Was lange währt, wird endlich... zugelassen?
(26.11.2019) Die Medizin setzt einige Hoffnungen auf Bakteriophagen als Therapie gegen resistente Pathogene. Klinische Tests erweisen sich jedoch als schwierig.
Bakteriophagen, oder kurz Phagen, sind bekanntlich Viren, die Bakterien infizieren und unschädlich machen können. Dabei dockt das Virus auf der bakteriellen Außenhülle an und injiziert sein Genom in den Wirt. Der Wirtsorganismus erkennt Teile des Genoms und beginnt mit der Herstellung viraler Proteine. Je nach Typ des Virus wird das virale Genom entweder in das bakterielle eingebaut (lysogener Lebensstil) – oder das Genom wird abgelesen und neue Viren produziert, bis die Bakterienzelle letztlich platzt (lytischer Lebensstil). Auch bei der lysogenen Variante steht am Ende die Zerstörung des Bakteriums. Diese wird jedoch nur eingeleitet, wenn der Wirt unter lebensbedrohlichen Stress gerät – beispielsweise durch Antibiotika, Nährstoffmangel oder UV-Strahlung.
Bei Bakteriophagen handelt es sich also im Prinzip um umhüllte, letztlich von ihrem Wirt replizierte DNA oder RNA. Sobald der Wirt nicht mehr vorhanden ist, kann sich der Phage nicht mehr vermehren. All dies sind Eigenschaften, die Bakteriophagen als biologisches Antibiotikum äußerst interessant machen.
Auf dem Abstellgleis
Tatsächlich vertrieben de nordamerikanischen Pharmaunternehmen Abbott, Eli Lily, Parker-Davis und Squibb sowie Robert und Carrière in Europa Phagenprodukte bis zum Beginn der 1940er Jahre. Dann schob die Massenproduktion des von Sir Alexander Flemming 1928 zufällig entdeckten Penicillins die Bakteriophagen in der „westlichen Welt“ ab Mitte der 1940er Jahre aufs Abstellgleis. In den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hingegen blieben Phagen allgegenwärtig. Heutzutage können diese wie normale Medikamente in Apotheken in Georgien, Russland und anderen osteuropäischen Staaten erworben werden.
Diesen wertvollen Erfahrungen in der Anwendung von Phagen steht leider ein eklatanter Mangel an klinischen Studien gegenüber, die nach modernen Standards durchgeführt wurden. Insbesondere aus der Sowjetzeit sind keine randomisierten, Placebo-kontrollierten, doppelt verblindeten Studien bekannt. „Die Erfahrung mit der Phagentherapie ist sehr limitiert. Die Bedingungen, um ein Phagen-Arzneimittel zu entwickeln, sind erst jetzt da“, sagt Lorenzo Corsini, Ko-Geschäftsführer der PhagoMed Biopharma GmbH. Das Wiener Unternehmen arbeitet derzeit unter anderem an einem Phagencocktail zur Behandlung infizierter Implantate.
Anders als bei passiven Arzneimitteln wie Antibiotika, deren Konzentration nach der Einnahme stetig abnimmt, kann sich die eingenommene Phagenmenge im Körper zunächst erhöhen. Damit hat man jedoch zugleich ein Problem: Ein solch dynamisches Produkt stellt besondere Anforderungen an die klinische Testung wie auch an eine potenzielle Zulassung. Und diese sind mit den derzeitigen Regularien schlichtweg nicht abgebildet, da diese auf andere Wirkstofftypen ausgerichtet sind.
Unzureichende Richtlinien
Die für die Zulassung von Arzneimitteln zuständige deutsche Behörde, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) verweist zunächst auf die derzeit geltenden, durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) festgelegten Guidelines für klinische Studien und die Standards der International Council on Harmonization (ICH). Diese sind für die Zulassung und Good-Manufacturing-Practice-(GMP)-konforme Herstellung biologischer beziehungsweise biotechnologischer Produkte maßgebend. Das BfArM gibt allerdings zu, dass diese für Bakteriophagen unzureichend sind. Auf internationaler Ebene konnte man sich trotzdem bereits auf einige Critical Quality Attributes (CQA) einigen, die erreicht werden müssen – und somit zumindest die GMP-konforme Herstellung von Phagen ermöglichen sollen.
Lorenzo Corsini: „Es ist technisch nicht möglich, zwei Batches von einem Phagencocktail herzustellen, die exakt gleich sind. Durch die Replikation entstehen zwangsläufig kleine Mutationen, die zufällig auf dem Genom verteilt sind.“ Durch die Einigung auf die CQAs lasse sich trotzdem eine GMP-konforme Herstellung von Phagenlösungen realisieren. Wichtig sei, dass es sich nicht um lysogene Phagen handelt, keine Transduktion möglich ist und das Phagengenom keine mobilen genetischen Elemente enthält, die zu genetischer Instabilität führen können. Zudem müssen die Präparate unterhalb vordefinierter Grenzwerte für Schadstoffe wie bakterielle Endotoxine bleiben.
Extremer Wandel
„Mittlerweile sind einige klinische Studien in einem FDA- oder EMA-regulierten Umfeld mit GMP-konform hergestellten Phagen gelaufen. Die Regulierungsbehörden haben also schon mehrere solcher GMP-Herstellungsprozesse gesehen und für gut genug bewertet, um damit klinische Studien am Menschen durchzuführen. Das hat sich extrem gewandelt“, erklärt Corsini.
Generell ist ein Bestreben der nationalen und internationalen Regulierungsbehörden erkennbar, zusammen mit Forschern und Unternehmen die Zulassungsfähigkeit von Phagen-Arzneien sicherzustellen und die entsprechenden Regularien zu optimieren. Dabei hat sich gezeigt, dass es bei Phagen-Arzneien nicht primär um die Frage geht, ob die Phagen selbst effektiv sind, sondern vielmehr darum, welche konkreten Bedingungen bei der Herstellung eingehalten werden müssen und gegen welchen Erreger der Wirkstoff tatsächlich eingesetzt werden soll.
Als nächstes gilt es also, vor allem Herstellungsprozesse und Studiendesigns zu optimieren, um eine repräsentative Bewertung von Phagen als neue Wirkstoffklasse zu gewährleisten. Akteure aus Forschung, Unternehmen und Behörden äußern sich zuversichtlich, dass Bakteriophagen langfristig eine echte Alternative zu Antibiotika darstellen und zumindest deren Verbrauch reduzieren können.
Tobias Ludwig
Der Artikel wurde für die Webseite stark gekürzt. Den kompletten Artikel können Sie im aktuellen Laborjournal-Heft (11-2019) nachlesen.