Editorial

Ibuprofen und COVID-19

(27.03.2020) Wie eine vorläufige Korrelation zu einer kausalen Ursache wurde – und Soziale Medien das Ganze als ungesunde Fake News verbreiteten.
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In Sozialen Medien und via WhatsApp wurde zuletzt heftig davor gewarnt, dass die Einnahme von Ibuprofen eine Infektion mit dem COVID-19-verursachenden SARS-Coronavirus-2 (SARS-CoV-2) eher begünstige und verschlimmere statt die Symptome zu verbessern. Sind das nun Fake News, oder könnte da was dran sein?

Michael Roth und Kollegen von der Universitätsklinik Basel veröffentlichten in Lancet Respiratory Medicine eine Analyse dreier Studien, die über Ko-Morbiditäten von stationär behandelten, mit COVID-19 infizierten Patienten berichteten (DOI: 10.1016/S2213-2600(20)30116-8). Daraus geht hervor, dass diejenigen, die die COVID-19-Erkrankung nicht überlebten, besonders häufig ACE (Angiotensin-Converting Enzyme)-Inhibitoren eingenommen hatten.

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Mehr Enzym, mehr krank?

Diese zunächst simple Korrelation wurde dann ziemlich schnell zu einer Ursache und dann nahezu panikartig zu voreiligen Fake-Meldungen weiter aufgebauscht.

Zum Hintergrund:

Das seit 2003 bekannte SARS-CoV-1 Virus bindet mittels seines Spike-Oberflächenproteins das Angiotensin-konvertierende Enzym 2 (ACE2) auf der Oberfläche von Endothelzellen in Lunge, Darm oder Nieren (Trends in Pharmacological Sciences 25: 291-94). Nun werden Patienten mit Diabetes oder Bluthochdruck unter anderem mit ACE-Inhibitoren behandelt, da sie dann mehr ACE2 exprimieren, was sich wiederum positiv auf ihre Erkrankung auswirkt.

Auch der aktuelle SARS-CoV2 hat einen solches Spike-Protein auf seiner Oberfläche, das er quasi als Schlüssel benutzt, um sich via Bindung an ACE2 Eintritt in die Wirtszelle zu verschaffen – dies konnten Göttinger Forscher zuletzt zumindest in humanen Zelllinien zeigen (Cell 181: 1-10). Folgerichtig blockierten ACE2-Antikörper das Eindringen der Viren. Überdies benötigt SARS-CoV2 offenbar aber zusätzlich noch die ebenfalls membranständige Serin-Protease TMPRSS2 für eine erfolgreiche Infektion. Blockierten die Göttinger dieses Molekül, musste das Virus ebenfalls draußen bleiben.

Und was hat das jetzt mit Ibuprofen zu tun? Wie gesagt, steigert der Wirkstoff die Expression des Enzyms ACE2 – was letztlich heißt, dass die eindringenden Coronaviren eine höhere Dichte an Bindestellen für ihre Spike-Proteine vorfinden könnten.

Erst abgeraten, dann zurückgerudert

Roth und seine beiden Co-Autoren folgerten daraus, dass die Einnahme von Ibuprofen auf diese Weise auch das Infektionsrisiko steigern könnte. In ihrem nicht mal 3.000 Zeichen kurzen Text stellen sie jedoch explizit klar, dass dies derzeit nicht mehr als eine Hypothese ist. Das war der Stand am 17. März 2020. 

Dennoch riet die Weltgesundheitsorganisation WHO sofort von der weiteren Einnahme von Ibuprofen ab und verwies auf alternative Schmerzmittel. Einen Tag später jedoch ruderte sie schon wieder zurück und teilte stattdessen mit: „Auf der Basis der heute vorhandenen Informationen rät die WHO nicht von der Einnahme von Ibuprofen ab.“ Schließlich gebe es nichtsdestotrotz keine stichhaltigen Hinweise aus der Wissenschaft, dass Ibuprofen das Infektionsrisiko erhöhe oder den Krankheitsverlauf verschlimmere.

Zwar gab der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit vom Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM) zu bedenken, dass Ibuprofen bei der Lungenerkrankung Covid-19 womöglich nicht hilfreich sein könnte, da es die Blutgerinnung hemmt. Ein erhöhtes Risiko für innere Blutungen könnte jedoch sehr wahrscheinlich erst in einem weit fortgeschrittenen Stadium des COVID-19-Verlaufs tatsächlich eine Rolle spielen – wenn überhaupt.

Und so sind sich die Experten inzwischen einig, dass es bisher keine belastbaren Daten gibt, die für einen kausalen Zusammenhang zwischen der Einnahme von Ibuprofen und schweren Covid-19-Verläufen sprechen könnten. Das bestätigte beispielweise auch Christian Drosten von der Berliner Charité in seinem mittlerweile bundesweit bekannten täglichen Corona-Podcast beim NDR.

Fragwürdige News

Auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit betonte , für Ibuprofen gebe es derzeit „keine eindeutigen Hinweise darauf, dass diese Art von Medikament den Krankheitsverlauf verschlimmert. In Einzelfällen wurde zwar beobachtet, dass sie zu einem schwereren Krankheitsverlauf führen. Bewiesen ist dies jedoch nicht. Überprüfungen dazu laufen.“

Und das Gesundheitsportal Infomed ergänzt:

„Im Zusammenhang mit der COVID-19-Epidemie wird in verschiedenen Medien berichtet, der Krankheitsverlauf werde durch ACE-Hemmer oder Angiotensin-Rezeptorblocker (Sartane) oder auch durch Entzündungshemmer wie Ibuprofen ungünstig beeinflusst. Aktuell gibt es jedoch weder für die eine noch für die andere Medikamentengruppe einen überzeugenden Hinweis auf mögliche negative Auswirkungen (geschweige denn einen echten Nachweis von Problemen).

Die fragwürdigen News zu diesen Medikamenten gehen wahrscheinlich auf einen Leserbrief in Lancet Respiratory Medicine zurück, in dem die Hypothese einer negativen Auswirkung propagiert wird. Es gibt anderseits auch Untersuchungen, die eine vorteilhafte Auswirkung dieser Medikamente vermuten lassen.“

Leider also wieder mal ein Beispiel, wie ein falsches Verständnis von Korrelation und Kausalität im Zusammenspiel mit der Dynamik der Sozialen Medien das Aufkommen sehr unguter Fake News befeuern kann. 

Karin Hollricher

(Foto: NIH / TechMarketers) 





 



Letzte Änderungen: 27.03.2020