Editorial

Die Reise unserer Gene

(23.06.2020) Die Archäogenetik hat in den letzten 10 Jahren die Anthro­pologie revolutioniert. Wir sprachen darüber mit Johannes Krause vom Max-Planck-Institut für Menschheits­geschichte in Jena.
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Laborjournal: Sie sind Direktor eines Max-Planck-Instituts und aktuell in Elternzeit. Das ist schon selten, oder?
Johannes Krause: Für die nächsten drei Monate habe ich meine wissen­schaftliche und administrative Tätigkeit auf fünfzig Prozent reduziert. Die üblichen zwölf Monate Elternzeit sind für Wissen­schaftler natürlich nur schwer umzusetzen.

Gerade weil die Archäogenetik ja aktuell einen Riesensprung macht...
Krause: Ja, das 21. Jahrhundert ist das Zeitalter von Informatik und Biotechnologie. Momentan landen fast jede Woche archäo­genetische Publikationen in Nature, Science und Cell. Solch einen Hype hat es in anderen Forschungs­feldern allerdings auch gegeben. Er wird sich irgendwann wieder reduzieren.

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Sie selbst landeten ja bereits mit Ihrer Diplomarbeit auf dem Titelblatt von Nature. Worauf führen Sie den gegen­wärtigen Hype zurück?
Krause: Auf vier Gründe. Erstens ist unsere Forschung mittlerweile so ausgereift, dass sich beispiels­weise Spitzen­wissenschaftler aus der Genetik in Harvard, Princeton, Yale und Stanford der Archäo­genetik zuwenden. Das ist für uns ein Segen, denn unser Nischen­dasein ist damit vorbei. Zweitens profitieren wir vom breiten Interesse an unserer Forschung. Ich habe in meiner Karriere sehr früh einen Grant des Euro­päischen For­schungsrats und eine Professur bekommen – und dann als Gründungs­direktor ein neues Max-Planck-Institut mit aufbauen dürfen. Natürlich waren dafür spannende Projekte wichtig, die zu inte­ressanten Resultaten führten und sich sehr gut publizieren ließen. Dennoch denke ich, da war ich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Drittens haben wir immer an der Machbar­keitsgrenze gearbeitet. Unsere optimierten Protokolle isolieren DNA mittlerweile aus vielen Hundert­tausend Jahre alten Fossilien. Und viertens hat sich der Durchsatz der Sequenzier-Maschinen in den letzten 15 Jahren verhundert­millionenfacht. Wir können komplette Genome immer günstiger entschlüsseln. Weltweit haben 25 Millionen Menschen ihre Genome schon bei privaten Firmen für unter hundert Euro analysieren lassen.

Nun machen Sie das aber mit Organismen aus der Vergangenheit...
Krause: Genau, und zwar in enger Kooperation mit meinem Alma-Mater-Institut, dem MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Wir isolieren das Erbmaterial von Viren, Bakterien, Tier und Mensch, zum Beispiel aus Knochen oder Zähnen, rekonstruieren aus all den sequenzierten Schnipselchen mit viel Bioinformatik deren Genome und können dann genomweite Phänotyp- und Verwandt­schafts­verhältnisse analysieren.

Sie machen klassische Archäologen also arbeitslos?
Krause: Durch den Vergleich morpho­logischer, histo­logischer und geoche­mischer Charakteristika kommt man nur bis zu einem bestimmten Punkt. Aktuell erleben wir tatsächlich eine genetische Revolution, die auch die Archäologie und Anthropologie verändert. Neben historischen Texten, anthropo­logischen Untersuchungen und archäo­logischen Funden haben wir jetzt eine zusätzliche Evidenzlinie, in der wir genetische Geschichte erzählen. Anders als vorherige bioarchäo­logische Revolutionen, wie die Entwicklung der Radiokarbon-Datierung oder die Untersuchung von Mikro­fossilien, kann die Archäo­genetik einen stärkeren Eigen­beitrag leisten. Der resultierende Kampf um die Deutungs­hoheit wird sich aber auflösen, sobald zukünftige Wissen­schaftler gleichzeitig „archäologisch“ und „genetisch“ sprechen können. Das ist die langfristige Perspektive unserer Doktoranden-Ausbildung hier wie auch unseres Forschungs­feldes der Archäogenetik im Ganzen.

Wie gewinnen Sie denn überhaupt DNA aus Gewebeproben?
Krause: Es gibt alle möglichen Methoden, Knochen zu zermahlen, beispielsweise mit einem Zahnarzt­bohrer oder in einer Kugelmühle mit flüssigem Stickstoff. Weichgewebe und Pflanzen­reste erfordern wieder eine andere Methodik. Bei zerkleinerten Knochen brechen wir dann dessen Phosphor-Apatit-Kristallstruktur mit Calcium-bindendem EDTA auf, verdauen sämtliches Kollagen mit Proteinase K und arbeiten schließlich das DNA-Extrakt mit klassischen Silika-basierten Methoden auf. Viele unserer Methoden hat ein Kommilitone von mir, Matthias Meyer, am MPI für evolutionäre Anthropologie in Leipzig entwickelt. Er ist da weltweit führend. Für mich ist es immer unglaublich, dass wir aus einer halben Million Jahre alten Fossilie noch DNA rausbekommen.

Wie weit können Sie überhaupt in der Zeit zurückschauen?
Krause: Das älteste sequenzierte Erbgut stammt von einem 700.000 Jahre alten Pferd aus Alaskas Perma­frostboden, das älteste europäische Genom aus 400.000 Jahre alten Frühmenschen-Knochen aus der Höhle Sima de los Huesos in Nordspanien. In tropischen Regionen ist die Proben­konservierung dagegen nicht so gut, denn Wärme, Feuchtigkeit sowie saurer und basischer pH begünstigen den Zerfall von Nukleinsäuren.

Also kein Jurassic Park?
Krause: Mit unserer momentanen Technologie können wir nicht weiter zurückgehen als eine Million Jahre. Die Kreidezeit bleibt also auch in Zukunft wohl in weiter Ferne.

Das Gespräch führte Henrik Müller

Foto: Anna Schroll

Dieses Interview wurde für unsere Webseite stark gekürzt. Im ausführlichen Gespräch in der Laborjournal-Ausgabe 6-2020 erklärt Johannes Krause außerdem, was die Probleme beim Sequenzieren von alter DNA sind und ob die Proteomik die Genomik in der Archäobiologie bald ablösen wird.




Letzte Änderungen: 23.06.2020