Editorial

Kein Impact, aber Einfluss

(21.02.2020) Aus unserer Reihe 'Anekdoten aus dem Forscherleben': Wie Impact-Faktor und Zitierzahlen einmal nicht zur Evaluation eines Forschers taugten.
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Professor Suck war Mikrobiologe, seine Leidenschaft waren Zucker. Zeit seines Forscherlebens war er immer wieder auf’s Neue fasziniert davon, was Bakterien mit Zuckern alles anstellen. Und tatsächlich konnte er mit seinen Mitarbeitern auch einige nette Erkenntnisse dazu beisteuern.

Zitiert wurden seine Arbeiten jedoch eher durchwachsen. Suck selbst juckte das allerdings nur wenig. Er war lange genug Forscher, dass er diese Dinge mit gesundem Selbstbewusstsein einschätzen konnte. Zudem stand er mittlerweile im Spätherbst seiner Forscherkarriere – und musste keinem mehr etwas beweisen.

So dachte Suck jedenfalls. Eines Tages jedoch las er in einer Bekanntmachung der Univerwaltung, dass diese nacheinander alle Fakultäten evaluieren wolle und dafür extra ein Büro mit vier „Evaluationsexperten“ eingerichtet habe. Und kurze Zeit später saß tatsächlich einer dieser jungen und dynamischen „Evaluationsexperten“ bei Suck im Büro… 

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Wo wenige arbeiten, zitieren auch wenige

„Lieber Herr Professor Suck“, kam dieser gleich zur Sache, „ich habe mir mal in den gängigen Datenbanken angeschaut, wie oft ihre Arbeiten in den letzten fünf Jahren zitiert wurden. Um es gleich zu sagen: Es war unterdurchschnittlich, gemessen an der Zahl der Zitate, die mikrobiologische Publikationen im weltweiten Mittel auf sich ziehen.“

„Die Arbeit hätten Sie sich sparen können“, entgegnete Suck amüsiert. „Das hätte ich Ihnen auch sagen können.“

„Und wie erklären Sie das?“, fragte der „Evaluator“.

„Nun, Sie wissen vielleicht, dass die Zahl der Zitierungen kein direktes Maß für wissenschaftliche Originalität und Qualität ist, oder?“, antwortete Suck. „Ich für meinen Teil werde jedenfalls vor allem deswegen nicht so oft zitiert, da mittlerweile nur noch wenige Forscher auf meinem Gebiet arbeiten.“

„Das heißt im Klartext, Ihre Arbeit hat kaum Einfluss, kaum Impact“, erwiderte der junge Mann.

Der Evaluator wird geprüft

Jetzt wurde es Suck ob der flachen Floskeln doch etwas bunt. „Essen Sie Joghurt?“ ging er jetzt plötzlich in die Offensive.

„Äh... Ja, warum?“, kam die erstaunte Antwort.

„Wissen Sie, was da drin ist?“

„Na, vor allem Milch, oder?“, war der Evaluator nun doch etwas verunsichert.

„Gut. Und wovon wird die Milch fest? Oder anders gesagt: Wovon bekommt der Joghurt seine Struktur?“, setzte Suck die „Prüfung“ unbeirrt fort.

„Äääähhh,…“

„Ich sag´s Ihnen: Durch spezielle Polysaccharide, Zuckerketten also, die bakterielle Starterkulturen während des Fermentationsprozesses in der Milch bilden.“

„Herr Suck, das ist doch hier und jetzt…“

Die Industrie publiziert nicht

„…Nicht relevant? Einen Moment. In den frühen Neunzigern des letzten Jahrhunderts beschrieb ich einen Streptococcus-thermophilus-Stamm, der in der Lage ist, ganz besondere Zuckerketten zu knüpfen. In der akademischen Welt hat die Arbeit wenig Aufsehen erregt – und zitiert wurde sie auch eher schwach. Passt also in Ihr Schema...“

„Sind wir also schließlich wieder beim Thema“, straffte sich der „Evaluator“ bereits wieder. Doch Suck war noch nicht fertig:

„... Zufällig aber erwiesen sich genau diese Zuckerketten als besonders geeignet, dem Joghurt die gewünschte Konsistenz und Textur zu verleihen. Nachdem die Industrie das spitz bekommen hatte, begann sie, diesen Stamm aufwendig für die Joghurt-Fermentation und Massenproduktion zu optimieren. Mit der Konsequenz, dass Sie heute in über der Hälfte des weltweit produzierten Joghurts genau diese Zuckerketten finden. Das Dumme ist nur, dass die Industrie ihre Ergebnisse nicht publiziert – und deswegen natürlich auch keine Vorarbeiten zitiert.“

Der junge Mann sagte nichts, sackte aber wieder ein Stück zusammen.

„Aber Einfluss hatte die Arbeit trotzdem,“ lächelte Suck. „Auch ohne Impact. Oder etwa nicht?“

Ralf Neumann

(Die einzelnen Geschichten dieser Kolumne sind uns in aller Regel nicht genau so, aber doch sehr ähnlich referiert worden. Die Namen entsprechen keinen realen Vorbildern.)






Letzte Änderungen: 21.02.2020