Editorial

Abrechnung an und mit einem Uniklinikum

(29.11.2019) HIGHLIGHTS AUS 25 JAHREN LABOR­JOURNAL: Vor acht Jahren rechnete ein Emeritiertus mir 'seinem' Ex-Uniklinikum ab. Dort gehe es nur ums Geld.
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Die Patientenroutine gehört nicht zu den beliebtesten Tätigkeiten an deutschen Unikliniken. Wie das daraus resultierende Dilemma eine ganze Abteilung und noch mehr vergiften kann, berichtet der emeritierte Ulmer Humangenetiker Horst Hameister am eigenen Beispiel.

26 Jahre lang habe ich als Oberarzt am Institut für Humangenetik des Universitätsklinikums Ulm gearbeitet – in einem Institut also, dessen Disziplin inzwischen mit Patientenversorgung entsprechende Einnahmen verbucht. Der Chef dieser Abteilung wurde 1978 berufen und hatte eine Ermächtigung für alle humangenetischen Dienstleistungen an Patienten aus der gesamten Region, die bei Sozialkassen versichert waren, wie auch eine Liquidationsberechtigung für privat versicherte Patienten.

Nun war die Uni-Frauenklinik Ulm in den 70er- und 80er-Jahren eine anerkannte Institution für Pränataldiagnostik und zog daher viele Patientinnen an. Da brauchte man als beteiligtes Labor nur ein Konto zu eröffnen, auf dem sich anschließend das Geld für diese aufwändigen Untersuchungen sammelte. An das Klinikum wurde jedoch nur ein geringes Nutzungsentgelt abgeführt. Und je nach Belieben des Chefs bekamen die Mitarbeiter etwas von diesem Segen ab.

Als geschäftsführender Oberarzt sowie von außerhalb berufener Professor habe auch ich davon profitiert. Aber – wie in der deutschen Universitätsmedizin leider üblich – sind diejenigen, die die Routine machen, die „Blöden“, weil sie ja nicht am hohen wissenschaftlichen Thema des Chefs arbeiten. Ganz besonders „blöde“ und „faul“ waren daher unsere genetischen Berater, weil mit reiner Beratungstätigkeit ja nicht genügend Geld zu verdienen ist.

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In Ulm war diese Situation auch deshalb so problematisch, weil die Routinelabors und die genetische Beratung in der Stadt lagen, während der Chef weit weg am Oberen Eselsberg residierte. Auf diese Weise bekam er selber im Laufe der Jahrzehnte praktisch die wenigsten Patienten persönlich zu Gesicht – obwohl er sie abrechnete.

Diese abgehobene, arrogante Haltung gegenüber der Arbeit mit Patienten ist leider typisch für die deutsche Universitätsmedizin und führt auch bei zunächst sehr engagierten Mitarbeitern zur Resignation. Auch bei uns hörte aus diesem Grund der langjährige Leiter der Beratungsstelle zum frühestmöglichen Termin auf, sodass ich für die letzten Jahre als für die Routine zuständiger Oberarzt selbst die Leitung der genetischen Beratungsstelle übernahm. Dass das ein Fehler sein würde, war mir klar. Aber mein hehres Ziel war, wenigstens eine funktionierende Beratungsstelle bis zum Antritt eines neuen, jungen und engagierten Institutsdirektors hinüber zu retten. Ich dachte, ich könnte diese Zeit überstehen, um dann vielleicht nochmals ein bis zwei Jahre lang in einer erfreulichen wissenschaftlichen Atmosphäre aufatmen zu können.

Jedoch verschlief die Fakultät zunächst, die Stelle des Institutsdirektors neu auszuschreiben. Der alte Chef wähnte sich daher fast schon in Sicherheit, hier noch lange den Rahm abschöpfen zu können – bis schließlich doch eine Neuausschreibung erfolgte. Zugleich gab ein Mitglied des Klinikumsvorstands unserem Chef bei dieser Gelegenheit unmissverständlich zu verstehen, dass man sich auf einen echten Neuanfang in der Humangenetik freue, der sich für die Fakultät dann auch endlich in der wissenschaftlichen Zusammenarbeit fruchtbar gestalten solle.

Für dieses Desaster mussten natürlich umgehend die – im Sinne des Chefs – Verantwortlichen im eigenen Institut ausfindig gemacht werden. Das waren schließlich die zwei Senior-Wissenschaftler, die es bis dahin gewagt hatten, relativ ordentlich und selbständig zu publizieren – und natürlich der Oberarzt. Leider erwies sich damit die Überlegung, meinen Chef am Institut überleben zu wollen, als viel zu blauäugig.

Von da ab wurde ich systematisch hinaus gemobbt. In den Assistentenkonferenzen, die sich in vierzehntägigem Abstand jagten, wurde die genetische Beratungsstelle immer wieder angeklagt, dass sie für das Universitätsklinikum völlig unökonomisch arbeite. Uns wurde vorgerechnet, wie teuer wir sind und wie wenig Geld wir für das Klinikum (und den Chef) einbringen. Diese völlig willkürlichen Berechnungen konnte man sich als Verantwortlicher für die Beratung nur mit der geballten Faust in der Tasche anhören.

Früher war genetische Beratung einmal als ein öffentliches Anliegen angesehen worden, und genau deshalb wurden diese Stellen einst vom Land an den Universitäten eingerichtet. Auf diese Aufgabenstellung, die der Patientenversorgung dienen sollte, wagte von uns Mitarbeitern jedoch keiner mehr hinzuweisen. Widerspruch kannte der Chef seit Jahrzehnten nicht mehr.

Als besonders wirkungsvolles Mobbing-Instrument erwies sich indes – das muss man ehrlich zugeben – die Mitarbeitervergütungen praktisch vollständig zurückzufahren. Das war auch beim Oberarzt am wirkungsvollsten und verbesserte zudem die Einnahmesituation des Chefs, der ja nun bald – relativ gesehen – verarmen würde, wenn er in Zukunft nur noch von seiner Pension und seinen Kapitalerträgen leben müsste.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eine Verlängerung meiner Stelle über das 65. Lebensjahr hinaus bereits angetreten. Dieses Jahr kürzte ich aber ab und reichte vor Weihnachten 2008 meine Kündigung zum Ende des Wintersemesters ein.

Nun brannte es in der genetischen Beratungsstelle. Bisher hatte es in den vielen Jahren nur eine Ärztin bis zur Facharztprüfung geschafft; allerdings hatte sie schon vorher ihren an sich sicheren Arbeitsplatz am Institut verloren. Alle anderen Facharztanwärter hatten frühzeitig das Institut verlassen – was irgendwie auch gewollt war, um sich spätere, unliebsame Konkurrenz vor Ort zu ersparen. Keiner der vielen anderen Assistenten des Instituts wagte es noch einmal diese Stelle zu übernehmen, nachdem selbst der Oberarzt hier so schnell verfeuert worden war.

Schließlich kam ein Mitglied des Klinikumsvorstands auf mich zu und bat mich, doch wenigstens für die Übergangszeit zu bleiben. Dazu war ich nur bereit, wenn man mir eine gewisse Unabhängigkeit vom Chef garantiert hätte. Dass ein Oberarzt die Einschränkung der jahrzehntelang bestehenden Privilegien eines Chefs erzwingt, wäre jedoch ein prinzipieller Verstoß gegen das bestehende hierarchische System gewesen. Und dazu war der Klinikumsvorstand nicht bereit.

Wie es sich gehört, unterrichtete ich natürlich auch den Chef über mein Ausscheiden. Der schien mir überglücklich zu sein und schüttelte mir gleich kräftig die Hand. Deswegen war ich eigentlich nicht gekommen, aber was soll’s. Weihnachten stand vor der Tür, und es war das letzte Mal, dass wir uns die Hand schütteln würden. Bei dieser Gelegenheit unterrichtete ich den Chef auch, dass ich meine Arbeit als genetischer Berater fortzusetzen gedachte.

Nur zwölf Tage später, noch vor Sylvester, bekam ich einen Brief vom Klinikumsvorstand an meine Hausadresse, in dem dieser mich auf § 88a des Landesbeamtengesetz hinwies. Nach diesem Paragraph, so hieß es weiter in dem Brief, habe ich eine Beschäftigung im Anschluss an meine reguläre Pensionierung der letzten Dienstbehörde, also dem Klinikumsvorstand, anzuzeigen. Weiterhin behalte man sich vor, mir diese Beschäftigung zu untersagen.

Nach dem Prinzip „cui bono“ konnte es nur mein Chef gewesen sein, der den Klinikumsvorstand darauf aufmerksam machte. Ich las mir daraufhin den § 88a durch und fand dort, dass eine Erwerbstätigkeit anzuzeigen ist, wenn sie „mit seiner dienstlichen Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Beendigung des Beamtenverhältnisses im Zusammenhang steht und wenn durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden können“. Ich sah in meinem Fall im Sinne des § 88a keinen solchen Zusammenhang. Ebenso war ich der Meinung, dass frühere dienstliche Interessen durch meine geplante ärztliche Tätigkeit nicht verletzt würden. Damit heftete ich den Brief des Klinikumsvorstands ab.

Doch durch diesen Brief war ich gewarnt. Ich plante eine geordnete Übergabe und passte sorgfältig auf, keinerlei Adressen oder Briefe von Patienten und Ärzten mitzunehmen. Untersuchungsmaterial stand mir in der Beratungsstelle sowieso nicht zur Verfügung. Dennoch sollte ich später verdächtigt werden, welches mitgenommen zu haben.

Die Dinge nahmen Ihren Lauf. Im April fing ich als niedergelassener Arzt an. Im Juni bekam ich einen Brief von der Abteilung Recht des Klinikums, in dem ich aufgefordert wurde, meine Tätigkeit anzuzeigen. Diese „Angelegenheit“ übergab ich jetzt doch besser einer rechtsanwaltschaftlichen Vertretung, die dem Klinikumsvorstand klar machte, dass nichts anzuzeigen sei.

Daraufhin wurde vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage gegen mich erhoben. Das erste Mal in meinem Leben zitierte mich jemand vor ein Gericht – entsprechend war meine Verbitterung.

Alles dauerte sehr lange. Erst am 27. Januar 2011 erschienen wir vor dem Gericht. Dieses hatte zuvor den Klinikumsvorstand um eine Präzisierung der Klage gebeten. Diese Präzisierung erhielt ich erst zum Gerichtstermin. Darin wurde nicht nur nach meinen Tätigkeiten gefragt, sondern plötzlich sollte ich auch über meine Vergütung auskunftspflichtig sein! Glücklicherweise wies der Richter sofort darauf hin, dass Auskünfte über meine Vergütung zu verlangen, ziemlich dreist sei und durch keine Verwaltungsvorschrift gedeckt würde.

Außerdem wurde in dieser Präzisierung offen der Verdacht ausgesprochen, „dass der Beklagte in seiner jetzigen Tätigkeit (auch Proben von) Patienten diagnostiziert, welche zu einem früheren Zeitpunkt von ihm bei der Klägerin untersucht wurden“. Ich wies darauf hin, dass alleine aus formalen Gründen ein genetischer Berater keine Proben mitnehmen kann.

Gerade dieser Punkt empört mich noch heute besonders und ist für mich der Anlass, dieses absolut unwürdige Vorgehen öffentlich zu machen. Wenn ich so etwas getan hätte, wäre das beamtenrechtlich ein schwerwiegendes Delikt – ganz abgesehen davon, dass auch nach dem geltenden Gendiagnostikgesetz nicht einfach Proben aus dem einen in das andere Labor transportiert werden dürfen, ohne den Patienten darüber zu informieren.

Der vorsitzende Richter erklärte, es sei bislang noch nicht vorgekommen, dass eine Behörde gegen einen aus Altersgründen ausgeschiedenen Beamten auf Auskunft im Rahmen der beamtenrechtlichen Anzeigepflicht klagt. Er führte weiter aus, dass Konkurrenz kein Interessenkonflikt im Sinne des § 88a sei. In dieser Hinsicht könne von der Gegenseite nur auf das finanzielle Interesse der Klinikumsverwaltung, und damit insbesondere des ehemaligen Chefs, hingewiesen werden.

Nach einer halben Stunde nahm die Gegenseite auf eindeutiges Anraten des Gerichts die Klage zurück und musste deshalb für die gesamten Kosten des Verfahrens aufkommen. Aber die Kosten trägt ja das Land Baden-Württemberg. Mit so einer Abteilung Recht, die den Herren kostenlos zur Verfügung steht, kann man also mühelos versuchen, seine Nebentätigkeitserlöse zu erhöhen.

Unser früherer Pathologe aus Bonn, der wie alle Pathologen den diesseitigen, konkreten Dingen sehr viel näher steht als wir abgehobenen Wissenschaftler, beendete häufig lange, unverständliche Diskussionen im Fakultätsrat mit dem Hinweis: „Meine Herren, et jeht doch nur um’s Jeld“.

Inzwischen hat der neue Institutsdirektor seine Tätigkeit aufgenommen, jetzt allerdings ohne diese persönlichen Pfründe. Das Geld verbleibt im Institut. Dieses schreibt vom ersten Tag an schwarze Zahlen, neue Mitarbeiter können eingestellt werden – und es ist eine Freude, die plötzlich wieder motivierten ehemaligen Kollegen zu treffen.

Horst Hameister

(Der Artikel erschien in der Laborjournal-Ausgabe 5/2011)


 



Letzte Änderungen: 27.11.2019