Editorial

Die genetische Last des Killifisches

(15.10.2019) Ein kleiner Fisch aus westafrikanischen Tümpeln hilft Kölner Forschern zu verstehen, wieso uns die Evolution im Alter Krankheiten und Gebrechen beschert.
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Altwerden ist kein Spaß. Alzheimer, Parkinson, Krebs und viele andere Geißeln des Menschen­körpers schlagen bevorzugt im fortge­schrittenen Alter zu. Homo sapiens hat es dabei noch vergleichs­weise gut, hat er doch – zumindest im statistischen Mittel – viele Jahrzehnte Zeit, bevor ihn die Alters­erschei­nungen einholen.

Der afrikanische Killifisch Nothobranchius furzeri ist mit wesentlich weniger Lebenszeit gesegnet. Neurolo­gische Ausfälle, bösartige Neubil­dungen und andere alters­typische Gebrechen zeigen sich bei dem kleinen Süß­wasser­fisch schon nach wenigen Monaten. Und auch mit bester Pflege schwimmt er nach spätestens etwa einem halben Jahr mit dem Bauch nach oben im Aquarium.

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Kurz oder lang

Wieso lebt der Killifisch im Vergleich zu anderen Fischen auf der Überhol­spur? Und ganz generell gefragt: Wieso schenkt die Evolution den verschiedenen Wirbeltier­arten unter­schiedlich viele Lebens­jahre; der Schild­kröte etwa viel mehr als der Spitzmaus? Unter dem Stichwort „Life History Evolution“ beschäftigen sich mit diesen Fragen Forscher, zu denen auch Dario Riccardo Valenzano und sein Team am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln gehören. Sie haben sich N. furzeri als ein ungewöhn­liches Modell ausgesucht. Wie es dazu kam, erzählt Valenzano im Gespräch mit Laborjournal:

„Auf den Killifisch als Modell­organismus bin ich durch Zufall gestoßen. Mein Doktorvater in Italien, Allessandro Cellerino, hatte mich zuerst auf ihn aufmerksam gemacht. Anfangs wussten wir so gut wie nichts über dieses Tier, nur Hobby­aquarianer beschäftigten sich damit. Es sind farbenfrohe, lebhafte Fische. Die Hobby­züchter erzählten uns, dass es niemand schaffte, diesen Fisch länger als drei oder vier Monate am Leben zu halten. Wir brachten den Killifisch dann ins Labor und stellten fest, dass er tatsächlich einen unge­wöhnlich schnellen Lebenszyklus hat: Wie sich heraus­stellte, ist er das kurzlebigste bekannte Wirbeltier!“

Wieso der Killifisch es mit seiner Entwicklung vom Ei zum geschlechtsreifen Tier so eilig hat, erschließt sich bei einem Blick auf seinen Lebens­raum, kleine Tümpel in Westafrika: „Die Killifische leben in einer für Fische einzigartigen Umwelt, in der es nur ein paar Monate im Jahr Wasser gibt“, erklärt Valenzano. Wenn die Tümpel austrocknen – das geschieht in manchen Gegenden quasi jedes Jahr – überleben oft nur die speziell angepassten Eier der Fische. „Aber wenn das Wasser wieder da ist, entwickeln sie sich sehr schnell bis zur Geschlechts­­reife. Sie haben ja nur ein kleines Zeitfenster, bevor ihr Lebens­raum wieder austrocknet“, erläutert der Max-Planck-Forscher.

Schneller sterben

So weit, so klassisch-darwinistisch: Die harschen Umwelt­bedingungen erzeugen einen Selektions­druck und im Prozess von Mutation und Selektion treten Varietäten auf, die immer besser an die Extreme angepasst sind. Tatsächlich fanden die Forscher den gene­tischen Fuß­abdruck der Selektion in bestimmten Regionen im Genom. Zum Beispiel in solchen, die Gene enthalten, welche die frühe Entwicklung steuern. Dass diese Gene in der Evolutions­geschichte der Trockenzeit-resistenten Killifische tatsächlich unter dem Einfluss positiver Selektion standen, erkannten die Evolutions­genetiker, indem sie DNA-Sequenzen nahe verwandter Arten und Popu­lationen verglichen.

Aber den Max-Planck-Forschern in Köln ging es in ihrer jüngsten Arbeit ja weniger um die beschleunigte Entwick­lung am Anfang des Killifisch­lebens. Sie wollten vielmehr wissen, wieso sie so schnell altern, krank werden und sterben – ein recht dramatischer Vorgang, wie Valenzano beschreibt: „Sie verlieren ihre Pigmente, werden langsamer, lernen schlechter, bekommen Krebs und verlieren Muskel­masse – also ein ganzes Spektrum von alters­typischen Veränderungen.“

Es könnte doch sein, dass die Selektion auf beschleunigte Entwick­lung am Ende des Lebens negative Folgen hat? Etwa, weil Gen­varianten, die während der Larven­entwicklung den Turbo anstellen, im späteren Leben Verfall und Degene­ration beschleunigen? Doch die Analyse der Genom­sequenzen von 45 westafri­kanischen Killifisch­arten, die Erstautor Rongfeng Cui und Valenzanos Team kürzlich in Cell veröffent­lichten, deutet in eine ganz andere Richtung.

Die Sequenzdaten brachten tatsächlich schon auf den ersten Blick ein interessantes Ergebnis. Die Genome der kurzlebigen Killifisch­arten sind durch die Bank wesentlich größer als die Genome verwandter Arten aus stabileren Gewässern. Die Ursache: „Transponier­bare Elemente“ und verwandte mobile DNA-Abschnitte („Repeats“), die nicht für Gene codieren, haben sich im Genom der kurzlebigen Arten drastisch ausgebreitet beziehungs­weise angesammelt und liegen in vielfachen Kopien vor.

Für ihren vergleichenden Ansatz kam den Kölnern dabei der Umstand entgegen, dass nicht alle untersuchten Killifisch­arten in den wasser­technisch prekären Tümpeln leben. „In der Evolutions­geschichte der Killifische ist der Übergang zu dieser besonderen Lebens­form mehrere Male unabhängig voneinander passiert“, betont der Alterns­forscher. Manche nahe verwandte Arten der besonders kurzlebigen Killifische sind stinknormale Fisch­chen, die in dauerhaften Gewässern umher­schwimmen und ein normales Fischalter erreichen.

Zufällig festgesetzt

Der Grund für die Genom-Aufblähung der Trockenzeit-Spezialisten scheint aber nicht irgendein adaptiver Vorteil zu sein, wie das Team bei genauer Analyse der Sequenz­diversität mit statistischen Methoden und Modellen herausfand. Vielmehr konnten sich die Repeat-Sequenzen und andere Mutationen in den Genomen breit­machen, weil der reinigende Effekt der Selektion nach­gelassen hatte.

In freier Wildbahn sterben Killifische selten an schäd­lichen Mutationen, wenn sich deren Effekt erst im hohen Alter zeigt. Vielmehr gehen sie schlicht ein, weil sie nach dem Ende der Regenzeit auf dem Trockenen liegen. Nur relativ wenige Dauer-Eier überstehen die Extrem­bedingung und gründen die Population des nächsten Jahres. Unter dieser Voraus­setzung wird der sogenannte „genetische Drift“ ein wichtiger Evolutions­faktor: „Neue Mutationen, die keinen Anpassungs­wert haben, können sich in der Population festsetzen; einfach durch Zufall, weil die Selektion sie in diesen kleinen Gemein­schaften nicht effektiv entfernt.“ Und diese genetische Last führt letztlich auch zu den alters­abhängigen Erscheinungen.

Denn auch in Genen, die für grundlegende Reparatur und Erhaltung des Körpers zuständig sind, wie DNA-Reparatur- oder Stoff­wechsel­gene, treten diese lebens­zeitbeschrän­kenden Mutationen auf, berichten die Forscher in Cell.

„Wissenschaftler suchen traditionell adaptive Erklärungen. Und in der Tat ist der Killifisch speziell an seine harte Umgebung angepasst: Die Embryonen können die Trocken­zeit überstehen und entwickeln sich sehr rasch“, sagt Valenzano. Aber unter speziellen Umwelt­bedingungen passiert noch mehr auf genomischer Ebene, das nicht (oder zumindest nicht nur) mit positiver Selektion erklärt werden kann.

Und was hat die genetische Last des Nothobranchius furzeri mit dem menschlichen Altern zu tun – etwa mit Alzheimer, Parkinson oder Krebs? Eventuell eine ganze Menge. Denn auch in der Urgeschichte des Menschen gab es demogra­fische Bottlenecks. Beim Vergleich von Genom­daten von Schimpansen und Menschen sind die Kölner Alterns­forscher auf durchaus ähnliche Muster gestoßen, die ebenfalls auf schwächelnde Selektion in Regionen alters­relevanter Gene hindeuten könnten.

Wieso also haben wir Genvarianten, die uns im Alter krank machen und zu grauen Haaren führen? „Die klassische Erzählung ist, dass diese Varianten insgesamt gesehen vielleicht gut für uns sind, dass die Selektion sozusagen immer das Beste für uns will. Im Modell­organismus Killifisch sehen wir aber, dass diese Anpassungs-Geschichten nicht ausreichen, um unsere Beobach­tungen zu erklären“, schluss­folgert Valenzano, und schlägt den großen Bogen von der trockenen Theorie zur medizinisch orientierten Alterns­forschung: „Das Konzept der neutralen Evolution, das aus der japanischen Schule der Populations­genetik stammt, ist unserer Meinung nach relevant, um Alterungs­prozesse zu verstehen. Mit unserer Arbeit bauen wir eine Brücke zwischen der Alterns­forschung und dieser Richtung der Populations­genetik.“

Hans Zauner

Cui R. et al. (2019): Relaxed selection limits lifespan by increasing mutation load. Cell, 178(2):385-99

Dieser Artikel erschien zuerst in Laborjournal-Heft 10-2019.







Letzte Änderungen: 11.10.2019