Editorial

Pures Diagnostik-Gold

(24.06.2020) SARS-CoV-2-Antikörpertests ergeben bei niedriger Durch­seuchung nur Sinn, wenn sie 100 % spezifisch sind. Mit goldbe­schichteten Chips könnte dies möglich sein.
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Mit Antikörpertests heraus­zufinden, wer mit SARS-CoV-2 infiziert war und Antikörper gegen das Virus gebildet hat, ist nach wie vor ein ziemliches Glücksspiel. Laut des Artikels „SARS-CoV-2 Serology: Much Hype, Little Data“, den Christopher Farnsworth und Neil Anderson von der Washington University School of Medicine in Clinical Chemistry veröffentlichten, sind die meisten SARS-CoV-2-Antikörper­tests für die klinische Diagnostik gänzlich ungeeignet.

In den USA können die Hersteller von Antikörper­tests die Zulassungs­kriterien der U.S. Food and Drug Administration (FDA) umgehen und dürfen auch noch nicht zugelassene Tests auf den Markt bringen. Entsprechend schossen die Tests wie Pilze aus dem Boden. Offiziell von der FDA zugelassen sind aber nur vier – von über 100 erhältlichen Antikörper­tests. In Deutschland ist die Situation zwar nicht ganz so unüber­sichtlich wie in den USA. Das größte Problem der allermeisten Antikörper­tests besteht hier aber genauso: Auf den ersten Blick sehen die Werte für die Spezifität der Tests ganz ordentlich aus. In den Augen von Labor-Diagnostikern wie Farnsworth sind sie jedoch für seriöse Studien nicht gut genug.

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Verheerende Trefferquote

Farnsworth erklärt dies mit anschaulichen Beispielen. Liegt zum Beispiel die Durch­seuchungsrate (Prävalenz) der getesteten Gruppe bei 20 Prozent, würde ein Test mit einer Spezifität von 98 Prozent in 92,5 Prozent der Fälle ein richtig-positives Ergebnis liefern. Die Prävalenz ist aber in der Regel viel geringer und wird selbst in New York auf knapp unter zwei Prozent geschätzt. Bei einer Spezifität von 98 Prozent läge hier die Treffer­quote bei nur noch 45 Prozent. Selbst ein Test mit 99,5-prozentiger Spezifität würde bei jedem vierten Probanden ein falsch-positives Ergebnis liefern. Ziemlich verheerend sähe es bei einer noch niedrigeren Prävalenz von 0,1 Prozent aus. Auch ein Test mit 99,5-Prozent-Spezifität läge hier in fünf von sechs Fällen daneben.

Klinik-Diagnostiker verlangen deshalb von einem seriösen Antikörper­test eine Spezifität von mehr als 99 Prozent, wenn die Durch­seuchungsrate gering ist. Mit den vielen Null-Acht-Fünfzehn-Tests hat sich Farnsworths Team deshalb gar nicht erst abgegeben. Es verglich daher die SARS-CoV-2-Antikörper-Assays von Abbot, Euroimmun und Roche. Das Ergebnis war auch bei diesen einiger­maßen ernüchternd. Die Spezifität erreichte 99,34 Prozent (Abbot), 98,69 Prozent (Roche) sowie magere 94,77 Prozent bei Euroimmun (Clin Chemistry, hvaa132).

Chips mit Goldschicht

Eine höhere Spezifität und Sensitivität als die klassischen Testverfahren verspricht ein SARS-CoV-2 Antikörper-Test, den die US-Firma Nirmidas Biotech entwickelte. Er basiert auf Chips, die mit sogenannten plasmonischen Gold-Nanostrukturen beschichtet sind. Nirmidas bezeichnet ihn entsprechend als pGOLD-Assay.

Die Idee, Antikörper-Assays auf plasmonischen Gold-Oberflächen durch­zuführen, ist nicht neu. Sie stammt von der Gruppe des Nirmidas-Gründers Hongjie Dai von der Stanford University, die sie bereits für ähnliche Antikörper­tests verwendete (Nat Commun, 2:466).

Das Prinzip des pGOLD-Assays ist im Grunde simpel und ähnelt einem klassischen ELISA: Die Gruppe immobilisierte die S1-Untereinheit des Spike-Proteins sowie die Rezeptor­binde­domäne (RBD) als Antigene auf dem vergoldeten Chip. An diese binden bei einer positiven Probe IgM- und IgG-Antiköper, die anschließend mit zwei Fluoreszenz­farbstoff-gekoppelten anti-IgM- beziehungsweise anti-IgG-Antikörpern gelabelt werden. Für die Detektion der gebundenen Antikörper werden die Chips mit Nahem-Infrarotlicht (NIR) beleuchtet und mit einem konfokalen Fluoreszenz­mikroskop analysiert. Der Trick dabei ist, dass die emittierten NIR-Signale aufgrund von Plasmon­resonanz- sowie Verstärkungs­effekten lokaler elektrischer Felder auf der Gold­oberfläche bis zu hundertfach verstärkt werden.

Die Gruppe führte den pGOLD-Assay mit 454 Serum-Proben durch, 384 davon SARS-CoV-2 negativ. Letztere stammten von Proben, die vor 2019 gesammelt wurden (311 Proben), von Probanden, die bei einem PCR-Test negativ waren (33 Proben) oder von gesunden Probanden, denen Proben vor dem SARS-CoV-2-Ausbruch entnommen wurden (40 Proben). Zu diesen kamen noch 70 Proben hinzu, die vor dem COVID-19-Ausbruch gesammelt wurden und von Patienten mit unterschiedlichen Infektionen stammten. Nur eine dieser 454 Proben führte zu einem falsch-positiven Ergebnis. Legt man diese Zahlen zu Grunde, liegt die Spezifität des pGOLD-Tests bei 99,78 Prozent.

100% sensitiv

Zusätzlich führte das Team den Assay mit 62 Proben durch, die PCR-positiv getesteten Patienten entnommen wurden. Auf den ersten Blick sah die Sensitivität des Tests hier eher durch­wachsen aus. Wurde jedoch der Zeitpunkt berücksichtigt, an dem bei den Kandidaten die ersten Symptome auftraten, veränderte sich das Bild. In Gruppe I, die seit 0 bis 7 Tagen erste Symptome zeigte, wies der Test in 44 Prozent der Fälle IgM- und in 13 Prozent IgG-Antikörper nach. In Gruppe II, deren erste Symptome 8 bis 14 Tage zurück­lagen, waren es schon knapp 67 beziehungs­weise 48 Prozent und in Gruppe III mit mehr als 14 Tagen seit den ersten Symptomen erreichte die Sensitivität schließlich bei beiden Antikörper­typen 100 Prozent.

Beflügelt durch die hohe Sensitivität wagten sich die Forscher sogar an Speichel­proben. Auch in diesen sollten theoretisch anti-SARS-CoV-2-Antikörper auftauchen, jedoch in wesentlich geringeren Mengen als im Blut. Tatsächlich wies der Test in diesen bei vier eingesetzten Positiv- und 11 Negativ-Proben absolut treffsicher anti-SARS-CoV-2-Antikörper nach.

Andrea Pitzschke

Liu T. et al. (2020): High-accuracy multiplexed SARS-CoV-2 antibody assay with avidity and saliva capability on a nano-plasmonic platform. BioRxiv, DOI: 10.1101/2020.06.16.155580

Bild: Nirmidas







Letzte Änderungen: 24.06.2020