Editorial

Warum trauen WIR dem Weltklimarat,...

(29.10.2019) … die Klimaskeptiker aber nicht? Um der derzeitigen Wissen­schafts­skepsis entgegen­zutreten, müssen die Wissen­schaftler vor der eigenen Haustür kehren.
editorial_bild

Es steht schlecht um die gesell­schaftliche Akzeptanz unserer täglichen Arbeit als Wissen­schaftler. Die Mehrheit der US-Bevöl­kerung erklärt Evolution nicht mit Darwin, sondern mit der heiligen Schrift. Die Masern sind weltweit wieder im Kommen, weil Impfgegner eine Verschwö­rung der Pharma­industrie wittern, die Kinder zu Autisten macht. Ein substan­tieller Anteil der Bevölkerung hält den Klima­wandel nicht für vom Menschen verursacht – sondern für Hysterie, die interessierte Wissen­schaftler aus Wichtig­tuerei sowie Konkurrenz um Förder­mittel schüren. Homöo­pathen behandeln Krankheiten mit Zucker­kügelchen, und die Kassen – also wir – müssen dafür zahlen.

Ein populäres Rezept gegen diese zuneh­mende Ablehnung relevanter Ergebnisse aus der Wissen­schaft ist mehr und bessere Vermittlung von Wissen in Schule und Medien. Angeregt durch einen Vortrag des prominenten amerika­nischen Wissen­schafts­soziologen und -historikers Steven Shapin erlaube ich mir, hieran zu zweifeln. Denn der Kern des Problems liegt keineswegs am so nahe­liegenden, aber dennoch falschen Befund einer Krise in der Akzeptanz von Wissen­schaft und deren Wahr­heiten. In der Kritik steht nämlich nicht die Wissen­schaft – sondern vielmehr Institu­tionen, Autoritäten und Eliten.

Editorial

Den Kritikern passen konkrete Ergebnisse und Handlungs­empfehl­ungen der Wissen­schaft nicht. Die Wissen­schaft und ihre Methode bleiben hingegen verschont. Ihre Argumente tragen sie sogar im Namen von gerade durch uns hoch­gehaltenen Wissen­schafts­normen vor: Skepti­zismus und Unab­hängigkeit von erkennt­nisschäd­lichen Interessen. Die Kritiker sind skeptisch und reklamieren das wissen­schaftliche Prinzip der Falsifi­kation für sich. Sie bedienen sich dabei Statistiken, Zahlen und Ergebnissen von alternativen „Experten“. Und zu alledem treten sie häufig wie radikalisierte, „bessere“ Wissen­schaftler auf, die dem Mainstream den Verrat der eigenen Ideale vorwerfen.

Neben der „Wissenschaftlichkeit“ in der Argumen­tation ist auffällig, dass die Liste der angezwei­felten Befunde relativ kurz ist. Der in der Schule gelehrte Kanon der Wissen­schaften, also die Lehrbuch-Wissen­schaft, ist nicht in der Schusslinie. Newton, Maxwell, Einstein – kein Problem. Auch die Förder­geber, wie die DFG, oder die wissen­schaftliche Methode kommen nicht schlecht weg – sondern gar nicht vor.

Warum aber dann Ablehnung von Evolutions­theorie? Weil die Wissen­schaft hier der Religion ganz grundsätzlich widerspricht! Warum Impfgegner­schaft? Weil sich Eltern ernste Sorgen um ihre Jüngsten machen! Warum Klima­wandel? Weil die Leute nicht ihren Lebensstil ändern wollen, sondern lieber weiter SUV fahren und mit dem Flieger nach Mallorca jetten! Warum Homöo­pathie? Weil die klassische Medizin ihnen oft nicht hilft und manchmal sogar schadet!

Es geht den Kritikern nicht um wissen­schaftliche „Wahrheit“. Es geht um ganz konkrete Dinge, die ihnen nicht passen – die aber im Namen der Wissen­schaft verordnet werden.

Das Problem ist folglich nicht wissen­schaftliche Ignoranz, wie häufig behauptet wird. Natürlich herrscht auch Ignoranz bezüglich wissen­schaftlicher Ergebnisse und Theorien – von Aberration bis Zellzyklus. Aber hier wird es so richtig interessant: Denn wir, die Wissen­schaftler des Mainstream, akzeptieren den anthropo­genen Ursprung des Klima­wandels und die Evolutions­theorie eben nicht deshalb, weil wir die Wissen­schaft dahinter verstehen.

Greta Thunberg ist keine Expertin in der Modellierung komplexer Systeme. Ebenso ist unser generelles Verständnis wissen­schaftlicher Ergebnisse meist rudimentär bis ober­flächlich. Oder würden Sie behaupten, die Modelle der Klimato­logen zu kennen und deren wissen­schaftliche Korrektheit beurteilen zu können? Könnten Sie erklären, wie ein Chip in Ihrem Handy funktioniert? Verstehen Sie die Grund­lagen der allgemeinen Relativi­tätstheorie? Vermutlich nein. Ist auch gar nicht nötig. Weder um sich in Sachen Klimawandel zu positio­nieren, noch um ein Handy zu benutzen.

Mit welchen Argumenten beharren wir dann aber auf der Rolle des Menschen beim Klimawandel? Oder auf Darwins Theorie? Unsere Argumente gründen sich fast ausschließlich auf wissen­schaftliche Autorität. Es ist eine Form von sozialem Wissen: Wir vertrauen den Spezialisten des Weltklimarats IPCC, den CERN-Physikern, den Virologen des Robert-Koch-Instituts et cetera. Das sind Leute wie wir, wir sind Teil derselben Wissen­schafts­kultur. Wir kennen die Strukturen, in denen sie ihre Ergebnisse erheben, veröffentlichen, diskutieren und letztendlich akzeptieren. Wir wissen, wem wir (ver)trauen können – und wem nicht.

Wir gehen dabei alles andere als demokratisch vor. Diese Art Wissen ist von uns durch Soziali­sierung innerhalb des Wissen­schafts­betriebes über längere Zeit erworben – und häufig ist es implizites Wissen, das sich kaum operatio­nalisieren lässt. Es ist vom Wesen her elitär – denn letztlich haben wir gut begründete Vorurteile und berufen uns dabei auf wissen­schaftliche Autorität(en).

Die Skeptiker sind deshalb auch nicht Kritiker der Wissen­schaft, sondern vielmehr von wissen­schaftlicher Autorität und insbeson­dere von uns als elitärer gesell­schaftlicher Gruppe. Sie halten Wissen­schaft für korrumpiert, sofern sie Ergebnisse betrifft, die ihnen nicht in den Kram passen. Von der Politik, von der Wirtschaft und/oder von persön­lichen Interessen. Insofern unser soziales Wissen also elitär ist, werden wir zur Zielscheibe rechter Elitenkritik. Diese ist im übrigen selbst elitär, denn sie hält uns das „Wissen“ alternativer „Experten“ entgegen.

Wie konnte es soweit kommen?

Die Pioniere der Wissenschaft, wie wir sie heute betreiben – die Galileis, Boyles und Newtons –, waren „Gentleman Scientists“. Sie finanzierten sich selbst, oder forschten unter adliger Patronage. Sie waren dadurch unabhängig und nur der wissen­schaftlichen Wahrheit verpflichtet. Ihre Wissen­schaft war, abgesehen vom Zweck des Erkenntnis­gewinns, komplett „desinte­ressiert“. Sie hatten keinen gesell­schaftlichen Auftrag und beriefen sich nicht auf Politik, Geschäft oder Gesellschaft.

Diese Zeiten sind längst vorbei. Ein Meilen­stein war zum Beispiel das Manhattan Project zur kriege­rischen Nutzung der Kernenergie. Oder der Bayh-Dole Act, mit dem den US-Universitäten die Moneti­sierung der Erfindungen ihrer Wissen­schaftler nicht nur ermöglicht, sondern ins Stammbuch geschrieben wurde. Wissen­schaft hat komplett ihre Unschuld verloren, weil sie, selbst an den Universitäten, voll integriert ist in die „Institutionen“ – in Geschäft, Politik, Militär,...

In weiten Teilen der Wissen­schaft müssen wir, um Fördermittel zu erhalten, vorab den unmittelbaren Nutzen, die Anwend­barkeit und die Verwert­barkeit unserer Ergebnisse betonen. Wir begründen unsere eigene Wichtigkeit (und damit die Forderung nach Förderung) mit dem Dienst an den Institu­tionen. Der Preis, den wir hierfür zahlen, ist, dass Kritik an den Institu­tionen automatisch Kritik an der Wissen­schaft mit sich bringt. Frei nach der Logik: Wenn die Politik lügt, und wenn Konzerne lügen – dann lügt auch die Wissenschaft.

Dazu kommt, dass die Wissenschaft selbst ihr Scherflein zu diesem Vertrauens­verlust beiträgt. Wissen­schafts­skandale, plagiierte Doktor­arbeiten, Reprodu­zierbarkeits­krise, fragwürdige Anreiz­systeme und so weiter sind Gegenstand öffentlicher Beobach­tung und Missfallens. All dies schürt Zweifel an einer nur dem Erkenntnis­gewinn verschrie­benen Profession. Denn wenn sie schummeln und falschen Götzen dienen – belegt dies nicht, dass man Wissen­schaftlern (nicht der Wissen­schaft, wohlgemerkt!) nicht trauen kann?

All das bedeutet: Wissenschafts­skeptiker werden nicht durch mehr „Wissenschaft“ bekehrt.

Auch die Eindämmung von Falsch­information in den sozialen Netzen scheint mir wenig geeignet. Es gibt eine Menge Evidenz dafür, dass die Polari­sierung und Radikali­sierung in den sozialen Medien eine Folge, und nicht die Ursache des Schlamassels ist. Obskuranten treiben sich auf Seiten für Verschwö­rungstheo­retiker um, weil sie dort die Inhalte finden, nach denen sie suchen. Impfgegner informieren sich auf Anti-Vax-Seiten, weil sich dort die Argumente gegen das Impfen finden.

Es ist einfacher geworden, sich Gehör zu verschaffen – wozu man allerdings erstmal eine Botschaft braucht, die man verbreiten möchte. Es ist auch einfacher geworden, Informat­ionen zu finden, die man vom Mainstream und dessen Publika­tionsmecha­nismen bisher „unterdrückt“ wähnte. Im Internet sind doch aber auch alle Inhalte des Mainstreams (das heißt: der Lehrbuch-Wissen­schaft) hervor­ragend vertreten! Wenn also irgendetwas gesichert ist, dann, dass die neuen Medien eine größere Diversität in der Aneignung von Infor­mation ermög­lichen. Die Kritiker kennen daher unsere Argumente, sie glauben uns aber nicht. Die sozialen Medien offenbaren das Problem, sie verursachen es nicht.

Was also tun?

Wie so oft ist die Diagnose einfacher als die Therapie. Die für die Wissen­schafts­skepsis mitverant­wortlichen Phänomene Populismus, Nationa­lismus und Radikali­sierung am rechten Rand haben erstmal gar nichts mit Wissen­schaft zu tun. Da helfen keine gestylten Aufklärungs­kampagnen und Wissen­schaftskommu­nikatoren à la Hirschhausen. Wenn Wissen­schaft zur Therapie überhaupt etwas beitragen kann, dann vielleicht ein Zurück­nehmen des ständigen Betonens der eigenen unmittel­baren Relevanz für Geschäft und Politik. Und statt­dessen mehr Betonung auf Erkenntnis­gewinn. Der, sofern er robust ist, letztlich immer relevant sein wird für die Gesellschaft.

Natürlich ist auch die Vermittlung von Wissen wichtig, bei welcher Gelegen­heit und in welcher Ziel­gruppe auch immer. Aber dies weniger in Bezug auf das unmittel­bare Verständnis der komplexen Theorien und Resultate der Wissen­schaft. Was ohnehin selten funktioniert und meist zu sinnent­stellender Triviali­sierung im Dienste der Populari­sierung führt. Vielmehr sollten wir vermitteln, wie Wissen­schaft ganz grund­sätzlich funktioniert, welcher Mechanis­men der Akzeptanz oder Wider­legung von Resultaten sie sich bedient. Dass ihre Hypothesen logisch konsistent, durch Evidenz (empirisch) belegt und falsifi­zierbar sein müssen. Dass ihre Ergebnisse reprodu­zierbar zu sein haben.

Dazu käme das Aufzeigen und Vorleben der Normen von Wissen­schaft. Allgemein akzeptiert sind dies (nach Robert Merton): Kommu­nismus (nicht erschrecken, hier gemeint als gemein­sames geistiges Eigentum und kollektive Zusammen­arbeit), Univer­salismus, Selbstl­osigkeit sowie organisierte Skepsis. Neumodisch mit dabei: Transparenz (Open Science).

In all dem haben wir Wissen­schaftler bei der Umset­zung noch eine Menge Haus­aufgaben zu machen. Man könnte auch sagen: Wir müssen da erst noch vor der eigenen Haustüre kehren!

Ulrich Dirnagl

Weiterführende Literatur und Links finden sich wie immer unter: http://dirnagl.com/lj





Letzte Änderungen: 29.10.2019