Editorial

Vom MPI-Direktor zum Geschäftsführer

(17.10.2019) Florian Holsboer gründete 2010 die Firma HMNC Brain Health. Um Depressionen besser behandeln zu können und der Gesell­schaft etwas zurück­zugeben. Wie er uns erzählt.
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Laborjournal: Herr Holsboer, Sie waren bis 2014 Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Diese Stelle haben Sie aufgegeben?
Florian Holsboer: Ja. Ich bin weiterhin Mitglied der Max-Planck-Gesell­schaft, seit 2014 aber als Emeritus. Nach 25 Jahren fand ich, dass es Zeit war, sich neu zu ori­entieren. Es wäre sowieso nicht mehr allzu lange bis zu meiner Pensio­nierung gewesen. Da dachte ich mir: Lieber zwei Jahre zu früh gehen als zwei Monate zu spät.

HMNC Brain Health gab es da schon. Wann haben Sie mit der Firma begonnen – und warum?
Holsboer: Die Gründung war bereits 2010. Ich hatte zwar noch keinen konkreten Plan, doch mir war immer schon ein großes Anliegen, dass man als Forscher nicht nur nach Publika­tions­erfolgen schielt, sondern sich auch weiter um die Anwen­dungs­chancen der eigenen Arbeit kümmert. Wenn in der Medizin durch die eigene Forschung irgendwann ein neues Produkt auf den Markt gelangt, dann bekommen letztlich diejenigen etwas zurück, die Leuten wie mir ein doch sehr privilegiertes Forscher­leben finanziert haben.

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Damals konnten Sie Carsten Maschmeyer als Geldgeber mit ins Boot holen. Wie frei ist ihre Firma dadurch noch in den Entscheidungen?
Holsboer: Wir sind völlig frei. Carsten Maschmeyer ist Mitgesell­schafter und hat das Unter­nehmen am Anfang auch finanziell unterstützt. Er hat aber keine Exekutiv­funktion. Wir haben natürlich wie jede Firma eine Gesell­schafter-Versammlung, und da können auch alle Gesell­schafter ihre Meinung einbringen. Operative Tätigkeiten über­nehmen sie aber nicht.

Ab wann haben Sie mit HMNC denn Geld verdient?
Holsboer: Wir sind natürlich noch tief in den roten Zahlen, weil wir noch immer vor allem in Entwicklungen investieren. Aber indem wir den Gesell­schafter-Kreis erweitert haben, steht uns genügend Geld zur Verfügung, um unsere Projekte weiter­zuführen. Ganz am Anfang, zur Grün­dungszeit, habe ich die Augen offen­gehalten, was man denn weiter­entwickeln und auf den Markt bringen könnte. Natürlich war klar, dass hier die Themen aus meiner Wissen­schaftler­zeit bei der Max-Planck-Gesell­schaft mit eingeflossen sind.

Sie haben unter anderem zu Depressionen und Angst­störungen geforscht. Zum Beispiel wollten Sie wissen, warum einzelne Wirkstoffe beim einen Patienten anschlagen, beim anderen aber nicht. Manchmal scheitert ein Medika­ment schon an der Blut-Hirn-Schranke.
Holsboer: Genau. Unser Gehirn ist ja ein postmito­tisches Organ, da kommen so gut wie keine neuen Zellen mehr hinzu. Also muss das Gehirn seine Zellen schützen, damit sie nicht allmählich kaputt­gehen. Deswegen hat sich die Evolution bestimmte Transporter-Moleküle für die Kapillar­gefäße des Gehirns ausgedacht – damit Substanzen, die nicht vom Blut ins Gehirn gelangen dürfen, wieder heraus­gepumpt werden. Leider filtert die Blut-Hirn-Schranke manchmal auch Medika­mente, die wir eigentlich ins Gehirn hinein­bringen wollen. Wir haben dann heraus­gefunden, dass dies vor allem für das ABCB1-Gen gilt, das für das P-Glykoprotein codiert. Das ist vor allem für Anti­depres­siva relevant. Vom ABCB1-Gen gibt es verschiedene Allele. Bei einigen Varianten bindet das Genprodukt sehr gut an Substrate, bei anderen bindet es schlechter.

Ich vermute, darum geht es beim ABCB1-Test, den Ihre Firma anbietet.
Holsboer: Richtig. Wenn für eine Therapie ein Medika­ment in Frage kommt, das als Substrat des P-Glykoproteins bekannt ist, machen wir einen Gentest. Wir schauen nach, welche ABCB1-Variante der Patient hat – und ob der Wirkstoff sein Ziel im Gehirn überhaupt erreichen kann. Was man hier aber betonen muss: Der ABCB1-Test sagt natürlich nichts darüber aus, ob der Wirkstoff auch den richtigen Krank­heitsmecha­nismus adressiert. Wenn ein Medika­ment im indivi­duellen Fall das falsche Transmitter-System anspricht, kann es selbst dann nicht helfen, wenn es durch die Blut-Hirn-Schranke kommt. Dieser Punkt ist mir sehr wichtig, damit keine falschen Erwar­tungen entstehen! Was wir hingegen mit dem Test schluss­folgern können: Falls das Medika­ment eigentlich wirken würde, jedoch bei einem Patienten mit ungünstiger ABCB1-Variante nicht in ausrei­chender Menge in das Gehirn eindringt, sollte man über einen anderen Wirkstoff nachdenken oder muss eine höhere Dosierung erwägen. Das können wir im Vorfeld klären und somit die Krankheits­dauer verkürzen.

Es geht also um personalisierte Therapien bei psychischen Erkrankungen. Wie wird der ABCB1-Test denn angenommen?
Holsboer: Hier in Deutschland sind die Ärzte leider noch sehr zurück­haltend. Überhaupt scheint man die Labor­diagnostik in der Psychia­trie eher argwöhnisch zu betrachten. Beim Internisten ist es ja auch vollkommen normal, dass der Arzt auch mal Biomarker misst, damit eine Therapie erfolgreich ist. Beim Psychiater ist das noch nicht angekommen. In der Schweiz wird der Test viel besser angenommen. Da verkaufen wir genauso viele ABCB1-Tests wie in Deutschland – obwohl die Schweiz zehnmal weniger Einwohner hat. Gerade kommt der Test in Frankreich auf den Markt und demnächst in den USA. Dort wird die Akzeptanz größer sein als hier in Deutschland.

Bislang ist der ABCB1-Test Ihr einziges Produkt am Markt. Es gibt laut Webseite aber auch weitere Diagnostik-Tools und einige Wirkstoffe, mit denen Sie gerade in klinischen und präklinischen Studien sind. Nutzt Ihnen da noch die Verbindung zum Max-Planck-Institut, um mit Forschern zu kooperieren?
Holsboer: Wir diskutieren oft mit Wissen­schaftlern des Instituts, und das ist immer eine Freude. Die Studien finden aber bei externen Dienst­leistern statt. Die Finan­zierung geschieht über den Verkauf von Gesell­schafts­anteilen an Investoren. An die Max-Planck-Gesellschaft bezahlen wir Lizenz­gebühren.

Also dauert es noch viele Jahre, bis sich eine Beteiligung an HMNC wirklich finanziell auszahlt?
Holsboer: Nicht unbedingt. Inzwischen ist HMNC zu einer Holding geworden, innerhalb der wir weitere Firmen gegründet haben, die eigene Produkte entwickeln. Wenn wir eine dieser Firmen als Ganzes verkaufen, wären wir schnell aus den roten Zahlen heraus. Mit diesem Geld könnten wir dann neue Entwick­lungen finanzieren, um nicht noch mehr Firmen­anteile abgeben zu müssen.

Was käme da in Frage?
Holsboer: Das nächste, das vermutlich auf den Markt kommen wird, ist eine spezielle Ketamin-Formu­lierung für die orale Anwendung. Ketamin kommt seit einiger Zeit vor allem bei Therapie-resistenter Depression zum Einsatz, muss derzeit aber intravenös oder intranasal gegeben werden. Da gibt es gleich nach der Einnahme unange­nehme Neben­wirkungen mit Psychose-ähnlichen Zuständen. Die Patienten müssen daher zwei bis drei Stunden beobachtet werden. Für die Markt­durch­dringung sind solche Symptome natürlich ungünstig. Wir entwickeln gemeinsam mit der Schweizer Partner­firma Develco in unserer HMNC-Tochter­firma Ketabon eine Retard­tablette, die das Ketamin langsam abgibt und diese Neben­wirkungen nicht hat. Dazu läuft gerade eine kontrollierte Studie am Universitäts­spital Zürich. Von Sanofi haben wir einen Vasopressin-Rezeptor-Blocker namens Nelivaptan übernommen und besitzen die weltweite exklusive Lizenz für sämtliche Indikationen der Medizin. Das läuft unter der Firmen­bezeichnung Nelivabon. Dieses Medika­ment wird nur bei denjenigen eingesetzt, bei denen wir aufgrund eines Biomarkers vorhersagen können, dass es mit hoher Wahrschein­lichkeit wirkt.

Was bedeutet eigentlich der Name Ihrer Firma: HMNC Brain Health?
Holsboer: Wir haben damals nach einem Namen gesucht, für den man eine Internet-Domain bekommt. Und in die Verträge mussten wir ja auch etwas reinschreiben. Also dachten wir uns, wir nehmen erstmal die Anfangs­buchstaben der Gründer­namen „Holsboer“ und „Maschmeyer“. Tja, und was macht der Holsboer? Zunächst habe ich Chemie studiert, dann wurde ich Psychiater. Also das „N“ für die Neuro und das „C“ für die Chemie. So haben wir HMNC daraus gemacht. Eigentlich nur vorläufig, aber das hat sich dann verselbst­ständigt und ist bis heute geblieben. Für die Tochter­firmen unserer Holding haben wir ein anderes Namens­schema: Nelivabon und Ketabon habe ich schon erwähnt. Dann gibt es noch Cortibon – dort arbeiten wir an einem CRH (Corticotropin-releasing Hormone)-Blocker, den wir von der japa­nischen Firma Eisai einlizenziert haben. Den alten Holding-Namen HMNC behalten wir jetzt aber bei.

Die Fragen stellte Mario Rembold






Letzte Änderungen: 17.10.2019