Editorial

Forscher helfen Forschern

(09.04.2020) Und zwar mit Vermittlungsangeboten, Infrastruktur und gratis Software-Lizenzen – Solidarität und nicht Konkurrenzdenken ist das Gebot der Stunde.
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EMBL hat alle seine Standorte dichtgemacht, in vielen Laboren werden nur noch die nötigsten Aufgaben erledigt, Kurse und Vorlesungen sind schon lange abgesagt. Die meisten Forscher sitzen derzeit im heimischen Büro und werten Daten aus, planen Experimente und schreiben Manuskripte. Aber auch sie können sich aktiv am Kampf gegen COVID-19 beteiligen, egal ob sie Ökologe, Botaniker, Neurowissenschaftler, Mathematiker oder Geisteswissenschaftler sind. Indem sie nämlich die unterstützen, die derzeit unermüdlich in Virologie-Labors schuften, um mehr über die Beschaffenheit und vor allem die Schwachstellen des neuen Coronavirus SARS-CoV-2 in Erfahrung zu bringen.

„Wir dachten uns, es wäre doch toll, wenn diese Leute mit etwas zusätzlicher Zeit den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen helfen könnten, die überhaupt keine Zeit haben,“ sagt Daniel Calovi, seit September letzten Jahres am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Konstanz in einer Pressemitteilung. Zusammen mit den befreundeten Wissenschaftlern Alfonso Pérez-Escudero vom Centre National de la Recherche Scientifique in Toulouse und Sara Arganda von der Universidad Rey Juan Carlos in Madrid rief er die Initiative „Crowdfight COVID-19“ Mitte März ins Leben. „Unsere Idee war es, eine Website zu erstellen, die wie ein Marktplatz funktioniert. Freiwillige können dort ihre Hilfe anbieten, und Forschende, die an einem COVID-19-bezogenen Projekt arbeiten, können um Unterstützung bitten, indem sie Anfragen schicken“, erklärt Calovi. Oder anders ausgedrückt: „Put the wider scientific community at the service of COVID-19 research“.

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Von simpel bis komplex

Die benötigte Unterstützung kann sehr unterschiedlich ausfallen: von simplen, aber zeitaufwendigen Tätigkeiten wie Daten in Tabellen übertragen, Bilder manuell beschriften oder auswerten bis zu etwas komplexeren Aufgaben wie der Durchführung einer bioinformatischen Analyse oder Literaturrecherche. Auch wenn es darum geht, technische Fragen zu beantworten oder spezielle Reagenzien aufzutreiben, kann dem COVID-19-Forscher möglicherweise geholfen werden. Derzeit am häufigsten nachgefragt sind, laut Crowdfight-Team: virtuelles Screening; Screening von Molekülen, die die Virus-Forscher synthetisiert haben und das Zusammentragen von Daten und Proben.

„Wir haben aktuell 42.170 Freiwillige, die ihre Expertise zur Verfügung stellen, in unserer Datenbank und haben 100 validierte Anfragen vermittelt. Einige Virus-Forscher stecken bereits mitten in der COVID-19-Forschung, viele andere haben gerade erst begonnen, Ressourcen für die Virusforschung umzulenken“, schreibt uns das Crowdfight-Team in einer E-Mail. Vorgenommen haben sich Calovi und Co. viel, innerhalb von Stunden wollen sie auf Anfragen reagieren. Und umsonst ist der Service auch. „This platform works thanks to scientists who donate their time and skill in these times of emergency,“ heißt es auf der Webseite.

Eine Spende für die Menschheit

Was kann man als Freiwilliger erwarten? Zunächst füllt man ein kurzes Formular aus mit Kontaktinfos und vorhandener Expertise – das dauert nur 3 Minuten. Dann wartet man darauf, vom Crowdfight-Team kontaktiert zu werden. Wichtig ist jedoch zu beachten, dass man als freiwilliger Helfer nicht davon ausgehen sollte, für die erbrachte Leistung außer großen Dank etwas als Gegenleistung zu bekommen. „We consider this as a donation to humankind at a difficult time, so you must expect receiving less credit than for your usual scientific work,“ schreiben die Initiatoren in den FAQs. Das Crowdfight-Team betont ebenso, dass die generierten Daten den COVID-19-Forschern gehören, man selbst also keinen Anspruch darauf hat, mit auf einem möglichen Paper zu stehen oder Ähnliches. Andererseits ist man für eigene Fehler nicht verantwortlich.

„Es haben uns bis jetzt bereits mehr als 300 Anfragen erreicht. Mit einem Team von 35 Wissenschaftlern, den Koordinatoren, versuchen wir für diese Anfragen, den richtigen Ansprechpartner unter den 40.000 Freiwilligen zu finden. Durch den großen Erfolg dieser Initiative haben wir momentan sehr viel Arbeit, um den ganzen Prozess weiterhin so effizient wie möglich zu gestalten. Wir sind auch dabei, weitere Koordinatoren einzusetzen und auf Künstliche Intelligenz zurückzugreifen, die uns bei der Herstellung der richtigen Verbindungen helfen kann“, gibt uns das Crowdfight-Team einen kleinen Einblick.

Offene Virus-Galaxy

Auch in Freiburg bietet man Hilfe an, und zwar in Form von Infrastruktur. Seit einiger Zeit läuft dort der europäische Ableger des Galaxy-Projekts: eine Open-Source, Web-basierte Plattform für die Analyse von komplexen Daten aus allerlei Genom-, Proteom- und Metabolom-Studien. Vor allem für Wissenschaftler ohne großartige Progammierkenntnisse eine wertvolle Ressource.

Für alle SARS-CoV-2-Forscher hat das Galaxy-Konsortium eine Webseite aufgesetzt, die Infrastruktur und Workflows für die Datenanalyse zur Verfügung stellt: „Open-Source-Werkzeuge und öffentlich verfügbare Cyberinfrastruktur für transparente, reproduzierbare Analysen von viralen Datensätzen“. Es versteht sich von selbst, dass die hier gewonnenen Daten aus Genomik, Evolution und Chemoinformatik des Virus fortlaufend auf der Webseite veröffentlicht werden.

Täglich werden beispielsweise die neuesten Listen sogenannter „raw sequencing reads“ von Virusgenom-Proben herausgegeben. Ebenso werden täglich vergleichende phylogenetische Analysen durchgeführt, um herauszufinden, welche Bereiche des Virusgenoms für die positive oder negative Selektion prädestiniert sind.

In der Chemoinformatik hat man unter anderem versucht, über In-Silico-Screening (Protein-Ligand Docking) mögliche inhibitorische Verbindungen zu identifizieren, die an die Hauptprotease (MPro) des Virus binden und somit dessen Proliferation unterbinden. Aus mehr als 42.000 potentiellen Kandidaten ermittelte ein Freiburger und englisches Team die Top 500, die nun synthetisiert und getestet werden soll. Details zum Vorgehen gibt‘s natürlich auf der entsprechenden Galaxy-SARS-CoV-2-Webseite.

Gratis Bildgebung

Auch die Biotech-Branche zeigt sich solidarisch. Die Wiener Firma TissueGnostics beispielsweise bietet derzeit kostenfreie Lizenzen für ihre Image-Cytometry-Software an, im Gegenwert von bis zu 5 Millionen Euro. „TissueGnostics stands in solidarity with all those battling this disease and any disease which threatens the quality of human life.“ Die Lizenzen sind gültig, solange die Coronakrise anhält (maximal jedoch 18 Monate) und müssen alle 6 Monate erneuert werden.

Noch ein abschließender Veranstaltungshinweis. Wer angesichts andauernder Ausgangsbeschränkungen befürchtet, sich Ostern zu langweilen, kann von zuhause aus am EasterHack von Hacking Health Berlin teilnehmen (Partner sind die Charité und das Berlin Institute of Health, BIH). Gesucht sind sowohl Informatiker als auch Infektionsspezialisten, Medizin-Studenten und alle sonstigen an COVID-19 interessierten Forscher. Die Aufgabe: kreative Lösungen für eine der „Challenges“ finden, auf die Kliniker und Wissenschaftler der Charité, BIH und Uni Bern während der Pandemie gestoßen sind. Wie kann man beispielsweise Risikogruppen und Mitarbeiter des Gesundheitswesens besser schützen, wie ermittelt man mögliche Kontaktpersonen von Infizierten, ohne deren Privatsphäre zu verletzen oder wie kann man die Intensivpflege weiter verbessern. Wer mitmachen will, kann sich hier anmelden.

Kathleen Gransalke

Foto: Pixabay/jarmoluk






Letzte Änderungen: 09.04.2020