Editorial

Mögliche Archillesferse

(13.05.2020) Ein Antikörper blockiert das Andocken von SARS-CoV-2 an die Wirtszelle mit einem neuartigen Mechanismus, der dem Virus kaum Flucht­möglichkeiten bietet.
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Kaum ein Forschungsobjekt hat je so viel Aufmerk­samkeit bekommen wie das SARS-Coronavirus-2. In wenigen Monaten haben Molekular­biologen ihre Kenntnisse über das Virus vertieft. Dabei nutzen sie auch immer wieder bereits vorhandenes Wissen über das SARS-Virus (SARS-1), das 2003 in Asien ausbrach. Das SARS-2-Virus dockt mit seinen auf der Oberfläche sitzenden Spike-Proteinen an die Wirtszelle an und leitet so die Fusion mit der Zellmembran ein. Spike ist ein ziemlich großes, üppig mit Glykosylgruppen dekoriertes, trimeres Transmem­branprotein. Es besteht aus einer N-terminalen S1-Region, welche die Rezeptor­binde­domäne (RBD, 22 kDa) beherbergt, sowie einer C-terminalen S2-Region.

Aufgrund der Faltung des Gesamtproteins ist die RBD in der sogenannten Prä-Fusions-Form von Spike im Inneren des Proteins verborgen. Die RBD klappt jedoch durch eine scharnier­artige Bewegung immer wieder zufällig an die Oberfläche und kann hierdurch an den Rezeptor ACE2 der Wirtszelle andocken. Dies gilt sowohl für das SARS-1- als auch für das SARS-2-Virus.

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Rezeptor und Peptidase

ACE2 agiert aber nicht nur als Rezeptor, sondern auch als extrazelluläre Peptidase, die zwischen S1- und S2-Domäne schneidet. S1 wird hierdurch abgetrennt, während S2 mit der Wirtszell­membran fusioniert. Das zufällige Umklappen der RBD wird durch ACE2 beeinflusst. ACE2 bindet die RBD und stabilisiert hierdurch die Post-Fusions-Form gegenüber der Prä-Fusions-Form.

Eine Gruppe um den Strukturbiologen David Stuart von der Universität Oxford sieht in diesem Mechanismus eine mögliche Achillesferse des SARS-2-Virus, an der man die Aktivität des Virus mit einem passenden Antikörper blockieren könnte.

Antikörper, die gegen die RBD des SARS-1-Virus gerichtet sind und verhindern, dass ACE2 an die RBD bindet, erwiesen sich aber bisher beim SARS-2-Virus als weitgehend wirkungslos. Chinesische Forscher suchten dennoch in der Phagendisplay-Bibliothek eines genesenen SARS-1-Patienten nach erfolgver­sprechenden Kandidaten. Dabei stießen sie auf den monoklonalen Antikörper CR3022, der mit dem SARS-1- und SARS-2-Virus kreuzreagiert (Emerg Microbes Infect, 9(1):382–5).

Negativer Assay

Von CR3022 wusste man zudem, dass er insbesondere in Kombination mit einem weiteren Antikörper (CR3014) das SARS-1-Virus auch neutralisiert. Ein entsprechender Neutralisations-Assay, den eine weitere chinesische Gruppe mit CR3022 sowie dem SARS-2-Virus durchführte, verlief jedoch negativ (Science, 368(6491):630-3).

Stuarts Team ging der Sache auf den Grund und analysierte mit der Oberflächen­plasmonen­resonanz zunächst die Interaktion des Antigen-bindenden Fab-Fragments des Antikörpers (CR3022 Fab) mit der rekombinanten RBD des SARS-2-Virus – sowohl ohne als auch in Gegenwart von ACE2. Dabei stellte sich heraus, dass ACE2 die Bindung des Antikörpers an die RBD bremst und seine Ablösung forciert. Umgekehrt dissoziiert ACE2 leichter von der RBD, wenn der Konkurrent CR3022 zugegen ist.

Für ihren Neutralisations-Assay verwendeten Stuarts Mitarbeiter ein anderes Protokoll als die Chinesen. Sie fanden mit diesem deutlich weniger Plaques, die auf sich replizierende Viren hindeuten, wenn sie die infizierten Zellen mit CR3022 behandelten. Elf Mikrogramm CR3022 pro Milliliter reichten aus, um fünfzig Prozent der Viren zu neutralisieren.

Trimer wird zu Oligomer-Gemisch

Um den Blockade-Mechanismus von CR3022 zu verstehen, exprimierten die Forscher die Ektodomäne des Spike-Proteins mitsamt den Glyko­sylierungen in HEK-Zellen. Mithilfe der Cryo-Elektronen­mikroskopie beobach­teten sie anschließend die Komplex­bildung der Domäne mit CR3022. Ohne Antikörper lag das Protein als Trimer in der Prä-Fusions-Form vor. Nach einer dreistündigen Inkubation mit CR3022 waren diese jedoch verschwunden und wurden von einem hetero­genen Oligomer-Gemisch abgelöst. Der Antikörper CR3022 destabilisiert demnach die Prä-Fusions-Form des Spike-Trimers und verhindert damit dessen Fusion mit der Zellmembran.

Das bedeutet im Umkehr­schluss, dass das von CR3022 anvisierte Epitop des Spike-Proteins zur Stabili­sierung der Prä-Fusions-Form beiträgt. Es ist deshalb ein sehr attraktives Ziel sowohl für thera­peutische Antikörper als auch für Impfstoff­kandidaten. Zumal es auch weniger anfällig für Mutationen ist als Epitope auf der Rezeptor­bindedomäne. An diese binden die üblichen kompetitiven ACE2-Antikörper, die dem SARS-2-Virus durch die häufigen Mutationen einen Fluchtweg offen lassen.

Andrea Pitzschke

Bild: Pixabay/Artsybee

Huo J. et al. (2020): Neutralization of SARS-CoV-2 by destruction of the prefusion Spike. BioRxiv, DOI: 10.1101/2020.05.05.079202







Letzte Änderungen: 13.05.2020