Editorial

Das Leben neu erfinden

(16.06.2020) Vieles steckt noch in den Kinder­schuhen, doch der Kreativität in der synthe­tischen Biologie scheinen kaum Grenzen gesetzt.
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Gene ausknocken oder in andere Orga­nismen einbringen, ist mittlerweile molekular­biologische Routine. Auch wenn dabei schon mal ein Quallen­protein in einer Mauszelle leuchtet – von Grund auf neue Lebewesen entstehen dabei nicht. In der synthe­tischen Biologie aber verfolgen einige Forscher genau diese Idee: Leben erschaffen, wie es die Evolution nicht hervor­bringen könnte. Einige wollen hier möglichst komplett bei Null anfangen und synthe­tische Zellen bottom up konstruieren.

Doch womit würde ein Zell-Designer beginnen? Das wohl augen­scheinlichste Merkmal eines Lebe­wesens ist seine Grenze zur Umwelt. Alles, was auf unserem Planeten als lebendig gilt, besteht aus mindestens einer Zelle, und die trennt ihr Inneres durch eine zwei­schichtige Membran von der Außenwelt. Auch im Labor kann man leicht Vesikel herstellen, die von einer Doppel­lipid­schicht sphärisch umschlossen sind. Denn diese Konstellation ist energetisch günstig, weil die hydro­phoben „Schwänzchen“ der Lipid­moleküle so vom wässrigen Teil innerhalb und außerhalb des Vesikels abgeschirmt sind.

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Geteilte Vesikel

„Membranen sind ein funda­mentaler Bestandteil aller Zellen“, betont Biophysiker Roland Knorr. Am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenz­flächen­forschung in Potsdam leitet er eine Arbeits­gruppe zur Dynamik von Biomembranen. Kürzlich ist das Team der Frage auf den Grund gegangen, wie sich ein Vesikel mit einer Doppel­lipid­membran teilen kann. Ergebnisse hierzu haben die Wissen­schaftler Anfang des Jahres veröffentlicht, zusammen mit Max-Planck-Kollegen aus Mainz (Nat Commun, 11: 905).

„Wir haben gezeigt, dass im Gegensatz zur vorherr­schenden Meinung keine spezifischen Proteine wie ESCRT oder Dynamin notwendig sind, um eine Membran zu teilen“, hebt Erstautor Jan Steinkühler ein wesentliches Resümee der Publikation hervor. „Die Elastizität der asymme­trischen Membran und die Form des Vesikels reichen aus, um die dafür notwendige Kraft zu erzeugen.“

Noch einen Schritt weiter gehen möchte Hannes Mutschler vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried. „Bisher ist es noch nie gelungen, Leben von Grund auf neu zu erschaffen“, räumt Mutschler ein. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb fasziniert ihn die Bottom-up-Heran­gehensweise: Möglichst minimal beginnen und dabei nach und nach Komponenten zusammen­bringen, die aus unbelebter Chemie lebens­ähnliche Abläufe machen. Im Februar haben Forscher um Mutschler nun ein System vorgestellt, das zumindest in einem gewissen Rahmen in der Lage ist, sich selbst zu replizieren und dabei auch für die DNA-Replikation notwendige Proteine selber synthetisiert (Nat Commun, 11: 904).

Wie ein kleines Bakteriengenom

„Eigentlich haben wir keine besonders exotischen Kompo­nenten kombiniert“, stellt Mutschler fest. Ein wesentlicher Bestandteil ist ein In-vitro-Trans­lationssystem, das es erlaubt, Proteine außerhalb der Zelle quasi im Reagenz­glas zu synthetisieren. „Da gibt es auch kommerzielle Anbieter, die das verkaufen, und wir haben so etwas für unsere Zwecke abgewandelt.“

Alle Komponenten schwimmen frei in einem Reaktions­gefäß und sind nicht von einer Membran umschlossen. Und auch sonst bleibt das System derzeit noch weit vom biologischen Leben entfernt. Aber: „Wir haben immerhin die DNA-Replikation hinbekommen – etwas unreguliert, doch es funktioniert“, freut sich Mutschler. Im Gegensatz zu einer PCR muss man keine Temperatur­zyklen fahren, sondern kann das gesamte Experiment bei dreißig Grad Celsius laufen lassen. Die DNA-Menge von insgesamt mehr als einhundert Kilo­basen­paaren erreicht dabei die Größen­ordnung der Genome einiger endo­symbion­tischer Bakterien (Genome Biol Evol, 5(9): 1675-88).

Noch unklar

Auch Translation finde definitiv statt, betont Mutschler. „Das wissen wir, weil wir Amino­säuren mit Isotopen markiert und später in Proteinen gefunden haben.“ Im Diskus­sionsteil der Arbeit räumen die Autoren aber ein, dass derzeit nicht klar sei, welche der neu synthe­tisierten Proteine tatsächlich funktionell sind. Schließlich muss sich eine Amino­säure­kette auch korrekt falten, und ebenso sind post­transla­tionale Modifi­kationen in biologischen Zellen keine Seltenheit.

„Für die Translation müssen wir auch Ribosomen von außen zugeben“, verweist Mutschler auf einen weiteren Punkt, der noch auf der To-do-Liste steht. „Derzeit extrahieren wir Ribosomen noch aus lebenden Zellen, weil uns andernfalls Kompo­nenten fehlen, die wir noch nicht wirklich verstehen.“

Das Vorhaben, eine synthetische Zelle bottom up zusammen­zubasteln, steht also erst am Anfang. Zudem gilt es zu bedenken, dass jedes biologische Leben ja bereits in einem zellulären Kontext startet. Von Beginn an ist schon Cytoplasma mit all seinen Bestand­teilen vorhanden. „Das nachzubauen ist so, als ob man in ein fahrendes Auto einsteigt“, bringt es Mutschler auf den Punkt.

Mario Rembold

Bild: Juliet Merz

Dieser Artikel wurde für unsere Webseite stark gekürzt. In der längeren Version im Heft 6-2020 erfahren Sie außerdem, wie Tobias Erb am MPI für Terrestrische Mikrobiologie in Marburg die Photo­synthese optimiert und wie Christopher Reinkemeier im EMBL-Labor von Edward Lemke am genetischen Code herum­schraubt.







Letzte Änderungen: 16.06.2020