Editorial

Wirkt Homöopathie doch?

(02.12.2019) Mit einer 400.000-Euro-Studie will der Baye­rische Landtag prüfen lassen, ob und wie Homöopathika beim Kampf gegen multi­resis­tente Bakterien mithelfen können.
editorial_bild

Die Datenlage ist eindeutig und mit wenigen Klicks überprüfbar. Zwischen 1991 und 2019 bewerteten elf Metastudien 900 klinische Arbeiten zur Homöopathie. Alle schlussfolgerten dasselbe: Homöopathika wirken nicht über den Placebo-Effekt hinaus [1] – was meist nicht mehr als natürliche Genesung bedeutet.

Weltweit wurden daraus bereits einige Konsequenzen gezogen:

- Bereits 2009 warnte die World Health Organisation (WHO) davor, mit homöopathischen Mitteln ernste Erkrankungen heilen zu wollen [2].

- Im Dezember 2016 führte die US-Verbraucherschutzbehörde Warnhinweise vor homöopathischen Mitteln ein [3].

- Im Februar 2017 stufte die Russische Akademie der Wissenschaften Homöopathie als gefährliche Pseudowissenschaft ein [4].

- Im gleichen Jahr entschied der Britische Gesundheitsdienst, Kosten für Homöopathika nicht länger zu übernehmen [5].

- Seit April 2019 dürfen Australische Krankenversicherungen homöopathische Behandlungsmethoden nicht mehr decken [6].

- Im Juli 2019 teilte das französische Gesundheitsministerium mit, homöopathische Mittel ab 2021 aus den Grundversicherungsleistungen zu streichen [7].

Kurz gesagt, die Debatte über die Wirkungslosigkeit homöopathischer Medikation scheint sich auch institutionell immer klarer zu entscheiden.

Editorial

Und in Deutschland? Auch wenn in den letzten Wochen gleich drei Ärztekammern die Homöopathie aus ihren Weiterbildungsordnungen strichen [8], gibt es weiterhin auch gegenteilige Beschlüsse. Zuletzt im Bayerischen Landtag...

Am 1. August 2019 forderten Vertreter der CSU und FREIEN WÄHLER in der Drucksache 18/3320 [9] die Bayerische Landesregierung auf, „durch eine Studie zu untersuchen bzw. untersuchen zu lassen, wie ein reduzierter Antibiotikaeinsatz im medizinischen Bereich realisiert werden kann. Dabei soll auch und insbesondere die Rolle alternativmedizinischer Methoden in den Blick genommen werden. Auch soll in diesem Zusammenhang eine mögliche positive Rolle von ggf. ergänzend verabreichten homöopathischen Präparaten beleuchtet werden.“ Deutlich nahm der Bayerische Landtag den Antrag am 7. November 2019 mit 120 Ja- zu 47 Nein-Stimmen bei 3 Enthaltungen an.

Mit welcher Begründung?

Laut einem Bericht der Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) vom November 2018 verursachen Antibiotika-resistente Bakterien 18 beziehungsweise 29 Prozent aller Infektionen in den EU-Staaten beziehungsweise G20-Ländern [10]. Zu den bedeutendsten, oft multiresistenten Problemstämmen zählen neben Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA) auch Cephalosporin-resistente Escherichia coli und Penizillin- resistente Streptococcus pneumoniae. An ihnen könnten bis 2050 in Europa, Nordamerika und Australien 2.4 Millionen Menschen versterben, mehr also als an Krebserkrankungen. Laut der Europäischen Seuchenbehörde sind es in den EU-Staaten jetzt schon 33.000 Menschen pro Jahr [11].

Todesfälle durch multiresistente Keime stellen also eine erhebliche gesundheitspolitische Herausforderung dar. Entsprechend diskutierte der Bayerische Landtags-Ausschuss für Gesundheit und Pflege unter ihrem Vorsitzenden Bernhard Seidenath, CSU, im September 2019 ein fünfteiliges Antragspaket. Es beinhaltet Maßnahmen, Antibiotika bei der Lebensmittelproduktion sparsam einzusetzen, Lieferengpässe bei ihrer Produktion zu verhindern, Resistenzentwicklungen durch Umweltstandards einzudämmen, Phagen als Antibiotika-Alternative zu erwägen – und eben Homöopathika als Antibiotika-Ersatz zu prüfen.

Letzteres begründet der Antragstext mit: „Wissenschaftliche Studien, speziell im Bereich der HNO-Erkrankungen, konnten aufzeigen, dass durch den Einsatz klassischer Homöopathie sowohl ein Einsatz von Antibiotika vermieden als auch eine Verbesserung der individuellen Infektabwehr erreicht werden konnte. […] Nicht immer ist eine Gabe von Antibiotika nötig und gegebenenfalls können alternative Präparate in manchen Fällen ebenso heilsam sein, eventuell sogar mit deutlich geringeren Nebenwirkungen.

Gegenüber Laborjournal erklärte Hauptantragsteller Seidenath zu dem Antrag: „Es geht uns darum, alle Register zu ziehen, um gegen diese immense gesundheitliche Problematik anzugehen. Von den Wissenschaftlern höre ich, es sei doch bewiesen, dass homöopathische Präparate nicht funktionieren. Von den Homöopathen höre ich, es sei doch bewiesen, dass sie funktionieren. Das belegt den Forschungsbedarf.

Die Volksvertreter beurteilten diesen Antragsteil in der folgenden Landtagsdebatte unterschiedlich. Dominik Spitzer, FDP, erklärte etwa: „Die erwähnten wissenschaftlichen Studien […] würden von seriösen Wissenschaftlern heftig kritisiert, da zum Teil bewusst falsche Schlüsse gezogen würden. […] Anstatt Steuergelder in Höhe von 300.000 bis 400.000 Euro für eine neue Studie auszugeben, sollten die vorhandenen Studien, wie in anderen Ländern geschehen, evaluiert und reflektiert werden.

Susann Enders, FREIE WÄHLER, dagegen wünschte sich: „Lassen Sie doch endlich Schulmedizin und Homöopathie auf Augenhöhe wirken.

Klaus Holetschek, CSU, schloss ab: „Evidenzbasierte Medizin und doppelblind randomisierte Studien [sind] nicht immer günstig und bei Naturheilverfahren wie klassischen Verfahren auch nicht immer möglich. Trotzdem helfen Naturheilverfahren und alternative Medizin. Wir müssen auch einmal wieder auf die traditionelle Medizin setzen. Wir müssen auf Hausmittel und auch auf Volkskunde setzen.“

Die Produkte der wissenschaftsbasierten Medizinforschung müssen zur Zulassung in Placebo-kontrollierten klinischen Studien auf ihre pharmazeutische Wirksamkeit geprüft werden. Nicht so Homöopathika. Sie fallen in Deutschland unter die Sonderregelung eines Binnenkonsenses. Für ihre Zulassung nach §25 Arzneimittelgesetz reicht ein Zirkelschluss: Sobald homöopathische Literatur, Beobachtungsberichte oder individuelle Erfahrungen von Ärzten ihre Wirksamkeit bezeugen, dürfen sie nach einer homöopathischen Zubereitungstechnik hergestellt werden. Ihre Herstellung folgt dann dem Grundsatz der Potenzierung – das heißt, der Steigerung der Wirksamkeit durch Verdünnen der Wirksubstanz um mehrere Größenordnungen.

Die Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verzeichnet derzeit 26,553 Homöopathika [12], von denen Apotheken im letzten Jahr 57 Millionen Packungen verkauften [13]. An deren Kosten beteiligen die Krankenkassen ihre Gesamtkundschaft laut kassenärztlicher Bundesvereinigung mit jährlich 70 Millionen Euro, da sie homöopathische Behandlungen aus Marketinggründen als zusätzliche Satzungsleistungen erstatten dürfen [14]. Jeder homöopathisch behandelte Mensch verursacht dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem so durchschnittlich 900 Euro Mehrkosten pro Jahr [15].

Auf diese Weise gaukeln die gesetzlich verankerten Sonderregelungen für Homöopathika in puncto Wirksamkeit eine Gleichstellung mit evidenzbasierter Wissenschaft vor – und verwirren damit offensichtlich nicht nur Patienten. So klar alle Daten für eine Wirkungslosigkeit von Homöopathika sprechen, so unklar ist ihre politische und gesellschaftliche Bewertung.

Es steht außer Frage, dass nur ein Maßnahmenpaket multiresistente Bakterienstämme eindämmen kann. Überverschreibungen von Antibiotika und ihre Anwendung in der Massentierhaltung müssen hinterfragt werden. Zudem sollten Aufklärungsinitiativen wie RESIST [16] und die Antibiotika-Resistenzstrategie DART2020 [17] fortgeführt werden. Wenn aber ein Landtag ein „Glaubenssystem“ wie die Homöopathie ernsthaft erörtert, sollte die Abgeordnete Ruth Waldmann, SPD, mit ihrem Kommentar eigentlich keine Minderheit repräsentieren: „Es ist gefährlich, wenn sich die Politik über Erkenntnisse in der Wissenschaft hinwegsetzt. Klare, evidenzbasierte Signale auf wissenschaftlich fundiertem Boden sind eine Bringschuld der Politik.

Ebenso erstaunlich ist, dass offizielle Verbändeanhörungen im Vorfeld der Tagungen des Ausschusses für Gesundheit und Pflege nicht üblich sind. Auch ein offener Brief des Informationsnetzwerks Homöopathie an alle per E-Mail erreichbaren Landtagsabgeordneten verfehlte seine Wirkung [18]. Doch ist all das nur der Politik anzulasten?

Sicher ist es kaum die Aufgabe der Wissenschaft, Scharlatane zu widerlegen oder ihnen Einbußen ihres jährlichen Umsatzes von 780 Millionen Euro zu bescheren [19]. Dennoch hat sie die Verantwortung, Forschungsergebnisse klar zu kommunizieren. Zumal es durchaus Fragen zum Selbstverständnis der (Bio)Wissenschaft aufwirft, wenn ein Landtag „Glaubenssysteme“ diskutiert. Inwieweit haben also die Biowissenschaften die gesellschaftliche Verpflichtung, bei solchen Debatten den sprichwörtlichen Elfenbeinturm zu verlassen? Wie sehr muss sie ihren Stellenwert bei politischen Entscheidungsfindungen untermauern? Steht der einzelne Biowissenschaftler dazu in der Pflicht? Oder zumindest deren Verbände? Immerhin erwarten laut Wissenschaftsbarometer 2019 tatsächlich drei von vier Deutschen, dass sich Wissenschaftler in öffentliche Debatten einmischen, wenn Politiker Forschungsergebnisse nicht berücksichtigen [20].

400.000 Euro will der Bayerische Landtag also nun für die Wirksamkeitsprüfung von Homöopathika im Kampf gegen multiresistente Keime ausgeben. Um die Kosten einer klinischen Studie zu decken, ist dieser Betrag zu knapp bemessen. Eine multizentrische, randomisierte klinische Prüfung nach Good Clinical Practice (GCP) mit mehrjährigem Studienverlauf und einigen Hundert Studienteilnehmern erfordert Aufwendungen in Millionenhöhe [21]. Unklar ist ebenso, mit welchem Forschungsdesign man in diesem Fall den medizinischen Nutzen homöopathischer Methoden überhaupt prüfen will. Denn allein ethische Gründe verbieten es schon, Scheinmedikation bei lebensbedrohlichen Infektionen mit multiresistenten Bakterien zu testen.

Inwieweit die neue Studie bisherigen Erkenntnissen widersprechen wird, hängt wohl auch vom durchführenden Institut ab. Die Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege Melanie Huml erklärte dazu: „Bei Studien brauchen wir eine Effizienz-Basierung, gerade wenn es um Homöopathie und Naturheilverfahren geht.“ Eine Evidenz-Basierung im Gegensatz zur Effizienz-Basierung erwähnte sie nicht.

Auch Seidenath sagte gegenüber Laborjournal: „Wer die Studie durchführt, ist mir letztlich egal. Das Studiendesign sollte aber eng abgesprochen werden zwischen den Befürwortern und Kritikern der Homöopathie.

Die zugehörige Ausschreibung wird das Staatsministerium für Gesundheit und Pflege demnächst vorbereiten. Auf die Nachfrage, welche Forschungsinstitutionen überhaupt in Frage kommen, kam die Antwort: „Grundsätzlich könnten Studien zur Reduktion des Antibiotikaeinsatzes durch alternativmedizinische Verfahren und ggf. ergänzend verabreichten homöopathischen Präparaten an den bayerischen Hochschulen für Medizin als Forschungsvorhaben durchgeführt werden.

Wie auch immer, zumindest der Deutsche Zentralverein homöopathischer Ärzte e.V kennt das Resultat der Studie offenbar bereits: „Homöopathie senkt Antibiotika-Verschreibungen und Resistenzen“, schrieb er im März diesen Jahres zum Thema [22].

Henrik Müller

 

REFERENZEN

[1] https://homöopedia.eu/index.php/Artikel:Systematische_Reviews_zur_Hom%C3%B6opathie_-_%C3%9Cbersicht

[2] BMJ 2009;339:b3447

[3] https://www.ftc.gov/system/files/documents/public_statements/996984/p114505_otc_homeopathic_drug_enforcement_policy_statement.pdf

[4] http://klnran.ru/en/2017/02/memorandum02-homeopathy/

[5] https://www.nhs.uk/conditions/homeopathy/

[6] https://www1.health.gov.au/internet/main/publishing.nsf/Content/private-health-insurance-reforms-fact-sheet-removing-coverage-for-some-natural-therapies

[7] https://www.has-sante.fr/upload/docs/application/pdf/2019-10/homeopathie_synthese_anglaise_18102019.pdf

[8] https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2019/11/18/naechste-aerztekammer-streicht-homoeopathie-weiterbildung

[9] http://www1.bayern.landtag.de/www/ElanTextAblage_WP18/Drucksachen/Basisdrucksachen/0000002000/0000002418.pdf

[10] http://www.oecd.org/els/stemming-the-superbug-tide-9789264307599-en.htm

[11] Lancet Infect Dis. 2019 Jan;19(1):4-6

[12] https://www.pharmnet-bund.de/dynamic/de/arzneimittel-informationssystem/index.html

[13] https://www.kbv.de/html/418_41368.php

[14] https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/107154/Hecken-haelt-Kassenerstattung-von-Homoeopathie-fuer-gefaehrlich

[15] PLoS ONE 10(7): e0134657

[16] https://www.kbv.de/html/resist.php

[17] https://www.bundesgesundheitsministerium.de/themen/praevention/antibiotika-resistenzen/antibiotika-resistenzstrategie.html

[18] https://hpd.de/artikel/homoeopathie-keine-antibiotika-alternative-17375

[19] https://medwatch.de/2019/02/27/absatz-sinkt-weiter-wie-lobbyisten-fuer-die-homoeopathie-kaempfen/

[20] https://www.wissenschaft-im-dialog.de/projekte/wissenschaftsbarometer/wissenschaftsbarometer-2019/

[21] https://www.uni-wh.de/fileadmin/user_upload/03_G/07_Humanmedizin/05_Institute/IMBE/18_-_Studiendesigns_in_der_Implantologie__VI_.pdf

[22] https://www.homoeopathie-online.info/homoeopathie-senkt-antibiotika-verschreibungen-und-resistenzen/

 




Letzte Änderungen: 02.12.2019