Editorial

Startup mit Geschmack

(14.05.2020) Für den Nachweis von Bakterienbefall im Mund greift 3a-diagnostics auf einen ganz natürlichen Sensor zurück, den wir alle stets bei uns tragen. Unsere Zunge.
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Wer befürchtet, an einer Erkältung oder Entzündung zu leiden, aber nicht gerne zum Arzt geht, für den ist diese neue Entwicklung der Uni Würzburg genau das Richtige. Die Forscher um Lorenz Meinel haben nämlich einen Kaugummi entwickelt, den man sich ganz einfach in den Mund steckt, und der Bakterien­befall mit bitterem Geschmack anzeigt. Das funktioniert zumindest mit Speichel von Patienten, bei denen sich Zahnimplantate entzündet haben. Das kommt recht häufig, bei etwa jedem 10. Patienten vor und zwar manchmal bis zu zwei Jahre nach der Operation. Bakterien haben es sich dann gemütlich gemacht, die das Gewebe zerstören und vom Patienten oft gar nicht bemerkt werden. Mit dem Kaugummi kann man sich ganz einfach selbst laufend überprüfen und wenn nötig, schnell den Arzt aufsuchen.

Der Grundstein für den Kaugummi wurde schon 2012 gelegt. Lorenz Meinel fragte sich damals, was man bei sogenannten Point-of-Care-Systemen für die Patienten-nahe Diagnostik besser machen kann. Bei den meisten Systemen braucht man ja ein Gerät, etwa bei Blutzucker-Messungen. Bei seinen Überlegungen kam er auf einen Sensor, den wir alle immer mit dabei haben, nämlich unsere Zunge. Seine Idee: ein spezieller Geschmacksstoff, der nur durch spezifische Enzyme aus einer Träger­substanz herausgelöst werden kann und somit wahrnehmbar wird. Die Forscher haben früh die Anwendung im Blick gehabt, Patente angemeldet, die Technik verfeinert und schließlich vor etwa zwei Jahren eine GmbH gegründet: die 3a-diagnostics GmbH. Hier kamen neben Lorenz Meinel noch zwei Mitgründerinnen ins Boot sowie der heutige Geschäftsführer Heinrich Jehle.

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Gute Idee!

Heinrich Jehle hat selbst lange in der Point-of-Care-Branche gearbeitet und kannte den Pharmazeuten Meinel schon lange. „Ich fand seine Idee und Entwicklung so gut, dass ich das vertreten wollte und mit in die GmbH eingestiegen bin“, erinnert er sich. Dann haben sie eine sogenannte Vorgründungs (Pre-Seed)-Finanzierung über ca. 300.000 Euro bekommen, von der L-Bank, dem Land Baden-Württemberg und einem Co-Investor.

Geschäftsführer Jehle erklärt uns, was ihn an dem Kaugummi so begeistert hat: „Man kann losgelöst von sämtlichen Geräten arbeiten, wenn man den besonderen Sensor nutzt, den wir Menschen schon zur Verfügung haben und das ist unsere Zunge“. Das Besondere bei der Zunge sei aber auch, dass sie nur auf Moleküle reagiert, die sehr klein sind. Genau das macht sich 3a-diagnostics nun zunutze: „Wir betten unseren Bitterstoff ein in eine Peptid­sequenz, sodass er so groß wird, dass er von der Zunge nicht mehr schmeckbar ist. Wenn im Speichel des Menschen die spezifischen Enzyme vorhanden sind, die diese Peptid­sequenz aufspalten können, dann wird der Bitterstoff freigesetzt und geschmeckt.“

Die Herausforderung ist also herauszufinden, welches Enzym welche Peptid-Sequenz schneidet und welches Enzym bei welcher Krankheit im Körper des Menschen zu finden ist. Dafür gibt es Datenbanken. „Wenn man das Enzym in der Datenbank gefunden hat, muss man es halt noch im Labor bestätigen“, erklärt Geschäfts­führer Jehle das Prinzip.

Keine Erdbeere

Wie eindeutig ist ein positiver Test? „Das ist schon sehr eindeutig“, sagt Jehle. „Deshalb haben wir ja auch einen Bitterstoff genommen, der von allen Menschen geschmeckt und als Warnsignal wahr­genommen wird. Wir haben uns bewusst gegen süße Geschmäcker entschieden, da die von jedem Menschen anders wahr­genommen werden.“ Während man also Bananen-Flavour nicht immer von Erdbeere oder Himbeere unterscheiden kann, sind bei dem intensiv bitteren Geschmack sofort alle Geschmacks­knospen alarmiert.

Nebenwirkungen erwartet das Team um Jehle keine, da der Bitterstoff und die Träger­substanz seit vielen Jahr­zehnten auf dem Markt sind. Und Jehle fügt hinzu: „Man muss unser Produkt auch nicht kauen, der Name Kaugummi hat sich nur so einge­schlichen. Es sieht aus wie ein Kaugummi-Streifen, aber man muss es sich nur in die Backentasche legen. Es löst sich auch innerhalb von 2-5 Minuten vollständig auf. Das hat auch einen gezielten Grund, nämlich dass man es auch Bett­lägerigen oder Kindern geben kann, ohne dass sich diese daran verschlucken könnten“. Jehle unterstreicht also: „Es ist kein klassischer Kaugummi, auf dem Sie mit riesen Gewalt drauf herumkauen müssen.“

Rezeptfrei in der Apotheke

Vertrieben werden soll der „Kaugummi“ (wir bleiben einfach bei dem Namen) rezeptfrei in Apotheken, wohl auch auf Empfehlung der Ärzte, etwa nach Zahnimplantat-Operationen. Außerdem soll der Kaugummi für die meisten Menschen erschwinglich sein, das ist Jehle wichtig: „Es soll auch in einem Preissegment liegen, wo es für mehr Menschen verfügbar ist.“ Denn die Krankenkassen werden den Kaugummi wohl nicht erstatten.

Für die nächsten Jahre hat Jehle schon genaue Pläne: „Bis Ende diesen Jahres wollen wir die CE-Zertifi­zierung bekommen, sodass wir den Kaugummi bald auf den Markt bringen können“. Anfang nächsten Jahres soll dann schon das zweite Produkt kommen: ein Kaugummi zur Parodontitis-Diagnose. „2022 möchten wir uns Erweitern auf Streptokokken, die etwa bei Scharlach oder auch anderen Entzündungen im Hals vorliegen“, so Jehle. Mit dem Kaugummi könnte man dann ausschließen, dass es sich um einen viralen Infekt handelt und die Krankheit mit Antibiotika behandeln.

Und ganz aktuell hat sich 3a-diagnostics mit der kanadischen Firma XPhyto zusammengetan, um, wie es heißt, „real-time, low-cost and easy-to-use oral dissolvable thin film (ODF) screening tests“ zu entwickeln und kommerzialisieren, die einen schnellen Nachweis auf Infektionskrankheiten wie COVID-19 ermöglichen. Damit könne man, so Jehle, in großen Populationen ganz einfach sowohl symptomatische als auch asymptomatische Patienten identifizieren. 3a-diagnostics steuert natürlich die Biosensor-Substanzen für die Tests bei.

Karin Lauschke

Foto: Pixabay/hollydornak







Letzte Änderungen: 14.05.2020