Editorial

EIne moderne Hexenverbrennung

(21.04.2020) So mancher Gentechnik-Forscher wird in der Kluft zwischen öffentlicher Meinung und wissenschaftlichem Konsens förmlich zerrissen. Ein Beispiel aus Zürich.
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Mit Kuhmist und Urin beworfen zu werden, erwartete im Auditorium Maximum der ETH Zürich sicher niemand. Kurz nach dem Start des 20. Kongresses der Europäischen Gesellschaft für Züchtungs­forschung Eucarpia reißen am letzten Augustmontag 2016 mehrere Vermummte die Hörsaaltüren auf. Sie richten ihre Fäkal­geschosse auf die vollbesetzten Sitzreihen der 400 Kongress­teilnehmer, entrollen ein Transparent gegen gentechnisch veränderte Organismen (GVO), hinterlassen an der Hörsaalwand noch den Schriftzug ‚Shit on technology‘ und sind genauso schnell wieder verschwunden. Zurück bleibt ein Auditorium voller Unverständnis.

Devang Mehta, zu diesem Zeitpunkt PhD-Kandidat am Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der ETH Zürich, mahnt: „Mit Anfeindungen sehen sich alle GVO-Forscher konfrontiert. Üblicherweise reichen sie von Alltags­gesprächen mit Freunden, die beim Thema Beruf in betretenes Schweigen münden, über gehässige Twitter-Kommentare und mutwillige Beschädigungen von Gewächs­häusern – bis hin zu Anti-GVO-Aktivisten, die während Podiums­diskussionen schreien, unsere Forschung verursache Autismus in Kindern und vergifte den Planeten.“

Editorial

Nützlich oder gefährlich?

Europäische GVO-Gegner empfinden gentechnisch veränderte Pflanzen als „wider die natürliche Ordnung“ und „Gefahr für zukünftige Generationen“. Damit verhärten sie regionale Unterschiede. Denn europäische Konsumenten haben ein ausgeprägtes Risiko­bewusstsein, während afrikanische, amerikanische und asiatische Verbraucher eher den Nutzen von GVOs wahrnehmen (Viruses, DOI: 10.3390/v7082819; GM Crops Food, DOI: 10.4161/gmcr.26981).

Das bestätigt Mehta: „In Indien werden GVOs als der nächste technologische Durchbruch empfunden. Sie erlauben Entwicklungs- und Schwellen­ländern wie meiner Heimat, ihre Bevölkerung überhaupt zu ernähren. Kompromisse wie Bio-Landwirtschaft und Öko-Produkte funktionieren vielleicht in reichen Ländern wie der Schweiz. Doch wenn man umgeben von Überfluss aufwächst, kann man die Notwendigkeit, durch GV-Pflanzen buchstäblich Leben zu retten, nur schwer nachvollziehen.“

Europas Zurückhaltung gegenüber GV-Pflanzen versteht Devang Mehta, der mittlerweile als Postdoctoral Fellow an der University of Alberta in Kanada arbeitet, nicht. Denn nach 35 Jahren Risikoforschung existieren keine wissenschaftlichen Hinweise für eine Gefährdung der menschlichen Gesundheit durch Grüne Gentechnik.

Widersprüchliche Ablehnung

„Europa lehnt GV-Pflanzen ab“, so glaubt Mehta, „weil es keine positiven Erfahrungen machen kann. Seine restriktiven Gesetze unterdrücken jeden landwirt­schaftlichen GVO-Anbau von vornherein. Und dabei lehnt es genau das ab, was es in Immunologie und Medizin seit langem akzeptiert, nämlich die gentechnische Herstellung von Insulin und anderer Therapeutika. Ist das kein Widerspruch?“

Laut EU-Recht ist das entscheidende Zulassungs­kriterium der Herstellungs­prozess einer Zuchtpflanze, nicht ihre Eigenschaften und Inhaltsstoffe. Nach Ansicht von Leopoldina, Akademienunion und DFG ist dieser „vorrangig verfahrens­bezogene europäische Regelungs­ansatz nicht mehr rational zu begründen“. In einer gemeinsamen Stellungnahme im Dezember 2019 empfahlen sie, das europäische Gentechnik­recht wissenschaftlich begründet zu novellieren. So sollen „genom­editierte Organismen vom Anwendungs­bereich des Gentechnik­rechts ausgenommen werden, wenn keine artfremde genetische Information eingefügt ist und/oder eine Kombination von genetischem Material vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungs­verfahren ergeben könnte.“ Wissenschaftlich unbegründete Pauschal­verbote sollen abgeschafft und genom­editierte mit klassisch gezüchteten Pflanzen gleichgestellt werden.

Prinzipien verteidigen

Devang Mehta sieht aber nicht nur Politiker in der Pflicht: „Regelmäßig bin ich Vorwürfen ausgesetzt, mit wie viel Geld ich mich von der Agrarlobby kaufen lasse, wie viele Patente ich besitze – und dass selbst Behörden wie die European Food Safety Authority nicht vertrauenswürdig seien, da von Agrar­unternehmen gekauft. Ich habe das Gefühl, es sind hauptsächlich Wissenschaftler in GVO- und Impfstoff­forschung, die die grundlegenden Prinzipien der Wissenschaft verteidigen müssen.“

Laut Mehta sei ein kultureller Wandel überfällig, da wissenschaftlicher Analphabetismus die Öffentlichkeit etwas ablehnen lässt, das Millionen unterernährte Menschen dringend benötigen: „Alle Wissenschaftler in- und außerhalb der GVO-Forschung müssen unsere Grund­prinzipien aktiver verteidigen. Lehrer müssen in ihrer Grund­ausbildung schon lernen, was wissenschaftlicher Peer Review und was Propaganda ist. Professoren dürfen nicht nur wegen ihrer Nature- und Science-Publikationen, sondern auch wegen ihres öffentlichen Engagements eingestellt werden. Anträge zur Forschungsförderung müssen einen Abschnitt zur Wissenschafts­kommunikation enthalten.“ Mehta selbst hat der aktiven GVO-Forschung wegen der vielen Anfeindungen von außen inzwischen den Rücken gekehrt hat.

Henrik Müller

Foto: Pixabay/Hans

Dieser Artikel wurde für unsere Webseite stark gekürzt. Den ausführlichen Artikel können Sie im aktuellen Heft (LJ 4/2020) lesen.




Letzte Änderungen: 21.04.2020