einen Weg gefunden, gezielt nur die Menge eines Antigens zu verändern, während die vielen anderen Antigene unverändert bleiben.“ Am Verlauf der chronischen Infektion ändert sich dadurch nichts. Die wenigen Zellen, die aber das reduzierte Antigen „sehen“, verbleiben in einem normalen Funktions­zustand und können dann mit erschöpften Zellen verglichen werden.

Mit diesem Verfahren erstellte Zehns Team eine hoch­spezifische Liste an Genen, die zwischen normalen und erschöpften Zellen unter­schiedlich exprimiert werden, darunter das TOX-Gen. Nachfolgende gezielte Analysen zeigten dann, dass eine starke Expression von TOX mit der von PD-1 und dem Auftreten des erschöpften Phänotyps korreliert – und das nicht nur bei den Mäusen, sondern auch bei persistie­renden Hepatitis-C-Infektionen beim Menschen. Übertrugen die Forscher die T-Zellen aus einer Maus mit chronischer Infektion in Mäuse mit akuter Infektion oder lösten sie die Hepatitis-C-Infektionen pharmako­logisch auf, blieben die Zellen im Erschöp­fungszu­stand. Dieser war offensichtlich epigenetisch fixiert worden, und die Wissen­schaftler hatten klare Belege dafür gefunden, dass TOX daran beteiligt ist.

Aktiv, aber kurzlebig

TOX ist ein im Kern lokalisierter Transkrip­tionsregu­lator. Entfernten die Forscher seine Kernloka­lisierungs­sequenz und den Großteil der DNA-Binde­domäne, löste eine chronische Infektion keinen Erschöp­fungszu­stand mehr aus. Das galt allerdings nur, wenn TOX bei Mäusen ausgeschaltet wurde, die sich noch in einer frühen Phase der Infektion befanden. Zu einem späteren Zeitpunkt machte es keinen Unterschied, ob TOX funktions­fähig war oder nicht. „TOX wird für den Eintritt in den erschöpften Zustand, aber nicht für dessen Aufrecht­erhaltung benötigt“, fasst Zehn zusammen. „Wahrschein­lich findet frühzeitig ein epigene­tisches Imprinting statt, sodass der Regulator anschließend entbehrlich ist.“

Tatsächlich fanden sich bei erschöpften T-Zellen Anzeichen für Verände­rungen in Methy­lierungs­muster und Chromatin-Zugänglichkeit. Die Rolle von TOX dabei ist jedoch noch unklar. „Wir wissen, was herauskommt, wenn man TOX ausschaltet, aber die Kette an Ereignissen, die für den Phänotyp verantwortlich ist, kennen wir noch nicht“, gibt Zehn zu. Bislang wurde keine DNA-Bindestelle für TOX beschrieben. Möglicher­weise erkennt das Protein stattdessen bestimmte Chromatin­strukturen, was sich mit herkömmlichen Methoden wie der Chromatin-Immun­präzipitation allerdings schwer nachweisen ließe.

Plan B fürs Immunsystem

T-Zellen ohne TOX waren wie erwartet aggressiver und senkten die Virenlast in Blut und Milz stärker als unveränderte T-Zellen. Dass sie gleichzeitig Leber und Lunge der Mäuse stärker schädigten, zeigt eindrucks­voll die physiolo­gische Bedeutung des Erschöp­fungszu­stands zum Schutz vor zu starken Abwehr­reaktionen. Zudem war die bessere Immun­abwehr der TOX-negativen Mäuse nicht von Dauer. Bereits nach zwei Wochen stieg der Virus-Titer wieder an, während die Zahl an TOX-negativen T-Zellen abnahm. Offen­sichtlich starben die Zellen, wenn sie dauerhaft aktiviert wurden, aber nicht in den Erschöp­fungszustand eintreten konnten. „TOX hat also eine zweifache Rolle“, resümiert Zehn. „Es induziert den Erschöp­fungszu­stand, und sorgt gleichzeitig dafür, dass die T-Zellen längere Zeit überleben können. Nur so kann die Popu­lation an erschöpften T-Zellen bestehen bleiben.“

Um dieses Ergebnis zu erklären, muss der Freisinger Immun­biologe dann etwas weiter ausholen: Im Mittelpunkt steht eine Population von Vorläufer-T-Zellen, die dadurch charakterisiert ist, dass sie den Transkrip­tionsfaktor TCF1 produziert. Diese TCF1+-Zellen vergleicht der Immunologe mit Stamm­zellen, aus denen immer wieder neue erschöpfte T-Zellen hervorgehen können. „Da die erschöpften T-Zellen so kurzlebig sind, sind die TCF1+-Zellen essenziell, um ihre Popu­lation aufrechtzuerhalten. Ohne TOX geht genau diese TCF1+-Popu­lation verloren, und damit verschwinden auch die erschöpften T-Zellen.“ TOX schützt folglich die erschöpften T-Zellen.

Im Klartext heißt das: Ohne TOX gibt es keinen erschöpften Phänotyp, aber auch keine dauerhafte Immun­antwort, weil die aggressiven T-Zellen verloren gehen. Zeit zum Umdenken: „Lange dachte man, dass der Erschöp­fungszu­stand eine Art terminales Stadium ist“, sagt Zehn. „Unsere Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass es sich um eine funktio­nelle Differen­zierung der T-Zellen, eine hoch spezifische Anpassung des Immuns­ystems handelt. Die funktionell reduzierten Zellen schützen den Körper bei einer dauer­haften Infektion vor einer aggressiven Immun­antwort und sorgen dafür, dass eine schwache Immun­antwort in Gang gehalten werden kann, um das Virus unter Kontrolle halten zu können.“

So sinnvoll der Erschöp­fungszu­stand als Schutz für den Wirt ist, hinderlich ist er für eine wirksame Tumor­bekämpfung. „Wir möchten jetzt untersuchen, ob man den Erschöp­fungszu­stand gezielt an oder abschalten kann, sodass es thera­peutisch nutzbar wird“, so Zehn. Durch gezieltes Anschalten ließen sich möglicher­weise über­schießende Immunr­eaktionen auf Infektionen oder bei Auto­immun­erkrankungen behandeln. Für wirksame Krebs­therapien müsste man TOX dagegen ausschalten oder zumindest hemmen.

Um eine langfristig wirkende Therapie zu entwickeln, steht den Forschern noch einiges an Arbeit bevor, wie Zehn betont: „Aktuell versuchen wir herauszufinden, wieso die Zellen ohne TOX sterben. Dann kann man versuchen, diese Mecha­nismen und solche, die zum Aufheben des Erschöp­fungszu­stands führen, voneinander zu entkoppeln.“

Larissa Tetsch

Alfei F. et al. (2019): TOX reinforces the phenotype and longevity of exhausted T cells in chronic viral infection. Nature, 571(7764):265-9







Letzte Änderungen: 24.09.2019