Editorial

Reviewer Nr. 3

(24.01.2020) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Welche Typen stecken eigentlich hinter dem berühmt-berüchtigten 'Reviewer Nr. 3'?
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Professor Milde und seine Gruppe feierten. Spontan. Die junge Doktorandin Heller hatte ihr erstes Paper akzeptiert bekommen. So problemlos hatte Milde das nicht erwartet, denn die Ergebnisse waren zwar solide – viel mehr aber auch nicht. Seinen h-Faktor würde er mit diesem Paper sicherlich nicht verbessern... 

Dennoch, Doktorandin Heller freute sich wie ein Schnitzel. Klar, das allererste Paper ist immer was Besonderes – selbst wenn es nicht in NatureScienceCell, sondern in einem Nullachtfuffzehn-Journal steht. Und mit diesem Gedanken ging Professor Mildes Hirn plötzlich auf Sentimental Journey. „Muss am Sekt liegen“, dachte er noch...

... und erinnerte sich, wie er selbst als Doktorand sein allererstes Manuskript abgeschickt hatte und aufgeregt auf den Bescheid des Journals wartete. Er kam schließlich mit drei Gutachten. Zwei waren positiv, wenn auch mit einigen Änderungswünschen – Review Nr. 3 dagegen war ein Schlag in die Magengrube.

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Frustrierte alte Platzhirsche?

Dass der Gutachter das Paper inhaltlich in tausend Fetzen zerriss, war das eine. Dazu kam das Wie. Reviewer Nr. 3 präsentierte seine Kritik in einem derart herablassend-aggressiven Ton, dass Jung-Milde zunächst einmal förmlich die Luft wegblieb. Es wimmelte darin geradezu vor Vokabeln wie „naiv“, „trivial“, „unangemessen“, „unvollständig“, „verirrt“, „Fehlschluss“, „schlampig“, „lächerlich“,…

Als er sich schließlich halbwegs von dem Schock erholt hatte, stieg Zorn in ihm hoch – und er begann, sich „das Arschloch“ vorzustellen. „Sicher so ein frustrierter alter Sack, kurz vor der Pensionierung“, dachte Milde. „Ein ergrautes, faltiges Alphatier, das Spaß daran hat, den Jungen nochmal so richtig zu zeigen, wo der Hammer hängt. Der ansonsten aber gerade darüber verbittert, dass seine Zeit nun endgültig bald vorbei ist. Da kommt ihm ein Manuskript von so einem kleinen Würstchen wie mir natürlich gerade recht, um all den Frust und die Verbitterung unerkannt, aber wirksam rauszulassen.“

Milde fand nie heraus, wer tatsächlich dieser „Reviewer Nr. 3“ war.

Allerdings wurde er später selbst Editor und Chief Editor bei mehreren Zeitschriften. Und da gingen natürlich jede Menge weitere derartige „Nr. 3-Gutachten“ über seinen Tisch. Tatsächlich fielen sie ebenfalls in den meisten Fällen durch eine ganz besondere, fast schon übertriebene Strenge auf, auch wenn sie ihre herb negativen Urteile durchweg in einem anständigeren Ton fällten.

Oder aufgeregte junge Kläffer?

Irgendwann jedoch fiel ihm dabei auf, dass die meisten dieser „Reviewer Nr. 3“-Gutachten eben nicht von bärbeißigen alten Platzhirschen verfasst waren. Ganz im Gegenteil, vielmehr stammten sie auffallend oft aus den Federn junger Senior-Postdocs oder Nachwuchsgruppenleiter. Auch das fiel Milde jetzt wieder ein. Und er rekapitulierte nochmals für sich, zu welchem Schluss er damals gekommen war:

„Ich glaube, es liegt vor allem an deren Unerfahrenheit und Unsicherheit. Die Leute kriegen teilweise ihr erstes Manuskript auf den Tisch – und haben vorher nirgendwo lernen können, wie man einen Review eigentlich macht. Da wollen sie natürlich keinen Fehler machen, um Himmels willen nichts Wichtiges übersehen oder vergessen. Ebenso möchten sie natürlich nicht als ‚zu sanft’ oder unkritisch erscheinen. Und in dem Zwang, all dies vor allem sich selbst beweisen zu müssen, verlieren sie irgendwann das rechte Maß – sodass sie am Ende über das Ziel hinaus schießen …“

Milde musste lächeln. „Also vielleicht doch eher weniger bärbeißige graue Platzhirsche, statt vielmehr junge aufgeregte Kläffer“, dachte er noch, als sein Hirn wieder in die Gegenwart zurückkehrte. Und ging sich darauf noch ein Schlückchen Sekt holen...

Ralf Neumann

Zeichnung: CC-BY-SA 2.0, AJ Cann

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden. Die Namen entsprechen keinen realen Personen.)

 



Letzte Änderungen: 24.01.2020